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Prävention in Kopenhagen

Kinder und Jugendliche in Dänemark wachsen in einem recht gut ausgestatten sozialen System auf. Die Kinderbetreuung übernimmt von klein auf der Staat, auch die meisten dänischen Schüler gehen nach dem Unterricht in einen betreuten Freizeitclub. Pädagogen, Lehrer, auch Psychologen, die nun nach dem Amoklauf in Baden-Württemberg als Allheilmittel gesehen werden, sind aufgefordert, die Kinder wachen Auges zu begleiten und - im Falle eines Falles - Eltern und Behörden zu alarmieren.

Aus Kopenhagen berichtet Marc-Christoph Wagner | 13.03.2009
    Große Pause an der Zahles-Schule in der Kopenhagener Innenstadt. Auch hier haben Schüler und Lehrer die Ereignisse in Baden-Württemberg verfolgt. Der Gymnasiast Markus versucht, das Unfassbare irgendwie zu verstehen:
    "Schau - das gesamte deutsche Schulsystem basiert auf einer frühen Aufteilung. Man sagt zu kleinen Kindern - Du bist geeignet, Du bist es nicht. Wahrscheinlich führt das zu einem ganz anderen Bewusstsein. Ich bin mir sicher, hier im dänischen Schulsystem, wo alle mindestens bis zur 10. Klasse zusammenbleiben, fühlen wir uns willkommener und geborgener als in Deutschland. Und vielleicht brauchen wir deswegen auch nicht so viele Psychologen."

    In der Kopenhagener Innenstadt kommt ein Schulpsychologe auf etwa 1300 Schüler, weit mehr, als im Landesdurchschnitt üblich. Dennoch ist Markus' Lehrerin, Iris Burkantat, froh, dass sie sich im Falle eines Falles an jemanden wenden kann - wenn sie zum Beispiel merkt,

    "dass ein Schüler sich verändert, er lebhaft war und plötzlich ruhig ist, aktiv war und nun passiv ist, er den Unterricht schwänzt oder Mitschüler sagen, er verhält sich komisch."
    Schulpsychologen, erzählt der Rektor der Zahles-Schule, Caj Olsen, seien für ihn ein wichtiges Instrument - gerade für Schüler bis zur 7. Klasse, in den Jahren also, die für die Entwicklung des Einzelnen besonders wichtig sind. Aber:

    "Es sind die Lehrer, die jeden Tag mit den Schülern zu tun haben - 25 bis 30 Stunden die Woche. Sie müssen die Augen aufhalten und notfalls reagieren. Denn auch bei uns in Dänemark haben die Psychologen nicht den gleichen direkten Kontakt zu den Schülern. Sie kümmern sich um den Papierkram. Oftmals sehen sie nicht einmal die Schüler, die sie behandeln. Das finde ich verkehrt."

    Diese Kritik lässt man beim schulpsychologischen Dienst der Stadt Kopenhagen nicht gelten. Sicher, mehr Ressourcen wären wünschenswert, sagen die Leiterin Jette Lentz und ihre Kollegin Kirsten Hansen. Aber:

    "Es geht nicht um Kontrolle, sondern Unterstützung. Wenn ein Kind auf die schiefe Ebene gerät, dann müssen wir alle an einem Strang ziehen - Schüler, Lehrer, Eltern, die Behörden. Wir müssen unser Handeln koordinieren. Jeder kann da mit seinem Fachwissen beitragen."

    "Ich glaube, wir Dänen sehen Staat und Gesellschaft nicht als Big Brother, nicht als ein feindliches System. Es ist ein Netzwerk, in dem alle miteinander verbunden sind. Wir sind froh, dass Pädagogen, Lehrer und andere Autoritäten die Augen aufhalten und zur Not Alarm schlagen. Kinder sind nicht alleiniges Eigentum der Eltern, sondern sollen aufwachsen in einem sicheren Umfeld, dass sie befördert."

    Für Jette Lentz und Kirsten Hansen geht es darum, ein möglichst engmaschiges Netz zu etablieren, das Kinder und Jugendliche schützt. Absolute Sicherheit aber könne es niemals geben, das hat man auch im dänischen Kultusministerium erkannt. Nun hat Bildungsminister Bertel Haarder eine Arbeitsgruppe ernannt, die sich mit den Folgen eines möglichen Überfalls auf eine dänische Schule befassen soll:

    "Egal, wie viele Psychologen wir anstellen, Amokläufe oder Terroranschläge lassen sich nie ausschließen. Was wir tun können, ist die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, Notfallpläne zu erstellen. Auf welche Signale muss man reagieren? Was tun im Falle eines Falles?"