Dienstag, 30. April 2024

Deutsche Bahn
Wann kommt der Deutschlandtakt?

Mehr Verbindungen, optimale Anschlüsse: Der Deutschlandtakt soll das Bahnfahren attraktiver machen. Doch wann fahren die Züge im neuen Takt? Warum die Revolution auf der Schiene auf sich warten lässt.

11.03.2023
    Ein ICE der Deutschen Bahn fährt über eine Bahn-Trasse in der Region Hannover (Aufnahme mit langer Verschlusszeit).
    Mehr Tempo beim Deutschlandtakt: Deutlich vor 2070 sollen die Züge der Deutschen Bahn flächendeckend im neuen Taktfahrplan unterwegs sein. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    „Deutschlandtakt der Bahn auf 2070 verschoben“ - diese Nachricht hat Anfang März 2023 Ausehen erregt: Das ZDF berichtete, dass die Verkehrswende stockt. Mit dem Deutschlandtakt, einem Taktfahrplan für die Bahn, sollte eigentlich bis 2030 das Zugfahren einfacher, schneller und verlässlicher werden. Die Umsetzung scheint allerdings deutlich länger zu dauern. Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Deutschlandtakt.

    Was ist der Deutschlandtakt?

    Mehr Verbindungen, einfachere Fahrpläne und kürzere Wartezeiten für den nächsten Zug – das ist das Versprechen des Deutschlandtakts, einem Taktfahrplan nach Schweizer Vorbild. Beim Deutschlandtakt sollen die Züge jede Stunde zur selben Minute abfahren, zwischen den großen Städten sogar jede halbe Stunde, und das in alle Richtungen. Die Fahrpläne sollen so gestaltet sein, dass alle Züge einige Minuten vor der nächsten Abfahrtszeit an den Umsteigebahnhöfen eintreffen. So soll sichergestellt werden, dass alle Reisenden ihre Anschlüsse erreichen. Da Fern- und Nahverkehr aufeinander abgestimmt sind, werden Menschen im ländlichen Raum besser an überregionale Verbindungen angeschlossen. Auch der Güterverkehr soll im Takt unterwegs sein.
    Auf vielen Strecken könnte man so in Zukunft schneller sein Ziel erreichen: Die Reisezeit von Görlitz nach Nürnberg würde um eine Stunde und 17 Minuten sinken. Zwischen Stuttgart und Berlin wäre man eine Stunde kürzer unterwegs.

    Wie war der ursprüngliche Zeitplan für den Deutschlandtakt?

    Im Jahr 2018 kündigte der damalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer den Deutschlandtakt an: "Gemeinsam wollen wir bis 2030 die Zahl der Fahrgäste verdoppeln und mehr Güter auf die Schiene holen. Und das bei gutem Service und hoher Qualität", sagte der CSU-Politiker.
    Dass der Deutschlandtakt bis 2030 umgesetzt werden sollte, sei dennoch falsch, schreibt der Bundesschienenbeauftragte Michael Theurer (FDP) auf Twitter. Die schwarz-rote Bundesregierung hat allerdings genau dieses Ziel mitunter kommuniziert: In einem alten Facebook-Post heißt es etwa, dass der Deutschlandtakt ab 2021 starte – im Kleingedruckten wird ergänzt, dass er in Etappen bis 2030 umgesetzt werde.

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    Darüber hinausgehende aktuelle Pläne sind derzeit nicht zu finden. Auf der Website des Deutschlandtakts heißt es lediglich, es geb zwei Ziele: "Erstens: bis 2030 doppelt so viele Fahrgäste wie heute sicher und umweltfreundlich an ihr Ziel bringen. Zweitens: den Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf mindestens 25 Prozent steigern." Laut der „Initiative Deutschlandtakt“ waren in der Vergangenheit ein „Zielfahrplan 2030“ und ein „Zielfahrplan 2030+“ beim Ministerium online abrufbar, inzwischen seien diese allerdings nicht mehr verfügbar.

    Wann kommt der Deutschlandtakt?

