Dienstag, 30. April 2024

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LIDAR-Archäologie
Menschheitsgeschichte im Laserscan

Das Wissen über die Maya oder Khmer rankt sich vor allem um ihre steinernen Prachtbauten. Doch wer waren die Menschen, die sich dort versammelten? Die Lasertechnologie LIDAR bietet ganz neue Einsichten - und revolutioniert dabei die Archäologie.

Von Lucian Haas | 01.05.2022
LiDAR-Aufnahme von Uedem bei Xanten: Zu erkennen sind mehrere rechteckige Römerlager, daneben aber auch vorrömische Grabhügel, historische Hohlwegesysteme sowie Stellungen aus dem 2. Weltkrieg.
Auf einem normalen Luftbild wären hier nur Bäume zu sehen - der Lidar-Scan enthüllt die Relikte aus über 2.000 Jahren Kulturgeschichte (Steven Bödecker/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege/GeoBasis NRW)
Dies ist die Geschichte, wie eine Technik zum Scannen kompletter Landschaften
der Archäologie zu ganz neuen Einsichten verhilft. Die Technik heißt: Lidar.

Damian Evans:"Lidar erlaubt uns, feine topographische Variationen auf der Oberfläche der Landschaft sehr detailliert und klar zu erkennen – selbst unter dichter Vegetation."

Daniela Triadan: "Es hätte Jahrhunderte gebraucht, um mit alten Methoden die gleichen Daten zu kriegen."

Nikolai  Grube: "Also ganz einfach gesagt: Sowohl was die Qualität, als auch was die Quantität der Daten betrifft, ist Lidar eine Revolution für die Maya-Archäologie."

Sarah Klassen: "Es ist schwer, sich Angkor ohne Lidar-Daten überhaupt vorzustellen. Wenn man sich frühere Karten ansieht, zeigen sie für zentrale Bereichen von Angkor nur leeren Raum. Jetzt taucht auf einmal eine ganze Stadt auf."

Hochkulturlandschaften: Menschheitsgeschichte im Laserscan

Im Kottenforst nahe der Siedlung Heiderhof bei Bonn. Durch den lichten Mischwald führt ein viel genutzter Waldweg. Spaziergänger, Jogger, Fahrradfahrer. Ein Detail bleibt ihnen aber verborgen. Der Weg führt mitten über ein Bodendenkmal. Hier haben römische Soldaten vor fast 2.000 Jahren ein Marschlager errichtet.

„Wir stehen hier mitten im Wald, man sieht viele Bäume. Aber von Lager ist hier nichts zu sehen.“ „Ja, wir stehen hier gerade auf dem Lagerwall. Wir sind praktisch, ohne es erstmal zu merken, schon drüber gegangen, und man muss sich zunächst etwas einsehen.“

Steve Bödecker vom Landesamt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, zuständig für das Unesco-Welterbe "Niedergermanischer Limes", kennt sich aus mit subtilen Spuren, die die Römer hinterlassen haben: „Ja, wir können gerade mal hier in die Richtung gucken. Wir gucken auf einen großen Baum zu, und dann sehen wir, dass das Gelände nach links etwas abfällt. Dann geht es etwas hoch und fällt wieder ab. Und wenn wir in die andere Richtung schauen, dann sehen wir, dass da auch wieder wellige Strukturen sind.“

Er breitet beide Arme aus und zeigt damit in Richtung der beiden Bodenerhebungen. „Dann hat man schon einen rechten Winkel. Und wir befinden uns gerade in der Ecke von einem römischen Lager. Denn die sind immer ganz rechteckig.“

Geländemodell macht Römerlager sichtbar

Es braucht schon einen sehr erfahrenen Blick, um diese Strukturen im Wald auch nur zu erahnen. Steve Bödecker hat spezielle Karten dabei. Sie basieren auf Daten des Landesvermessungsamtes Nordrhein-Westfalen. Das hat die Topographie der Landschaft vor einigen Jahren flächendeckend und bis auf rund zehn Zentimeter genau aus der Luft vermessen – mit einem Laserscanverfahren namens Lidar. Erst damit wurden die im Wald versteckten Spuren der Römer entdeckt.

