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Manchester United
Verfall eines Weltclubs

Viele Jahre war Manchester United das Nonplusultra im Weltfußball. Die Nummer eins in Sachen Umsatz, ein Dauergast in Europapokalfinals, eine Macht in England. Diese Zeiten sind vorbei. Trotz einer teuren Mannschaft versinkt der Club im Chaos. Als Schuldige werden die profitorientierten Eigentümer ausgemacht.

Von Constantin Eckner | 28.08.2022
Manchester-United-Fans bei einem Protestmarsch zum Stadion Old Trafford.
Manchester-United-Fans bei einem Protestmarsch zum Stadion Old Trafford. (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Andy Barton)
Tausende auf dem Weg zum Stadion. Eigentlich ein normales Bild vor einem Fußballspiel. Nicht so am vergangenen Montag in Manchester. Als Zeichen des Protests gehen viele Anhänger von Manchester United geschlossen zum altehrwürdigen Old Trafford. Die Gesänge richten sich gegen die „Glazers“.

Der Name "Glazer" ist in Verruf geraten

Der Familienname „Glazer“ steht in Manchester synonym für Niedergang. Malcolm Glazer, der mittlerweile verstorbene Self-Made-Milliardär von der amerikanischen Ostküste, und seine Söhne hatten die Mehrheitsanteile von United in mehreren Schritten bis 2005 erworben. Sportlich zählte der Club bis vor kurzem zur europäischen Spitze. Nun häufen sich die Niederlagen auf dem Rasen. Der Protest gegen das generelle Gebaren der Eigentümer ist jedoch nicht neu.
„Wir haben bereits 2005, 2009, 2010, 2011 protestiert. Selbst als wir die Premier League gewannen, haben wir gegen die Glazers protestiert. Es geht also nicht nur darum, dass kein guter Fußball gespielt wird. Es geht auch darum, dass du Typen hast, denen Manchester United ganz offensichtlich egal ist, abgesehen von den finanziellen Einnahmen. Sie wissen nicht, was sie tun“, sagt Jay Motty.
Die Fans protestieren gegen die Eigentümer von Manchester United, die Familie Glazer.
Die Fans protestieren gegen die Eigentümer von Manchester United, die Familie Glazer. (IMAGO / ZUMA Wire / IMAGO / Andy Barton)
Er ist seit den Achtzigerjahren Anhänger und betreibt mittlerweile mit anderen den erfolgreichen YouTube-Kanal „Stretford Paddock“. Seine Videos schauen Hundertausende – und stimmen in diesen Tagen mit Mottys Kritik an den Glazers überein: „Sie haben keine Ahnung, wie man einen erfolgreichen Fußballclub führt. Sie wissen nur, wie man den Club melkt und finanziell schröpft. Die Fans haben genug davon – und das vollkommen zu Recht.“
Anders als beispielsweise für die Superreichen aus der Golfregion, die sich in den Fußball einkaufen, war die Übernahme von Manchester United für die Glazer-Familie ein kompliziertes Geschäft. Einfach gesagt wurden die notwendigen 800 Millionen Pfund über Anleihen eingeworben. Als Sicherheit für einen großen Teil dieser Summe wurde Manchester United selbst genutzt. Ergo, der Club war auf einen Schlag verschuldet. Kalkulationen besagen, dass die Familie seit 2005 rund 1,1 Milliarden Pfund in Form von Vergütungen, Dividenden, Zinszahlungen und Schuldenrückzahlungen aus dem Verein gezogen hat.
Jay Motty zeigt sich verärgert: „Wäre das Geld doch nur in Transfers geflossen oder in die Erneuerung des Stadions investiert worden. Manchester United könnte jetzt ein Stadion haben, auf das man stolz sein würde. Old Trafford fällt auseinander. Das Dach ist nicht dicht, man wird in manchen Sektionen eingequetscht, die Sicht ist nicht gut und all so etwas. Ich weiß, die Atmosphäre kann großartig sein, aber das Stadion an sich zerfällt. Und man stelle sich vor, die hätten diese 1,1 Milliarden investiert. Wir könnten das beste Stadion der Welt haben.“

