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Virtual Reality für die Musik
Mit der Lieblingsband auf der Bühne stehen

Viel Geld für Tickets ausgeben und dann doch 100 Meter von seiner Lieblingsband entfernt in der Masse zu stehen: Die Zeiten könnten bald vorbei sein, denn immer mehr Labels und Musiker experimentieren mit Virtual-Reality-Formaten und 360-Grad-Kameras, die Fans den Künstler ganz nah bringen.

Von Ina Plodroch | 21.02.2017
    Slash, der ehemalige Gitarrist der US-Band Guns N' Roses, während eines Auftritts beim Quart Music Festival in Kristiansand, Norwegen.
    Ganz nah bei seinen Idolen sein: Mit 360-Grad-Videos sind Perspektiven wie diese kein Problem. Zu sehen ist Slash, der ehemalige Gitarrist der US-Band Guns N' Roses. (Tor Erik Schroder / SCANPIX NORWAY / AFP)
    Tiësto betritt die Bühne. Außerhalb der EDM, also der Electronic-Dance-Music-Szene, kennt man ihn kaum. Aber auf den großen EDM-Festivals ist er der Star, dem die vielen Fans gerne so nah wie möglich wären.
    "Auf dem Electric-Daisy-Carneval-Festival hatten wir Kameras auf drei verschiedene Bühnen. Und diese Aufnahme haben wir in einer Virtual-Reality-Lounge auf dem Festival gestreamt."
    Erzählt Dann Saxton von der Agentur "VR Live" aus Kalifornien. Auf das Electric-Daisy-Carneval-Festival haben sie 50 Virtual-Reality-Brillen mitgebracht – diese klobigen Brillen, die Nutzer in virtuelle Welten führen.
    "Wir hatten drei Tage lang eine Schlange draußen. Die Leute haben sich dann die Brille aufgesetzt und haben getanzt, gelacht und ein Mädchen hat sogar geweint, weil sie neben Tiësto stand und es nicht glauben konnte."
    Per Livestream in den Klub
    Die Besucher hätten sich also die DJ-Sets live im Publikum anschauen können, aber die virtuelle Realität scheint beeindruckender als die reale, in der das Idol nur weit weg in Fingernagelgröße zu sehen ist.
    Man setzt sich ein VR-Headset auf und steht plötzlich neben dem DJ, erzählt Blaise Bellvile in einer BBC-Dokumentation. Der Gründer von Boiler Room eröffnet in diesem Jahr einen Virtual-Reality-Klub in London, der nur drauf ausgelegt ist, die Klubnacht als Virtual-Reality-Experiment in die ganze Welt zu streamen. Ziemlich immersiv, wie man so im Virtual-Reality-Jargon sagt, wenn es darum geht, wie eindrücklich das Eintauchen in die virtuelle Welt ist.
    Wie gemacht für das Popgeschäft
    Und deshalb scheint die Virtual Reality wie gemacht für das Popgeschäft - Fans träumen schon immer davon, ihrem Idol so nah wie möglich zu sein. Und mit VR kommen sie dem Musiker sogar näher als sie wollen - zum Beispiel in Björks Mund während sie singt. Ist das also die Zukunft der Pop-Musik?
    "Auf jeden Fall, es gibt so viele verschiedene Wege, um Musik in Virtual Reality auszudrücken."
    Meint Dann Saxton, der zum Beispiel für die Universal-Music-Group erste Versuche einer Virtual-Reality-App gewagt hat.
    Neue Möglichkeiten durch technische Entwicklung
    Arne Ludwig ist Produzent und Vorsitzender des ersten Deutschen Fachverbands für Virtual Reality.
    "Grundsätzlich ist ja Virtual Reality und alles, was dazu gehört - Augmented Reality, holografische Sachen, Projektionen – das ist erstmal nichts Neues.
    In den 90ern in der Kunsthochschule für Medien in Köln haben wir auch schon Projektionen gemacht und digitale Skulpturen im Raum. Dadurch dass die Rechner jetzt flotter sind, die Grafikkarten, dadurch dass wir mobiles Internet haben, Social Media, haben wir ganz andere Möglichkeiten, die Dinge zu distribuieren."
    Trotzdem scheint es noch nicht so, als würde sich die gesamte Musikindustrie voll auf die neue – oder alte – Technik einlassen.
    "Die Musikindustrie ist nicht immer vorne mit dabei, wenn es um Lizenzrechte geht."
    Ludwig hat immer noch ein 360-Grad-Video-Projekt mit Herbert Grönemeyer in der Schublade liegen. Fertigstellen kann er es noch nicht, denn die Lizenzfrage bleibt ungeklärt.
    "Das heißt, du bekommst die Rechte gar nicht. Das wird zwar angefragt von Sendern, aber wenn es darum geht das im Vertrag festzulegen, dann heißt es: das nicht. Da steckt noch eine Unkenntnis dahinter, was man damit machen kann. Dann gibt es da so Antworten wie: Die Leute haben ja die Brillen ja gar nicht, um das zu gucken oder würden die dann am Ende gar nicht mehr zu uns kommen?"
    Virtual-Reality-Schallplatte
    Dann also einen Schritt weiter gehen und die Musik direkt in der virtuellen Realität veröffentlichen, wie dann Saxton sagt.
    "Wir arbeiten zusammen mit Künstlern, die ihr Album nur als Virtual Reality veröffentlichen werden. Auf dem Cardboard - also einer Brille aus Pappe, in der man sein Smartphone klemmen kann - steht dann ein Code, und mit dem kann man das Album hören und sehen."
    Mit wem Saxton die künstlerische Verschmelzung von virtueller Welt und Musik plant, ist noch geheim. Die angekündigte Virtual-Reality-Schallplatte des Rappers Childish Gambino scheint allerdings genau das zu werden: eine virtuelle Welt für die Songs. Ganz im Sinne der Verschmelzung von Bild und Musik auf den Visual Alben von Beyoncé oder Frank Ocean im letzten Jahr. Die Musik rückt damit wieder in den Mittelpunkt – weil immersiv auch heißt, kein Facebook, kein Chat, kein WhatsApp, keine Freunde nebenbei. Nur die Musik, die virtuelle Welt und der Hörer und die große Illusion, dem Musiker so nah wie noch nie zu sein.