„Ja, jetzt sehen wir hier mal aus dem Computer so eine Darstellung eben von den Wällen, auf denen wir gerade stehen. Das erkennt man auch dann sehr schön an dem schattierten Geländemodell, bei dem man dann noch die Höhenstufen einfärben kann, das macht es dann noch wesentlich plastischer.“

Steve Bödecker zeichnet mit einem Finger die farbigen Linien auf der Karte nach: es sind die typischen Elemente eines römischen Lagers: „Also eine rechteckige Wallanlage, die an den Ecken immer wie so eine Spielkarte abgerundet ist. Und wir erkennen dann noch an den Seiten so Knubbel. Das ist eine ganz spezielle Torform. Und das macht es dann auch so einfach, den Römer zu erkennen, denn das hat sonst so niemand gemacht.“

„Ich sehe jetzt hier blaue Farbe, gelbe Farbe, grüne, rote. Das sind dann Höhenstufen, die sie einfach mit diesem Laserscan erfasst haben?“ „Genau. Blau ist hier ganz niedrig. Aber dann orange und rot, was also besonders hoch ist. Da sehen wir jetzt hier die römischen Wälle, die noch über dem normalen Geländerelief herausragen.“
Lidar-Aufnahme Kottenforst bei Bonn - die typischen "spielkartenförmigen" Rechtecke mit den charakteristischen Toren sind die Relikte von Römerlagern verschiedener Größe
Ein Römerlager neben dem anderen - hier haben offenbar verschiedene Truppenteile gemeinsam Manöver durchgeführt ((Steven Bödecker/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege/GeoBasis NRW))

Antike Spuren im Wald besonders gut erhalten

Das römische Lager bei Heiderhof ist nicht das einzige, das erst dank solcher Lidar-Scans entdeckt wurde. „Wir sehen jetzt hier im Laserscan auch mal eine andere Ecke vom Kottenforst. Auch da haben wir genau solche Anlagen. Spielkartenartige Grundform, man sieht auch sehr schön wieder an den Clavicula, dass wir es mit römischen Lagertoren zu tun haben. Wenn man dann praktisch herauszoomt, dann sieht man viele andere Lager in der Nähe und immer wieder tauchen diese Lager in so Gruppen auf. Mal liegen drei Lager in der Reihe. Ein kleineres, ein mittleres und ein großes, wie so eine Entenfamilie. Dann liegen mal zwei Lager nebeneinander, oder sie sind praktisch so kreisförmig irgendwo auf einen gemeinsamen Punkt hin ausgerichtet und zueinander versetzt.“

All das wird in seiner ganzen Dimension erst im Lidar-Scan deutlich. Auf Basis der Verteilung der Lager in der Landschaft kann Steve Bödecker eine genauere Vorstellung davon gewinnen, wie die Römer einst agiert haben. „Also wir können hier der römischen Armee zuschauen, wie sie überlegt hat: Wie gestaltet sie ihre Manöver. Wir sehen durch die unterschiedlichen Lagergrößen, dass offenbar verschieden große Truppen auch zusammen geübt haben. Und wir bekommen da ganz neue Einblicke in die Organisation solcher Manöver.“

Möglich sind derlei Erkenntnisse, weil die Spuren früherer Kulturen in der Landschaft im Wald besonders gut erhalten geblieben sind. Nur finden muss man sie dort erst einmal. Und da hat die Lidar-Technik in manchen Bereichen der Archäologie in den letzten Jahren geradezu Bahnbrechendes geleistet.