    Das ist im Detail noch nicht klar. Es soll allerdings nicht bis zum Jahr 2070 dauern, bis der Deutschlandtakt komplett eingeführt ist, sagt Bundesschienenbeauftragte Theurer. Im Interview mit der Tageszeitung "Augsburger Allgemeine" verspricht der FDP-Politiker, dass der Deutschlandtakt innerhalb von etwa 25 Jahren flächendeckend umgesetzt sein soll – also ungefähr im Jahr 2048. Das von ihm im ZDF genannte Jahr 2070 habe sich auf die Planung der Vorgängerregierung bezogen.
    Der Deutschlandtakt bestehe aus 170 einzelne Maßnahmen und müsse daher in Etappen umgesetzt werden, so Theurer in einem Anfang März 2023 auf Twitter verbreiteten Video. Ein "Etappierungskonzept“ habe es bislang jedoch nicht gegeben. Er werde "ein solches, ehrliches 'Etappierungskonzept' für den Deutschlandtakt" in den nächsten Monaten vorlegen.

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    Zugleich kündigte Theurer Anfang März an, dass 2025/2026 die nächste große Etappe abgeschlossen werde: Die Fertigstellung der Strecke Wendlingen-Ulm, Stuttgart 21 und der Generalsanierung der Riedbahn. Reisende würden dann von einem Halbstundentakt zwischen Köln, Frankfurt, Mannheim, München und Nürnberg profitieren.
    Nicht mehr auf den Deutschlandtakt warten, müssen die Fahrgäste bereits auf einer Strecke: Zwischen Berlin und Hamburg fahren täglich bis zu 60 Züge, von 6 bis 22 Uhr im 30-Minuten-Takt. Laut dem Fernverkehrsvorstand der Deutschen Bahn, Michael Peterson, soll sich die Lage in ganz Deutschland bis 2029 "extrem verbessert haben". Bis dahin würden die wichtigsten Bahnstrecken komplett neu hergerichtet sein, so Peterson in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit".

    Welche Schwierigkeiten gibt es bei der Einführung des Deutschlandtakts?

    Der Plan für den Deutschlandtakt galt von Anfang an als ambitioniert: Bereits 2020 zweifelte der Verkehrsökonom Christian Böttger von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, dass sich die anvisierten Ziele bis 2030 umsetzen lassen: „Die vielen Projekte, die gebaut werden müssten, um all das zu ermöglichen, was versprochen wird, die wird es nicht vor 2040 geben.“
    Größte Schwierigkeit bei der Einführung des Deutschlandtakts ist der Investitionsstau bei der Deutschen Bahn. Das Schienennetz ist marode, die Bahn wurde in der Vergangenheit regelrecht kaputtgespart. „Es ist über Jahrzehnte hinweg viel zu wenig in das System Bahninfrastruktur investiert worden“, kritisiert Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn. Es sei auf Verschleiß gefahren worden - in der Folge fielen nun Weichen aus, müssten Schienen ausgetauscht und Schotterbetten erneuert werden.
    In Deutschland sei „seit der Bahnreform 1994, eigentlich schon seit den 1970er-Jahren“ zu wenig in die Schiene investiert worden“, sagt auch DB-Fernverkehrsvorstand Peterson. Dass wird auch im Vergleich mit anderen Ländern deutlich: „Die Schweiz investiert das Fünf- bis Sechsfache pro Einwohner, Österreich das Dreifache“, so Peterson in der "Zeit".
    Die Einführung des Deutschlandtakts ist zudem auf eine verstärkte Digitalisierung angewiesen: Wenn die bestehende Signal- und Kommunikationstechnik der Deutschen Bahn durch eine effizientere Datenverarbeitung in Echtzeit ersetzt wird, könnte nach Berechnung der Bahn rund 20 Prozent mehr Verkehr im bestehenden Netz abgewickelt werden. Die Züge könnten dann in einem engeren Takt fahren.

    Bremst das Verkehrsministerium bei der Umsetzung des Deutschlandtaktes?

