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Ein Jahr danach

Am Nachmittag des 4. November 2011 flog die Neonazi-Terrorzelle NSU auf. Seither ist die Kritik an den Sicherheitsbehörden wegen Pannen und schleppender Aufklärung nicht abgerissen. Die Warnungen vor institutionellem Rassismus in Deutschland werden lauter.

Von Claudia van Laak | 02.11.2012
    Freitag, 4. November 2011, 14 Uhr 54. Der dpa-Landesdienst Thüringen schreibt: "Zwei Leichen bei Fahndung nach Bankräubern in Eisenach entdeckt".

    Als die Beamten an dem Wohnmobil vorbeikamen, hätten sie darin zweimal einen Knall gehört und Feuer bemerkt. Die Feuerwehr habe den Brand dann gelöscht, teilte die Polizei mit. In dem Wohnmobil hätten zwei Leichen gelegen, die bisher noch nicht identifiziert seien.

    Drei Stunden später, 17 Uhr 53. Die Agenturen melden die Explosion eines Wohnhauses in Zwickau.

    Die Doppelhaushälfte im Stadtteil Weißenborn brannte laut Polizei völlig aus. Ob sich die drei Bewohner des Hauses zum Zeitpunkt der Explosion in dem Haus aufhielten, war zunächst unklar.

    Dass es einen Zusammenhang zwischen diesen Meldungen gibt, dass es sich bei den zwei Leichen in dem Eisenacher Wohnmobil um die Bewohner des Zwickauer Hauses handelt und dass die dritte Bewohnerin das Haus eigenhändig in die Luft gesprengt hat, all das wissen an diesem Freitag Anfang November 2011, nur wenige. Dass die Folgen dieser zwei kleinen Polizeimeldungen nachhaltige Spuren in Politik und Gesellschaft hinterlassen werden, ahnt zu diesem Zeitpunkt niemand.

    Bei den beiden Toten in Eisenach handelte es sich um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Bei der mutmaßlichen Brandstifterin von Zwickau um Beate Zschäpe, sie sitzt seit einem knappen Jahr in Köln in Untersuchungshaft und schweigt. Die Bundesanwaltschaft geht davon aus: Die Drei bildeten eine rechtsterroristische Vereinigung namens NSU, Nationalsozialistischer Untergrund. Die Heimat der drei Mitglieder der Terrorzelle: die thüringische Stadt Jena.

    Jena, Mitte der 90er-Jahre. Die Stadt versucht die Massenentlassungen nach der Wende zu verarbeiten, die Menschen sind verunsichert. Viele Lehrer und Polizisten, die schon dem DDR-System gedient hatten, sind für die Jugendlichen keine Autoritäten mehr.

    Glatzköpfige junge Männer in Bomberjacken und Springerstiefeln machen sich in den Plattenbausiedlungen Jenas breit, terrorisieren linke Jugendliche, okkupieren ein Stadtteilzentrum. Sie werden nicht gestoppt. War die freie Meinungsäußerung nicht das, was man sich in der Wende erkämpft hatte?

    1995 tauchen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe erstmals in den Akten der Thüringer Behörden auf, da sind sie Mitte 20. Sie melden rechtsextreme Demonstrationen an, organisieren sich gemeinsam mit dem mutmaßlichen NSU-Unterstützer und NPD-Mitglied Ralf Wohlleben in der
    Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz." Obwohl Mitglieder wegen verschiedener Propagandadelikte festgenommen, angeklagt und verurteilt werden, treten die Neonazis immer offensiver und aggressiver auf. "Taten statt Worte" ist ihr Motto – es verweist auf den späteren NSU.

    Anfang 1998: Razzia in einem Jenaer Garagenkomplex - die Polizei entdeckt eine Bombenwerkstatt. Der Verdächtige Uwe Böhnhardt führt die Beamten persönlich dorthin, steigt dann seelenruhig in sein Auto und fährt weg. Es ist der Beginn einer 13-jährigen Doppelexistenz. Gemeinsam mit ihm tauchen auch Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ab. Der damalige Thüringer Verfassungsschutzchef Helmut Roewer schätzt die drei flüchtigen Neonazis so ein:

    "Das ist schon vom Tätertyp eine andere Qualität als der dumpfe Neonazi, der mit der Keule um sich schlägt, mit dem Baseball-Schläger um sich schlägt. Hier waren Leute zu Werke, denen das offenbar nicht ausgereicht hat, die mehr wollten."