Bäume und Blätter lassen sich ausblenden

Ein Lidar ist vergleichbar mit einem Radar, nur dass es nicht mit Radiowellen, sondern mit Licht arbeitet. Laserlicht. An Flugzeug oder Helikopter montiert, schickt der Lidar-Scanner im Flug Abermillionen kurzer Laserpulse fächerartig Richtung Boden. Dabei misst er, wie lange es dauert, bis jeder Lichtpuls reflektiert wird. Das kann – etwas früher – von der Oberfläche eines Blattes an einem Baum sein. Das kann aber auch vom Boden sein, wenn immer mal wieder ein Laserpuls zufällig eine Lücke zwischen den Blättern findet.
Am Ende eines Messfluges ist im Lidar-Gerät eine Punktewolke mit Milliarden von Positions- und Höhendaten gespeichert. Nimmt man davon nur die lokal jeweils am tiefsten liegenden Punkte, so zeichnen sie die Topographie auf Bodenniveau nach. Die darüber liegende Vegetation wird gewissermaßen ausgeblendet, die Kronen der Urwälder zum Beispiel, wie sie in Mittelamerika vorherrschen – im Süden Mexikos, im Tiefland Guatemalas, in Honduras und Belize. In dieser Region beginnt vor rund 3.000 Jahren der Aufstieg der Maya. Ihr Ursprung liegt im Dunkeln.

Die Maya rechneten im Vigesimalsystem mit der Zahl 20 als Basis, nutzten eine komplexe Schrift mit rund 700 Zeichen und beobachteten die Sterne mit erstaunlicher Präzision. Ihre Götter verlangten Menschenopfer. Imposant und bis heute erhalten sind ihre Tempel- und Pyramidenbauten. Sie bildeten die Zentren der Macht von Stadtstaaten mit klangvollen Namen wie Tikal, Calakmul, Copán, Chichén Itzá oder Caracol.
Nikolai Grube (weißes Hemd) und sein Kollege Lolmay Pedro Garcia Matzew begutachten eine der ältesten Maya-Handschriften der Welt
Maya-Experte Nicolai Grube: "Wenn man die Integration einer Siedlung in das Umland verstehen will, bietet sich Lidar einfach an.“ (imago/Sven Ellger)

Durchbruch für die Maya-Archäologie

Wie es im Umland aussah, wie die Menschen lebten, die das alles errichtet haben, und wie viele sie eigentlich waren – dazu gab es lange Zeit kaum Erkenntnisse. Nikolai Grube, Altamerikanist und Maya-Forscher an der Universität Bonn: „In der Maya-Archäologie haben wir begonnen über Lidar zu sprechen - ja, vielleicht so vor 15 Jahren. Aber tatsächlich zum ersten Mal umgesetzt worden ist dann die Lidar-Technologie erst 2009.“

Es war das US-Archäologenpaar Arlen und Diane Chase, die heute am Pomona College in Kalifornien arbeiten, erzählt Grube. Seit 1985 hatten sie alljährlich klassische Grabungen in der großen Maya-Stätte von Caracol in Belize durchgeführt. Je weiter sie sich mit Macheten und Grabschaufeln durch den Urwald im Grenzgebiet zu Guatemala kämpften und immer neue Überreste von Siedlungsstrukturen der Maya fanden, desto mehr hatten sie den Eindruck: Caracol dürfte viel größer sein, als sie mit klassischer Archäologen-Arbeit zu ihren Lebzeiten je würden kartieren können. So kamen sie auf die Idee, Hunderte Quadratkilometer der Region vom Flugzeug aus per Lidar zu erfassen. Und tatsächlich: In den Scans waren die Spuren der Maya überall in der Landschaft zu erkennen.

„Das war eine Sensation. Denn sie konnten damit zeigen, dass Caracol viel dichter besiedelt war, als man bis dahin dachte. Vorher gab es keine Zahlen. Man dachte schon, Caracol ist eine große Stadt, die ist dicht besiedelt; und wahrscheinlich so wie andere Maya-Städte auch, vielleicht 20.000, 30.000 Menschen. Aber mit 130.000 Menschen geht man eben doch deutlich über alle früheren Schätzungen hinweg.“

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Bedeutung vergleichbar mit der Radiokarbon-Datierung

Durch den Blick von oben werden in den Lidar-Daten Muster im Gelände erkennbar, die man – wie beim Römerlager bei Heiderhof – mit bloßem Auge im Wald schnell übersieht. Die Mayas hinterließen zwar Pyramiden aus Stein, aber ihre Hütten waren aus Holz. Die sind schon lange verrottet. Trotzdem sind menschengemachte Veränderungen in der Landschaft immer noch wie eingemeißelt.

