Wohnkosten in München

Der Miete wegen in den Norden

07:58 Minuten
Ein historisches Stadtpalais erhebt sich vor blauem Himmel.
Keine Berge, aber auch schön: Itzehoe in Schleswig-Holstein, die neue Heimat von Pflegepädagogin Isabell Wäß. © imago images / imagebroker / Thomas Robbin
07.01.2022
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Polizeibeamtinnen, Bäckereiverkäufer, Bedienungen: Viele verlassen mit ihren Familien München, weil die Mieten zu hoch sind. Auch Pflegepädagogin Isabell Wäß – nachdem auch eine ungewöhnliche Idee nicht klappte. Den Umzug in den Norden bereut sie nicht.
Isabell Wäß ist vor knapp zwei Jahren aus ihrer Wahlheimat München weggezogen. Jetzt lebt sie mit ihrer Familie in einer Eigenheimsiedlung am Stadtrand von Itzehoe, eine Zugstunde von Hamburg entfernt. München fehlt ihr, vor allem die Sprache und die Berge. Die Stadt habe sie mit einem „Rausgeschmissen-Gefühl“ verlassen, erzäht Wäß.
Sie seien „klassischer Mittelstand“, sagt sie. „Wir sind zwei Menschen, die in der Pflege arbeiten. Ich als Pflegepädagogin, mein Mann als Pfleger – frisch ausgebildet.“
Die beiden verdienen in ihren Berufen nicht wenig, sie haben ein Haus gekauft für sich und ihre zwei Kinder, vier und sechs Jahre alt, mit großem Garten. Als klassischer Mittelstand kann man das noch in einer Kleinstadt hier oben im Norden. Den Kaufpreis will Isabell Wäß nicht öffentlich machen. Nur so viel: Für das Geld, das sie hier bezahlen für ein geräumiges Haus, Baujahr 2006, bekämen sie in der Münchner Vorstadt mit Glück eine Ein-Zimmer-Wohnung mit 70er-Jahre-Standard.
In München hätten sie mit ihrem Einkommen also nur zur Miete leben können. Sie hätten beide Vollzeit arbeiten müssen, ein Gehalt allein hätte nicht zum Leben gereicht – es wäre netto wohl nur etwas mehr als eine Monatsmiete gewesen. Sie hätten mit Fixkosten in Höhe von 1500 bis 2000 Euro aufwärts rechnen müssen. Da seien sie hier in Schleswig-Holstein bei Weitem nicht. „Und wir bezahlen hier ein Haus ab. Also, das sind einfach zwei Universen, die da aufeinanderprallen.“

Kampf ums Bleiben in München

Dabei hat Isabell Wäß um das Universum München gekämpft. Vor gut drei Jahren war ihr Foto auf den Seiten der Münchner Lokalzeitungen – und auch im Deutschlandfunk Kultur lief ein Porträt über sie. Damals startete sie eine ungewöhnliche Medienkampagne in eigener Sache.
Ein Blick zurück: Zunächst schreibt Isabell Wäß einen öffentlichen Brandbrief, den so gut wie jede Pflegekraft in München auch heute noch, drei Jahre später, unterschreiben könnte.
„Das kriege ich auch immer wieder von Kollegen und von meiner Stationsleitung bestätigt, dass einfach viele Pflegende aus München weggehen, gerade wenn sie Familie haben, weil München zu teuer ist“, sagte Isabell Wäß im Interview 2018. Ihr Arbeitsplatz zu dieser Zeit: die kinderkardiologische Intensivstation in Großhadern. „Wir haben einen chronischen Personalmangel mit 50 Prozent Bettenschließung. Und das seit vielen Jahren."
Isabell Wäß‘ Fazit damals: „Wir sind eigentlich das Kapital von München.“ Wenn aber München das nicht erkenne, dass so viele Familien in bestimmten Branchen wegzögen, weil sie sich die Stadt nicht mehr leisten können – dann könne sie nur warnen: „München, deine Basis bröckelt.“

„Von der Hand in den Mund – wenn Arbeit kaum zum Leben reicht“: Das ist das Thema der Deutschlandradio-Denkfabrik 2022. Das ganze Jahr über beschäftigen wir uns in Reportagen, Berichten, Diskussionen und Interviews mit der Lage der Arbeitswelt in Deutschland. Unsere Beiträge können Sie hier online hören und lesen.