    Helmut Roewer war ein höchst umstrittener Verfassungsschutzchef, aber in diesem Fall sollte er Recht behalten. Auf das Konto des NSU gehen höchstwahrscheinlich 14 Banküberfälle in Thüringen, Sachsen und
    Mecklenburg-Vorpommern, ein Nagelbombenanschlag in Köln mit 22, teils schwer verletzten Menschen und bundesweit zehn Morde. Die Mordopfer sind eine deutsche Polizistin, ein griechischstämmiger Betreiber eines Schlüsseldienstes und acht türkischstämmige Kleinunternehmer.

    Im Februar dieses Jahres lädt die Bundesregierung zu einer offiziellen Trauerfeier nach Berlin ein. Im Konzerthaus am Gendarmenmarkt brennen zehn Kerzen. Sie stehen symbolisch für die zehn Leben, die die Zwickauer Terrorzelle auslöscht hat.

    Der Tod der gebürtigen Thüringerin Michele Kiesewetter ist den Ermittlern bis heute ein Rätsel. Musste sie sterben, weil sie Polizistin war? Für die Ermordung der neun Migranten gibt es ein rassistisches Motiv. Sie wurden exekutiert, weil sie nicht aussahen wie Deutsche. Bei der Trauerfeier erwähnt Bundeskanzlerin Angela Merkel jedes Opfer mit Namen, gibt ihnen so ein Gesicht.

    "Enver Simsek, er wurde 38 Jahre alt und hatte sich, seiner Frau und seinen beiden Kindern in Nürnberg den Traum von einem Blumenhandel erfüllt.
    Abdurrahim Özüdogru, er half häufiger in einer Änderungsschneiderei in Nürnberg aus, dort trafen ihn die tödlichen Schüsse, er wurde 49 Jahre alt und hinterlässt eine Tochter.
    Süleyman Tasköprü, er betrieb in Hamburg einen Gemüsemarkt. Als er im Alter von 31 Jahren starb, war seine Tochter gerade einmal drei Jahre alt."

    Angela Merkel trifft in diesem Moment den richtigen Ton. Sie gibt ein Versprechen ab.

    "Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen.
    Sie sind eine Schande für unser Land."

    Das Ermittlungsverfahren unter Leitung der Bundesanwaltschaft gehört zu den umfangreichsten in der Geschichte der Bundesrepublik. Etwa 500 Kriminalbeamte sind zeitweise im Einsatz, Eintausend Zeugen werden befragt, 7000 Beweismittel untersucht, darunter Dateien in der Größe von 64 Terabit.
    Mehrere Sonderkommissionen und parlamentarische Untersuchungsausschüsse auf Bundesebene und in Thüringen, Sachsen sowie Bayern versuchen die zentralen Fragen zu beantworten: Wie konnte ein rechtsextremistisches Terrortrio zehn Menschen in Nürnberg, München, Kassel, Heilbronn, Dortmund, Hamburg und Rostock ermorden, ohne dass Polizei und Justiz den Tätern auf die Spur kamen? Warum wurde fast ausschließlich im Migranten-Milieu ermittelt? Und Hinweisen auf mögliche ausländerfeindliche Motive nicht nachgegangen?

    Das Paul-Löbe-Haus im Berliner Regierungsviertel. Vor den Fenstern leuchtend rot und gelb gefärbtes Laub. Doch diejenigen, die im Saal Nummer 4900 Fragen stellen, selber befragt werden oder zuhören, sie haben keinen Blick für die herbstliche Idylle draußen.

    Es tagt der Bundestags-Untersuchungsausschuss zur NSU-Affäre. Der seit Januar versucht, Behördenversagen aufzuklären. Als Zeuge vorgeladen: Klaus-Dieter Fritsche, CSU, Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Die Besuchertribüne ist voll.