„Das sind ja nicht nur Hausreste oder Gebäudereste. Sondern wir finden Brunnen, wir finden Wasserstellen, wir finden Wege, wir finden Begrenzungen von Äckern, Terrassenanlagen und sogar Verteidigungsanlagen.“ Selbst für Arlen Chase, der nach fast 30 Jahren Ausgrabungen in Caracol geglaubt hatte, die Geschichte der Mayas schon tief verstanden zu haben, öffnete sich nochmals eine neue Welt. Er erzählt, wie es war, als sich auf dem Monitor seines Computers erstmals die digitalen Höhenprofile aufbauten.

„Es war einfach umwerfend. Ich habe die ganze nächste Woche nichts Anderes getan, als mir die Scans anzuschauen und das Ganze in größerem Maßstab am Computer durchzugehen. Das mache ich immer noch. Es ist einfach phänomenal, was man sehen kann. Es war das erste Mal, dass wir zeigen konnten, dass die Maya tatsächlich die gesamte Landschaft terraformiert hatten.
Für die Maya-Archäologie ist Lidar von ähnlicher Bedeutung wie die Einführung der Radiokarbondatierung. Mit der Radiokarbondatierung bekamen wir den Überblick über die Zeit. Und Lidar gibt uns jetzt einen Überblick über den Raum, den wir so bisher nicht hatten.“

Laserscan offenbart ausgedehnte Kulturlandschaft

Die sensationellen Erkenntnisse zur Maya-Stätte Caracol regten bald auch andere an. Nikolai Grube: „Man kann sagen, dass in den letzten zehn Jahren fast jedes große archäologische Projekt auch von einem Lidar-Projekt begleitet wird. Man kann nicht sagen, es ist eine Pflicht in der Maya-Archäologie. Aber in dem Moment, wo man die Integration einer Siedlung in das Umland verstehen will, bietet sich Lidar einfach an.“

Das bislang größte Projekt ist die „Pacunam Lidar Initiative“. Pacunam ist die Stiftung für das Kultur- und Natur-Erbe der Maya in Guatemala. Zusammen mit weiteren Geldgebern aus den USA finanzierte sie im Jahr 2016 eine weiträumige Befliegung des Petén. Dieses Tiefland Guatemalas erlebte die Blütezeit der Maya-Kultur in der sogenannten klassischen Periode. Das war im ersten Jahrtausend unserer Zeit, mit Tikal als zeitweilig mächtigstem Zentrum. Mehr als 2.000 Quadratkilometer wurden erfasst; eine Fläche fast so groß wie das Saarland. Gleich 16 Forschungsinstitute bildeten ein internationales Konsortium, um die Daten seither Stück für Stück auszuwerten.
Schon die erste Veröffentlichung, 2018 im Fachjournal Science, sorgte für Schlagzeilen: Laserscans hätten eine riesige Metropolregion der Maya im Dschungel offenbart. Mit Städten von über 100.000 Einwohnern und einem fast durchgängig besiedelten oder für die Landwirtschaft genutzten Umland.

Francisco Estrada-Belli von der Tulane University, einer der Forschungsleiter: „Das hat mich schockiert. Ich hatte nicht erwartet, dass das ganze Land kultiviert worden war, sozusagen. Das könnte ausgesehen haben wie eine Kulturlandschaft in England, Frankreich oder Spanien.“
Plaza A, Structure A6 -"Temple of the Wooden Lintel", eines der ältesten Bauwerke in der Maya-Fundstätte Caracol in Belize
Die Bauten der Maya standen offenbar ursprünglich keineswegs mitten im Wald - wie das die heutige Situation suggeriert (imago/agefotostock/Jane Sweeney)

Urwald hatte den Blick versperrt - in jeder Hinsicht

Der heute im Petén vorherrschende Urwald, den man auf Basis der neuen Erkenntnisse mittlerweile als Sekundärwald einstufen muss, hatte jahrelang den Blick auf das große Ganze der Maya versperrt. Straßen, die vom Land in die Städte führten. Marktstrukturen. Dichte Besiedlung. Das gesamte Tiefland könnte zur Blütezeit der Maya auf eine Bevölkerung von elf bis 15 Millionen gekommen sein. Eine der damals am dichtesten besiedelten Regionen der Welt.