    Zu dieser Einschätzung kommen Branchen- und Interessenverbände seit Längerem. Beim Deutschlandtakt herrsche Stillstand, kritisierte Hans Leister vom Interessenverband Allianz pro Schiene im Juni 2022, bei den Infrastrukturmaßnahmen gehe es nicht voran: „Kein einziges Vorhaben ist vom Ministerium so konkretisiert worden, dass mit der Umsetzung begonnen werden kann.“ Auch Martin Burkert von der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) sah den Deutschlandtakt bereits im vergangenen Jahr akut gefährdet.
    Anfang März 2023 erneuerte die Allianz pro Schiene die Kritik, dass das Ministerium beim Netzausbau Zeit verliere. "Wir erwarten, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing den Ausbau des Schienennetzes nicht weiter verschleppt", sagte Hauptgeschäftsführer Dirk Flege.
    Auch Detlef Neuß vom Fahrgastverband Pro Bahn sieht die Verkehrswende durch das zuständige Ministerium ausgebremst: „Es wird viel davon geredet, aber im Grunde genommen wandert das Geld immer noch in das System Straße, in das System motorisierter Individualverkehr. Und die Bahn hat nach wie vor das Nachsehen, obwohl im Koalitionsvertrag eigentlich etwas Anderes drinsteht.“
    Im Verkehrsministerium weist man diese Kritik zurück. Der Bundesschienenbeauftragte Michael Theurer betont, dass die Ampel-Koalition die Mittel für die Bahn verdoppelt habe im Vergleich zur Großen Koalition. Der Deutschlandtakt werde nicht verschoben, sondern im Gegenteil beschleunigt.
    Die Haushaltszahlen widersprechen dieser Darstellung: Demnach sanken die Ausgaben der Bundesregierung für das deutsche Schienennetz seit 2021 kontinuierlich: von 12,12 Milliarden Euro auf 9,42 Milliarden Euro im Haushaltsjahr 2022 und 8,85 Milliarden Euro im Jahr 2023. Ein satter Rückgang um fast 27 Prozent.
    Investitionen des Bundes in die Bundesverkehrswege Fernstraßen und Schiene
    Investitionen des Bundes in die Bundesverkehrswege Fernstraßen und Schiene laut dem Bundeshaushalt 2021 und 2023, dem Etatentwurf 2023 und der Haushaltsplanung für die Jahre 2024 bis 2026 in Milliarden Euro
    Investitionen des Bundes in die Bundesverkehrswege Fernstraßen und Schiene laut dem Bundeshaushalt 2021 und 2023, dem Etatentwurf 2023 und der Haushaltsplanung für die Jahre 2024 bis 2026 in Milliarden Euro (Dlf / Andrea Kampmann)
    Fakt ist auch: Deutschland gibt im Vergleich zu den meisten europäischen Staaten weniger für sein Schienennetz aus. Österreich beispielsweise investiert pro Kopf fast doppelt so viel Geld in Ausbau und Instandhaltung der Schienenstränge. Zugleich gibt Deutschland prozentual wesentlich mehr Geld für die Straßeninfrastruktur aus als die Alpenrepublik - auch im Vergleich zu den anderen kleineren Nachbarländern Schweiz und Luxemburg.
    Anteil der Verkehrsinvestitionen im Ländervergleich
    Anteil der Verkehrsinvestitionen auf Bundesebene in die Schienen- und Straßeninfrastruktur in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg im Jahr 2021
    Anteil der Verkehrsinvestitionen auf Bundesebene in die Schienen- und Straßeninfrastruktur in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Luxemburg im Jahr 2021 (Dlf / Andrea Kampmann)

    Welche Erfahrungen gibt es bereits mit einem Taktfahrplan wie dem Deutschlandtakt?

    Das Vorbild für den Deutschlandtakt kommt aus einem Nachbarland: 1982 führte die Schweiz einen flächendeckenden Taktfahrplan ein – und zwar nicht nur bei der Bahn, sondern auch bei vielen Buslinien. Das hat die öffentlichen Verkehrsmittel attraktiver gemacht: Fahrgäste können sich darauf verlassen, dass die Abfahrtszeiten immer gleich bleiben und sie nicht lange auf Anschlüsse warten müssen. Laut dem Verkehrsclub Deutschland legen die Menschen in der Schweiz 28 Prozent der Kilometer mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurück, in Deutschland dagegen nur 19 Prozent.
    Auch in mehreren deutschen Bundesländern gibt es schon länger gute Erfahrungen mit Taktfahrplänen im Nahverkehr. Den Anfang machte 1994 Rheinland-Pfalz. Mit dem Taktsystem verdoppelte sich dort die Zahl der Personenkilometer, also die Zahl der Kilometer, die alle Reisenden zusammengenommen zurücklegen.
    Quellen: Deutschlandfunk, Dietrich Karl Mäurer, Martin Reischke, Augsburger Allgemeine, ZDF, Die Zeit, Zeit Online, dpa, Initiative Deutschlandtakt, Verkehrsclub Deutschland, deutschlandtakt.de, forschungsinformationssystem.de, jfr