    In der ersten Reihe verfolgt ein dunkelhaariger Mann im schwarzen Anzug aufmerksam die Befragung unten im Saal. Ab und zu schüttelt er den Kopf, macht sich Notizen. Yavuz Narin, Rechtsanwalt aus München. Er vertritt die Familie des mutmaßlichen NSU-Mordopfers Theodorus Boulgarides.

    "Nach jeder Ausschusssitzung berichte ich meinen Mandantinnen über die neuen Erkenntnisse aus den Sitzungen der Untersuchungsausschüsse. Jedes Mal ist meine Mandantin beziehungsweise sind meine Mandantinnen erneut schockiert über die tatsächlich vorgefallenen Dinge, sind aber gleichzeitig nicht mehr überrascht."

    Theodorus Boulgarides wurde am frühen Abend des 15. Juni 2005 mit drei Schüssen in den Kopf getötet - auf offener Straße vor seinem Geschäft, einem Schlüsseldienst in München. Der gebürtige Grieche ist das mutmaßlich siebte Todesopfer der Zwickauer Terrorzelle.

    "Die Familienangehörigen der Mordopfer wurden über viele Jahre öffentlich diskreditiert. Man hat ihr Privatleben, teilweise auch ihr Intimleben, zum Gegenstand der Boulevard-Presse gemacht. Und die Behörden haben sehenden Auges, obwohl man angeblich auch in die rechtsextremistische Szene ermittelt haben wollte, der Öffentlichkeit gegenüber kundgetan, die wahren Täter seien im Umfeld der Mordopfer zu finden."

    Rechtsanwalt Yavuz Narin will Aufklärung. Der Sohn türkischer Einwanderer reist seit Monaten durch die Bundesrepublik, von einer Sitzung eines NSU-Untersuchungsausschusses zur nächsten - Dresden, Erfurt, München, Berlin. Das bin ich meinen Mandantinnen schuldig, sagt der 34-Jährige, der die Witwe Yvonne Boulgarides und ihre beiden Töchter vertritt.

    "Selbstverständlich möchte ich meinen Mandantinnen früher oder später die versprochene umfassende Aufklärung präsentieren können. Ich denke, zumindest soweit ich bis zum heutigen Tage durch die Bundesanwaltschaft informiert wurde, kann ich meinen Mandantinnen nach wie vor keine schlüssige Erklärung liefern, warum Theodorus Boulgarides ermordet wurde."

    Pause im Untersuchungsausschuss. Der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) hat die Sitzung unterbrochen. Der Zeuge Klaus-Dieter Fritsche, bis Ende 2005 Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, hat einen langatmigen staatspolitischen Vortrag gehalten und den Abgeordneten vorgeworfen, einen Skandalisierungswettstreit zu betreiben. Auf ihre Fragen hat er nicht geantwortet. Jetzt geben die Ausschussmitglieder Statements vor Kameras und Mikrophonen ab, Yavuz Narin hört zu.

    "Man kann wohl zusammenfassend sagen, dass das Vertrauen meiner Mandantinnen wie auch das Vertrauen vieler Opferangehöriger in die staatlichen Institutionen nicht nur durch die Nichtaufklärung der Taten über viele Jahre gelitten hat, sondern insbesondere auch die Art und Weise, wie der Untersuchungsausschuss von Teilen der Exekutive hier behandelt wird, verheerende Eindrücke bei den jeweiligen Opferangehörigen hinterlässt."

    Die Hinterbliebenen haben sich weitgehend zurückgezogen, werden von ihren Anwälten abgeschirmt. Die Eltern und Geschwister, die Witwen, Söhne und Töchter der Ermordeten versuchen, in ein normales Leben zurückzufinden. Für sie war es ein doppelter Schock:

    Denn jahrelang blieben die Morde unaufgeklärt. Mehr noch, die Familien der Opfer wurden selber verdächtigt. Dann plötzlich im November letzten Jahres die Wende: Die Mörder sollen Rechtsterroristen sein. Semiya Simsek, die Tochter des in Nürnberg ermordeten Blumenhändlers Enver Simsek, sagte Anfang des Jahres:

    "Das war der Schock, nach elf Jahren kam es raus, dass das Nazis waren. Die Enttäuschung war dann da, dann kamen die Fragen, warum diese Ermittlungen so lange gedauert haben, warum das so versagt hat. Man hat das Vertrauen verloren in dieses Rechtssystem."