„Wir hatten eine Art Tunnelblick, und Lidar hat das drastisch verändert. Wir können erstmals ganze Städte und die Landschaft um sie herum sehen. Wir können sehen, wie die Maya die Landschaft verändert haben und wie die ländlichen Gebiete mit den städtischen Gebieten verbunden waren. Das verändert unser Verständnis der Wirtschaft und vieler anderer Aspekte der Zivilisation. Es verändert nahezu alles, was wir über die Maya wissen.“

Interessanterweise haben Archäologen in einer anderen tropischen Weltregion ganz ähnliche Erfahrungen und Beobachtungen gemacht – in Kambodscha, Südostasien.

Vom 9. bis 15. Jahrhundert beherrschte das Volk der Khmer eine Region, die sich heute neben Kambodscha auch in Länder wie Thailand, Myanmar, Laos und Vietnam erstreckt. Das Zentrum des Khmer-Reiches bildete die Region Angkor, rund 200 Kilometer nördlich von Pnom Penh, der heutigen Hauptstadt Kambodschas. In der Sprache der Khmer bedeutet Angkor wörtlich Stadt. Das heute in weiten Teilen dschungelartige Gebiet war damals dicht besiedelt. Als sichtbare Zeugnisse der Khmer-Kultur sind einzigartige, steinerne Tempelanlagen erhalten. Die bekannteste ist Angkor Wat. Es ist der größte Tempelkomplex der Welt und Unesco-Weltkulturerbe.
Sarah Klassen von der Universität Leiden ist Co-Direktorin der "Cambodian Archaeological Lidar Initiative".
Sarah Klassen von der Universität Leiden ist Co-Direktorin der "Cambodian Archaeological Lidar Initiative". (Sarah Klassen)

Das Holz der Hütten ist verrottet - überdauert haben dagegen die Erdhügel, auf denen sie gebaut wurden.

Wie bei den Maya in Mittelamerika wird die Geschichte der Khmer und insbesondere Angkors schon seit Ende des 19. Jahrhunderts von Archäologen erforscht. Lange Zeit konnten sie hauptsächlich nur das ausgraben und kartieren, was in Stein gemeißelt die Jahrhunderte überstanden hat. Bei den Khmer sind das vor allem Hunderte von größeren und kleineren Tempeln, die einst jeweils das Zentrum von Siedlungen bildeten. Erstmals 2013 und dann in weiteren Kampagnen ließen Archäologen-Teams große Teile der Region Angkor mit Lidar-Scannern vom Hubschrauber aus vermessen. Die Auswertungen offenbarten Tausende bis dahin nicht erfasste Strukturen. Darunter künstlich aufgeschüttete Erdhügel, auf denen die Khmer einst ihre Hütten bauten.
Sarah Klassen von der Universität Leiden ist Co-Direktorin der Cambodian Archaeological Lidar Initiative: „Angkor wurde in einem Überschwemmungsgebiet errichtet. Jedes Jahr in der Monsunzeit wird es überflutet. Als Anpassung daran bauten die Khmer all diese Hügel. Die sind rund ein bis zwei Meter hoch – anders als die Haussockel bei den Mayas, die oft nur zehn Zentimeter messen.“

Sarah Klassen und Kollegen können sich mittlerweile auch großräumig ein sehr gutes Bild der früheren Siedlungsstrukturen Angkors machen. Lidar hat viele weiße Flecken auf ihren Karten gefüllt. „Mit einem Mal taucht diese Stadt auf. Man sieht Stadtteile mit Straßen, die die verschiedenen Bereiche umsäumen. Man sieht Dämme, die aus der Stadt herausführen. Und das bringt uns so viel Farbe und Verständnis für diesen historischen Ort. Wir wussten, dass viele Menschen in Angkor gelebt haben müssen. Aber wir konnten nicht sehen, wo sie lebten. Jetzt können wir sogar nachvollziehen, wie sich die Stadt im Laufe der Zeit entwickelt hat.“