Damals, im Herbst 2018, empfängt Isabell Wäß in einer gemütlichen Wohnung in München-Sendling – 69 Quadratmeter für damals schon unschlagbare 600 Euro Monatsmiete dank altem Mietvertrag. Doch die zweieinhalb Zimmer werden der Familie zu klein.
Über ihre damalige Idee berichtet sie: Darauf gekommen sei sie durch die Freundschaft mit einer Familie mit drei kleinen Kindern in ihrem Haus. „Ich wurde immer mal wieder nach Rat gefragt bei irgendwelchen medizinischen Sachen. Und ich helfe natürlich gerne.“ Ihr sei der Gedanke gekommen: Warum nicht mit ihrem Pflege-Know-How jemandem helfen, der zum Beispiel einen Angehörigen pflegt, oder jemandem, der selbst chronisch krank ist. „Dass man einfach da ist als Ansprechpartner.“

Idee funktioniert nicht

Das ist der eine Teil des Deals, den Isabell Wäß und ihr Mann München damals anbieten, genauer gesagt, den Münchnerinnen und Münchnern mit einem zu pflegenden Angehörigen und etwas zu viel Wohnraum – vier Zimmer zum Beispiel. In diese wären sie mit Kindern gerne eingezogen und hätten dafür einen moderaten Mietpreis von bis zu 1000 Euro gezahlt. Das wäre der andere Teil des Deals gewesen. Eine gute Idee, findet Isabell Wäß auch heute noch.
Eine Mehrgenerationen-WG hätte es werden können – Co-Living würde man neudeutsch sagen. Aber: Ihre Idee, der öffentliche Brief, die Medienberichte – „das hat in München nicht funktioniert“, sagt Wäß. Das einzig Konkrete, was sie bekommen hätten, sei ein Angebot von einem Arbeitgeber aus dem Osten gewesen.
Doch Isabell Wäß und ihr Mann gehören einer Berufsgruppe an, in der man über Stellenangebote nur müde lächeln kann. Arbeit finden sie überall. Und so suchten sie nach einem eigenen Häuschen.

Traumhaus im Norden

Der Süden Deutschlands war zu teuer, und besonders eine süddeutsche Großstadt wie München können sich viele einfach nicht mehr leisten: Polizeibeamtinnen, Bäckereiverkäufer, Bedienungen in Restaurants – obwohl sie tagtäglich hart arbeiten.
Isabell Wäß steht mit Kapuze auf dem Kopf vor einer Scheibe mit Weihnachtsdekoration an ihrem Holzhaus und lächelt in die Kamera.
Ihr Haus in Itzehoe sei wie ein Sechser im Lotto, sagt Isabell Wäß.© Deutschlandradio / Tobias Krone
Dann zog die befreundete Familie aus ihrem Haus von München in den Norden und Isabell Wäß fand auf dem Basar der Itzehoer Waldorfschule das Angebot für ihr jetziges Haus mit mehr als 200 Quadratmeter Wohnfläche. Wie ein Sechser im Lotto für sie: „Ein Haus von 2006, komplett ökologisch gebaut mit Pelletheizung und Solarthermie.“
Wenn sie in München geblieben wären, in ihren zweieinhalb Zimmern? „Also, gerade in Hinblick auf den Lockdown – ich mag es mir gar nicht ausmalen", so Isabell Wäß.

Auch in Itzehoe wirds teurer

In der neuen Heimat können die Kinder allein auf den Spielplatz nebenan und später zum Baden an den See hinter dem Wäldchen. Das Städtchen Itzehoe mit seinen Bausünden in der Altstadt bietet einen begrenzten Einkaufscharme, einige Läden stehen leer. Und doch steigen auch hier die Immobilienpreise, denn auch die Menschen in Hamburg drängt es vermehrt aufs Land.
„Meine Freundin hat ja immer geworben, sie sagt in Schleswig-Holstein wohnen die glücklichsten Menschen", erzählt Isabell Wäß. "Ja, die Schleswig-Holsteiner sind schon nett.“ Dass die Menschen verschlossen seien, wie viele dächten, könne sie absolut nicht bestätigen.
Und somit zählt sich die 42-jährige Ex-Münchnerin – trotz aller Bergsehnsucht – inzwischen auch zu den glücklichen Menschen im Norden.
Audio: Tobias Krone
Onlinetext: abr

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