    Einige Hinterbliebene haben Deutschland verlassen, sind in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Semiya Simsek pendelt derzeit zwischen der Türkei und Deutschland. Sie schreibt ein Buch.

    "Ich hatte bis heute eigentlich nie diese Frage: Gehöre ich in diese Gesellschaft dazu oder nicht, diese Frage hatte ich bis heute gar nicht, aber mittlerweile denke ich, wir gehören gar nicht dazu, die wollen uns gar nicht. "

    Die Hinterbliebenen verfolgen teils wütend, teils resigniert die Nachrichten aus den Untersuchungsausschüssen in Bund und Ländern. Die Liste der Pannen, Versäumnisse, Unzulänglichkeiten und Peinlichkeiten wird immer länger. Hunderte geschredderter Akten. Ermittler, die eine Hellseherin befragten, um die Mordserie aufzuklären. Die Sicherheitsbehörden haben die Gefahr, die von bewaffneten Rechtsextremisten ausgeht, systematisch unterschätzt. Ein Beispiel:

    Im Jahr 2004 erscheint ein internes Papier – Nur für den Dienstgebrauch – des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Der Titel: "Gefahr eines bewaffneten Kampfes deutscher Rechtsextremisten". Zu diesem Zeitpunkt hat der NSU unentdeckt mutmaßlich bereits fünf Menschen ermordet, fünf weitere sollen folgen.

    Das 47-Seiten-Papier gibt einen Überblick über rechtsterroristische Anschläge und Akteure. Auch die drei untergetauchten Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe werden namentlich erwähnt. Die Ermittlungen gegen die drei seien eingestellt, es hätten sich keine Anhaltspunkte für weitere militante Aktivitäten der Flüchtigen ergeben, heißt es wörtlich im Bericht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz bilanziert damals:

    Für einen planmäßigen Kampf aus der Illegalität heraus (…) fehlt es derzeit bei Rechtsextremisten nicht nur an einer Strategie zur gewaltsamen Systemüberwindung, sondern auch an geeigneten Führungspersonen, Logistik, finanziellen Mitteln sowie einer wirkungsvollen Unterstützerszene.

    Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung, wie wir heute wissen. Landesämter, Bundesamt für Verfassungsschutz und der Militärische Abschirmdienst der Bundeswehr haben statt miteinander nebeneinander hergearbeitet, so die bisherigen Erkenntnisse der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse. So führte das Berliner Landeskriminalamt einen V-Mann aus der rechtsextremen Szene in Sachsen, der vage Hinweise gab zum Aufenthaltsort der drei zuvor untergetauchten Neonazis Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt. Den Hinweisen wurde offensichtlich nicht nachgegangen.

    Es zeigt sich: Im Falle des NSU wurde aus dem Nebeneinander der Behörden ein Durcheinander, zum Teil ein Gegeneinander. Mit fatalen Folgen. Föderale Eitelkeiten behinderten die Ermittlungen genauso wie institutionelle. Eine Behörde gönnte der anderen nicht den Erfolg. Versuche des Bundeskriminalamtes, die Ermittlungen im Falle der Mordserie an sich zu ziehen, wurden vom bayerischen Landeskriminalamt harsch zurück gewiesen. Von einer Kriegserklärung gegen die Bayern soll die Rede gewesen sein.

    Als erste Maßnahme hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich eine Verbunddatei Rechtsextremismus und ein Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus gegründet. Bund und Länder, Polizei und Verfassungsschutz sitzen jetzt an einem Tisch.

    Das Bundesamt für Verfassungsschutz stärken, die Landesämter auflösen oder länderübergreifend zu größeren Einheiten fusionieren, das waren erste Vorschläge der Bundesregierung zur Reform des Inlandsgeheimdienstes. Doch die Bundesländer wiesen dies sofort weit von sich, sie wollen keine Kompetenzen an den Bund abgeben.