Ferguson hinterließ eine große Lücke

Sportlich geht es nun seit einigen Jahren bergab. Nachdem der langjährige Erfolgstrainer Sir Alex Ferguson 2013 zurückgetreten war, gab es ein munteres Kommen und Gehen im Old Trafford. Ferguson führte United noch auf traditionelle Weise, als beständiger Kapitän an der Spitze. Paul Hirst, der für die britische Tageszeitung „The Times“ über Manchester United berichtet, erinnert sich: „Er konnte einfach alles: eine Scouting-Abteilung leiten, die erste Mannschaft trainieren. Er wusste, wie er mit den Medien umgehen musste. Er trat sogar in den Austausch mit der Marketingabteilung. Im Grunde hätte United nach dem Abgang von Sir Alex Ferguson drei oder vier Personen anheuern müssen, um jene Aufgaben auszufüllen, die er während seiner Zeit als Cheftrainer übernommen hatte.“
Genau das geschah jedoch nicht. Ferguson war 27 Jahre Trainer von Manchester United. In den vergangenen neun Spielzeiten versuchten sich fünf Trainer, darunter zuletzt interimsweise der Deutsche Ralf Rangnick. Eigentlich sollte Rangnick als Berater dem Verein treu bleiben und bei sportlichen Entscheidungen zur Seite stehen. Aber dieses Arrangement wurde bereits im Vorfeld wieder aufgekündigt.

Wirtschaftlicher Abstieg über die Jahre

Ständige Trainerwechsel, mangelnde Kompetenz auf den Entscheidungsebenen, desinteressierte Eigentümer – das ist eine Rezeptur, um selbst einen Weltclub wie Manchester United zugrunde zu richten. Mittlerweile ist United nicht mehr der umsatzstärkste Fußballverein der Welt. Dieses von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte jährlich veröffentlichte Ranking wurde über Jahre angeführt. Aktuell ist United nur noch auf Rang fünf, während Stadtrivale Manchester City die Spitzenposition übernommen hat.
Derweil fordern United-Anhänger das Ende der Glazer-Ära. Die Amerikaner selbst sollen einem Verkauf nicht komplett abgeneigt sein, wie Paul Hirst weiß: „Sie wollen, dass es zu einem Bieterkrieg kommt. Sie wünschen sich, dass fünf, sechs Bieter, vielleicht sogar mehr, mit Angeboten in Milliardenhöhe an sie herantreten. Und dann verkaufen sie den Club an den Höchstbietenden. Aber wenn es kein wirklich hohes Angebot von vielleicht sechs Milliarden Pfund gibt, dann werden sie einen Verkauf nicht in Betracht ziehen. Allein aus dem Grund, dass sie so viel Geld aus dem Club über Dividenden und so weiter herausholen.“

Milliardenschwerer Interessent aus Manchester

Als möglicher Käufer hat sich Sir Jim Ratcliffe ins Spiel gebracht. Der CEO des Chemiegiganten Ineos hätte das nötige Kleingeld, sein Privatvermögen wird auf 13 Milliarden Pfund geschätzt. Ineos ist bereits im Profisport aktiv, hat 2019 das erfolgreiche Radsportteam von Sky übernommen, ist Eigentümer der Fußballclubs OGC Nizza und FC Lausanne-Sport sowie Minderheitsanteileigner vom Formel-1-Team Mercedes. Im Fall von United wird die Angelegenheit für Ratcliffe jedoch persönlich. Er wuchs im Umland von Manchester auf und war als Kind Anhänger des Vereins. Dem 69-Jährigen soll es dem Vernehmen nach weniger um den eigenen Profit gehen. Aber ob die Glazers wirklich loslassen, wird sich erst noch zeigen.
Was für Manchester United spricht, ist der Name selbst, der nach Jahrzehnten voller Titel immer noch viel Wert ist. Paul Hirst kann das bezeugen: „Ich habe United auf deren Sommertour in Thailand und Australien begleitet. Die Zuschauer in Bangkok waren außer sich wegen United. Es warteten schon allein hunderte Fans in der Hotellobby. Der Club hat eine enorme Anziehungskraft.“