Während der Blütezeit des Khmer-Reiches im 13. Jahrhundert könnten bis zu 900.000 Menschen in Angkor gelebt haben. Das berichteten Sarah Klassen und Kollegen im vergangenen Jahr in einer Studie im Fachjournal Science Advances. Angkor war eine wahre Metropolregion, und damals die vielleicht größte der Welt.
In der Lidar-Aufnahme durch das Blattwerk des Urwalds werden die Strukturen einer Khmer-Anlage sichtbar
In der Lidar-Aufnahme durch das Blattwerk des Urwalds werden die Strukturen einer Khmer-Anlage sichtbar (Damian Evans)

Auswertung der Lidar-Daten bislang recht mühsam

Hinter solchen fundierten Aussagen steht viel Fleißarbeit der Archäologen. Denn sie müssen erst einmal alle in den Lidar-Daten erkennbaren Strukturen am Computer in geographische Informationssysteme, kurz GIS, übertragen und so kartieren.

„Das ist ein extrem langer und mühsamer Prozess. Man muss Bereich für Bereich in den Lidar-Daten durchgehen und alle Strukturen identifizieren. Ich habe etwa ein Jahr nur damit verbracht, archäologische Merkmale aus den Lidar-Daten zu extrahieren. Ein anderer Kollege hat sich eineinhalb Jahre lang Vollzeit damit beschäftigt.“

Da kommt natürlich die Frage auf: Ließen sich solche Prozesse nicht effizienter gestalten und irgendwie automatisieren? “Wir haben begonnen, nach Möglichkeiten zu suchen, auch Künstliche Intelligenz einzusetzen, um uns zu entlasten.“

Einer der treibenden Köpfe hinter dieser Entwicklung ist Damian Evans vom französischen Institut für Asienwissenschaften EFEO in Paris. Von ihm ging nicht nur die Initiative für die ersten Lidar-Kartierungen rund um Angkor in Kambodscha aus. Sein neuestes Projekt heißt „Archaeoscapes“. Es zielt darauf, noch viel größere Flächen, rund 2.500 Quadratkilometer, in fünf weiteren Ländern Südostasiens zu erfassen -auf der Suche nach Spuren der Siedlungsgeschichte der gesamten Region.

Lidar verlangt nach künstlicher Intelligenz

Dabei will Evans erstmals im großen Stil Methoden des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz beim Auswerten der Lidar-Daten einsetzen:

„Wir haben eine ziemlich gute Ausgangslage. Denn wir verfügen über 20 oder 30 Jahre an Daten, bei denen erfahrene Archäologen händisch Satelliten- und neuerdings auch Lidar-Bilder ausgewertet haben. Diese Informationen können wir als Trainingsdatensätze in Modelle der künstlichen Intelligenz einspeisen. So können wir Maschinen im Wesentlichen das beibringen, was Menschen tun, wenn sie typische Merkmale am Boden identifizieren. Das ist ein sehr spannendes und fortschrittliches Feld der Archäologie.“
Spannend ist die Kombination von Lidar und Künstlicher Intelligenz auch deshalb, weil mit ihr zwangsläufig auch eine Abkehr von traditionellen Arbeitsweisen der Archäologen verbunden ist. Damian Evans: “Die Archäologie ist traditionell eine sehr bodenfokussierte Disziplin. Im Kern geht es immer darum, Ausgrabungen zu machen und sehr detaillierte, kleinräumige Analysen vorzunehmen. Daher neigen Archäologen dazu, alles, was sie auf Satellitenbildern oder Lidaraufnahmen sehen, vor Ort überprüfen und verifizieren zu wollen.“

