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Geschichte eines Skandals

Eine der Großtaten der Kultusministerkonferenz seit Gründung der Bundesrepublik ist die Rechtschreibreform, zu der man frei nach Karl Kraus nur sagen kann: zur Rechtschreibreform fällt mir nichts ein. Am Donnerstag steht die Rechtschreibreform wieder auf der Tagesordnung der Kultusministerkonferenz, aber diesmal geht es um eine behutsame Rückabwicklung dieses durch und durch verkorksten, und – wie Autor Christoph Schmitz darlegt – verfassungsfeindlichen Projekts.

Von Christoph Schmitz | 01.03.2006
    Die Geschichte der Rechtschreibreform ist eine entlarvende Geschichte darüber, wie eine Reform nach einem ideologischen Start am Ende um ihrer selbst Willen durchgesetzt wird, bar jeder Vernunft. Und sie eine Geschichte fortgesetzter Skandale. Dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft nicht viel von den jüngsten Korrekturen des Rates für deutsche Rechtschreibung halten würde, war klar. Schließlich hatte ihre linke Bildungspolitik in den frühen 70er Jahren die Reform der Orthographie mit befördert.

    Die bewährten Schreibweisen wurden als bürgerliches Herrschafts- und Selektionsinstrument denunziert. Ohne Rücksicht auf die historisch und literarisch gewachsene Gestalt der niedergeschriebenen Sprache sollte radikal kleingeschrieben und radikal lautiert werden. Im Zuge der Bildungsreformen hatten dann die Kultusminister einseitig die reformlustigen Sprachwissenschaftler ans Werk gelassen, deren Eifer sie erst in den 80er Jahren, vor allem nach öffentlichen Protesten, eindämmen wollten. Im Stillen aber - ein erster Skandal - wurde in verschiedenen Gremien weiter gewerkelt, bis in die frühen 90er Jahre. Die Reform war nun einmal auf den Weg gebracht, und was man anfängt, soll man auch beenden, mögen sich die Kultusminister gedacht haben.

    Nach erneuten Protesten und Rücknahmen segneten sie schließlich ein Schrumpfversion ab, die 96 an den Schulen eingeführt wurde, aber weder von Schriftstellern, noch von Wissenschaftlern und Verlegern und auch nicht von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert wurde - bis heute nicht – ein zweiter Skandal.

    Deswegen installierte die Konferenz der Kultusminister vor gut einem Jahr den Rat für deutsche Rechtschreibung, der die ärgsten Fehler des ungeliebten Regelwerks beseitigen sollte. Um es aber nicht gänzlich auszuhebeln, besetzte die KMK den Rat vorsorglich mehrheitlich mit den alten Reformern – ein weiterer Skandal.

    So hat der Rat zwar weitere Fehler beseitigt, aber nicht den Fehler der Reform. Einer Reform, die im Grunde gescheitert ist, wie jüngst die letzte Präsidenten der KMK, Johanna Wanka, zugeben musste. Zurückgenommen wird sie "aus Gründen der Staatsräson" nicht, wie Frau Wanka einräumte, was wahrlich keine demokratische Kategorie ist – die Liste der Skandale ist lang. Dazu gehört auch, dass die Politik einfach davon ausgeht, dass sich alle Bürger ihren Vorgaben zur Schreibweise anschließen müssen, obwohl die Kultusminister Regelungsmacht nur für die Schulen haben und das auch nur nach Maßgabe des allgemeinen Schreibgebrauchs.

    Der eigentliche Skandal aber ist ein verfassungsrechtlicher. Der Jenaer Verfassungsrechtler Rolf Gröschner hat ihn klar benannt und logisch begründet: Menschenwürde ist Entwurfsvermögen. Ausdruck des Entwurfsvermögens ist die Kultur. Zur Kultur gehört die Sprache, zur Sprache die Schriftsprache. Der Staat hat dafür zu sorgen, dass sich Menschenwürde und Kultur bestmöglich entfalten. Also auch die Schriftsprache. Doch was in der Schriftsprache richtig und falsch ist, bestimmt nicht der Staat, sondern die Kulturgemeinschaft der Schreibenden. Durch die Rechtschreibreform will der Staat bestimmen, was richtig ist und falsch. Also verstößt sie gegen die Menschenwürde und ist verfassungswidrig. So einfach ist das. Das Oberverwaltungsgericht von Lüneburg hat im Sommer diese Ansicht unterstützt. Die Politik lässt sich davon aber nicht irritieren. Am Ende wird sie dennoch nicht entscheiden, wie allgemein geschrieben wird, das entscheidet die Kulturgemeinschaft.