    Doch: Hat das Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall NSU nur Ursachen in der deutschen Sicherheitsarchitektur? Wird alles mit einem Schlag besser, wenn man die Strukturen ändert? Oder weist es nicht auch auf ganz andere Defizite bei Polizisten, Verfassungsschützern, Staatsanwälten hin? Ja, meint der Opferanwalt Mehmet Daimagüler – er vertritt die Familie des ermordeten Halit Yozgat aus Kassel.

    "Wir müssen auch einmal über das Thema sprechen institutioneller Rassismus bei den Sicherheitskräften. Wieso scheuen wir uns da, dass R-Wort in den Mund zu nehmen? Wir haben Rassismus in der Gesellschaft, wir haben auch Rassismus in den Sicherheitskräften. Und solange wir das nicht lösen, kann ich mir nicht sicher sein, dass das nicht wieder passiert."

    Der Verdacht steht im Raum – werden Migranten Opfer von Verbrechen, gehen die Ermittler anders vor als bei deutschen Opfern. Im deutschen Sicherheitsapparat gibt es tief sitzende Ressentiments gegen Zuwanderer, sagt dazu Sebastian Edathy, der Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses.

    Innerhalb eines Jahres sind die Verfassungsschutzchefs dreier Bundesländer zurückgetreten: Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt. Außerdem ging der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, im Sommer dieses Jahres frühzeitig in den Ruhestand. Die Reaktionen bei Kriminalbeamten und Verfassungsschützern schwanken zwischen Scham und Trotz. Scham über das eigene Versagen. Trotz, weil jeder Vermerk, jede Analyse, jedes Telefonat von damals mit dem Wissen von heute beurteilt wird.

    Doch vor allem die Verfassungsschützer in Bund und Länder wissen: Sie müssen dringend etwas tun, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Deshalb sollen sich die Behörden künftig weniger als Geheimdienst und mehr als Frühwarnsystem für die Demokratie verstehen, als Dienstleister für die Gesellschaft. Die Hamburger Innenbehörde hat ein entsprechendes internes Reformpapier für die Innenministerkonferenz erarbeitet, das dem Deutschlandfunk vorliegt.

    Der Verfassungsschutz muss sich weiter als tradiert öffnen, seine Aufgaben und Arbeitsweise offensiv begründen und sich nicht unnötig auf Geheimschutzargumente zurückziehen. Er muss im Alltag der Zivilgesellschaft präsenter werden, Gesicht zeigen und sich der Kritik stellen.

    Die Bundesanwaltschaft wird in Kürze Anklage gegen Beate Zschäpe erheben. Sie hatte sich vor einem Jahr selber der Polizei gestellt, sitzt seitdem im Frauentrakt der Untersuchungshaftanstalt Köln-Ossendorf und schweigt. Die Anklage wird der 37-Jährigen aller Voraussicht nach Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, schwere Brandstiftung, Beihilfe zum Mord in zehn Fällen und versuchten Mord vorwerfen. Zschäpe habe selber zwar nicht gemordet, sei aber ein ebenbürtiges Mitglied der rechtsterroristischen Vereinigung NSU gewesen, heißt es aus Kreisen der Ermittler.

    Neben Beate Zschäpe wird auch eine Handvoll mutmaßlicher Helfer angeklagt, allen voran Ralf Wohlleben aus Jena, der ebenfalls in Untersuchungshaft sitzt. Das frühere NPD-Mitglied Wohlleben war derjenige, der bis zuletzt Kontakt zum Trio hielt und die drei in vielfältiger Weise unterstützte. So soll er nach ihrem Unterauchen Geld in der rechtsextremen Szene für sie gesammelt haben. Aller Voraussicht nach angeklagt wird auch der geständige Carsten S. Er soll dem Terrortrio die Waffe besorgt haben, mit der Böhnhardt und Mundlos die neun Migranten erschossen. Eine Ceska 83 mit Schalldämpfer.

    Bekennerschreiben wie die RAF kannte der NSU nicht. Rechtsterroristen operieren nach der Devise: Taten statt Worte. Die Mordwaffe ersetzte das Bekennerschreiben. Denn neun Migranten wurden mit der Ceska ermordert. Diese Botschaft verstanden vielleicht einige türkische Migranten, die deutschen Sicherheitsbehörden verstanden sie nicht.