Archäologen nennen das Ground Truthing. Bei einer geringen Zahl von Funden ist das auch noch gut möglich. Doch mit Lidar-Daten, die Hunderte von Quadratkilometern abdecken und Tausende möglicher Objekte aufscheinen lassen, ist ein komplettes Ground Truthing nicht mal im Ansatz zu leisten. Hier sind nur noch Stichproben zur Kontrolle möglich.
„Wenn man Maschinen einen Teil der Arbeit bei der Analyse überlässt, öffnet man die Tür zu einem gewissen Grad an Unsicherheit und Fehlern. Die Herausforderung für uns Archäologen liegt darin, statistische Methoden zu entwickeln, um mit dieser Unsicherheit umzugehen. Ich denke, dass wir das schaffen können. Am Ende werden wir aus Datensätzen über große Landschaftsbereiche, von denen wir wissen, dass sie zu 90 Prozent stimmen sollten, genauso viel Nutzen ziehen können wie aus Daten kleiner Bereiche, denen wir zu 100 Prozent vertrauen.“
Buddhistische Mönche stehen neben einem Hubschrauber mit dem LiDAR-Instrument, Tempelkomplex Banteay Chhmar, Kambodscha
Buddhistische Segnungszeremonie für den LiDAR-Hubschrauber des EFEO (picture alliance/AP Photo/Damian Evans)

Offene Fragen und Kritik unter Archäologen

Unter Archäologen ist die Debatte über das Thema Ground Truthing von Lidar-Daten noch lange nicht abgeschlossen. Und es gibt weitere Diskussionen , die mit der neuen Technik aufgekommen sind. Etwa um die Fragen: Wem gehören eigentlich die vielen Terabyte? Wo kann man sie dauerhaft sicher speichern? Und vor allem: Wer erhält Zugriff? Müssten die Daten nicht frei verfügbar sein, allein schon um Studienergebnisse unabhängig verifizieren zu können? Damian Evans:

„Die Daten, die wir sammeln, sind vielleicht einzigartige und unersetzliche Archive der Spuren menschlicher Aktivitäten auf der Erde. Daher ist es für uns sehr wichtig, sie auf nachhaltige Weise zu speichern und sie auch anderen Forschern zur Verfügung zu stellen, wo und wann immer wir können.“

Konsequent dem Open-Source-Gedanken verschrieben haben sich allerdings erst wenige Projekte. Archaeoscape von Damian Evans zählt dazu. Ein anderes Problem sind die hohen Kosten. Nur wenige Forschungsteams können sich Lidar-Scans im größeren Stil überhaupt leisten, beklagt die Anthropologin Anna Cohen von der Utah State University:

„Da ist der Begriff der Lidar-Elite aufgekommen. In Mittelamerika zum Beispiel haben viele der großen Lidar-Scans jeweils über 100.000 US-Dollar gekostet. Für die Archäologie ist das ein ziemlich hoher Betrag. Wer kann sich das leisten? Es sind Personen, die an führenden Instituten arbeiten, und die auch die nötigen Fördermittel für diese Art von Projekten einwerben können.“

Das trifft hauptsächlich auf Forschungsinstitute aus reicheren Regionen wie den USA oder Europa zu. Aber kaum auf solche aus Entwicklungsländern. Deshalb sehen manche in Lidar sogar eine Art neuen Forschungs-Kolonialismus.
3D-Relief auf Basis von LiDAR-Daten, Maya-Fundstätte Aguada Fénix; Tabasco, México
Sensationsfund durch LiDAR-Scans: Die Monumentalplattform Aguada Fénix in Mexiko (picture alliance/abaca/Takeshi Inomata)

Funde in staatlichen Lidar-Vermessungsdaten

In Zukunft dürfte sich die Lage allerdings etwas entspannen. Es gibt immer mehr Länder, die ihr ganzes Staatsgebiet offiziell mit Lidar vermessen lassen – allein schon um bessere Geo-Daten für Planungszwecke zu bekommen. Dass damit auch erstaunliche archäologische Entdeckungen möglich sind, zeigt ein Beispiel aus dem Süden Mexikos.

„Wir sind jetzt an der östlichen Grenze von Tabasco, direkt an der guatemaltekischen Grenze. Wir hatten einen Fundort da am Rio San Pedro, der heißt El Tiradero.“ Daniela Triadan von der Arizona State University sucht gemeinsam mit ihrem Mann Takeshi Inomata seit Jahren nach Spuren aus der prä-klassischen, also frühen Maya-Zeit.

„Bevor wir in diese Gegend gingen, beschloss mein Mann, dass wir Lidar brauchen, um einfach zu sehen, was da abläuft. Und wir hatten Lidar fliegen lassen, über El Tiradero. Und wir gucken uns das an und sahen dann in der rechten Ecke von dieser Lidartranche, die geflogen worden war, Phänomene, die wir wussten, dass sie artifiziell waren, die groß aussahen, wo wir aber keine Ahnung haben, was das war. Und es war nur so die Ecke.“

Takeshi Inomata erfährt, dass bereits viel größere Bereiche dieser Region auf Lidar-Karten der mexikanischen Regierung zu sehen sind. Zwar nur in einer recht groben Auflösung, aber öffentlich zugänglich.

„Das heißt, mein Mann, immer der brillante Forscher, ging da rein und holte sich die Lidar-Daten aus der mexikanischen Datei. Und wir gucken uns das Ding an und dachten, wir stehen im falschen Film. Weil es sich dann herausstellte, dass diese Ecke, die wir hatten, eine Ecke war von einer Riesenplattform, die 1,4 Kilometer lang und 400 Meter breit war.“

Potenzial ist riesig

Dieser Fund, 2020 veröffentlicht, heißt heute Aguada Fénix. Es ist ein Kultkomplex der frühen Maya und gilt als das älteste und größte bislang bekannte Maya-Bauwerk. Inmitten der Landschaft wirkt die Monumentalplattform wie ein natürlicher Höhenzug. Zehn bis 15 Meter erhebt sie sich über Viehweiden und kleine Maisfelder. Die Flanken mit Gras und Büschen bewachsen. Obenauf eine teils noch bewaldete Ebene. Ohne Lidar wäre wohl nie entdeckt worden, dass es sich um Menschenwerk handelt.

„Ich stehe da teilweise auf der östlichen Flanke und sehe nach der westlichen Flanke rüber und schüttle nur den Kopf. Weil alles, was dann da ist, tatsächlich von Leuten gebaut wurde, und zwar zwischen ungefähr 1000 und 800 vor Christus. Also eine Dimension, die ist unvorstellbar. Und das war das wirklich Erstaunliche, dass wir diese Fundorte finden, weil sie so horizontal monumental sind. Also nicht in die Höhe wie Tikal und Calakmul, sondern eben auf der Fläche so monumental sind, dass man sie eben, wenn man über die Landschaft läuft, wirklich nicht sieht.“

Vom gesamten ehemaligen Siedlungsgebiet der Maya liegen gerade mal für rund zehn Prozent Lidar-Daten in hoher Auflösung vor. Unter dem Urwald könnten also noch etliche weitere Überraschungen schlummern. Nikolai Grube:

„Wenn wir weiter nach Süden gucken, haben wir ganz ähnliche Ergebnisse in Bezug auf das Amazonas-Tiefland. Wo sich jetzt auch durch Lidar-Überfliegungen immer deutlicher zeigt, dass der Amazonas-Regenwald, der ja nun für uns der Inbegriff eines tropischen Waldes ist, tatsächlich auch in vielen Bereichen ein Sekundärwald ist, der über alten Siedlungen und landwirtschaftlichen Flächen drüber gewachsen ist. Die Amazonas-Archäologie steht da ganz an den Anfängen. Also da ist ein Riesenpotenzial von neuen archäologischen Erkenntnissen über die Bevölkerung und die Kulturgeschichte des Amazonas-Tieflands.
Die andere tropische Waldregion, wo man sicherlich noch mal hingucken müsste, das wäre tatsächlich das tropische Afrika. Das ist, glaube ich, auch in archäologischer Hinsicht der weißeste Fleck der Weltkarte. Dazu kann ich ihnen aber auch noch nichts sagen.“