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Initiative "Gut leben in Deutschland"
Wirklicher Dialog oder Wohlfühlveranstaltung?

Unter dem Titel "Gut leben in Deutschland" startet die Bundesregierung heute ihren neuen Bürgerdialog. Damit will sie herausfinden, was den Menschen in Deutschland zum "guten Leben" fehlt. Die Opposition hat jedoch keine großen Erwartungen an das Projekt - und warnt vor Wahlkampf auf Steuerkosten.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 13.04.2015
    Der Schatten einer Familie, die sich an der Hand hält.
    "Wie können wir dieses Land noch lebenswerter machen?" - diese Frage stellt die Bundesregierung den Bürgern. (picture alliance / dpa / M. C. Hurek)
    "Schön, dass Sie mit dabei sind und hier, wir begrüßen Sie noch mal, die Gastgeberin des heutigen Abends, die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel."
    Im Kaisersaal zu Erfurt steht zwischen schwarzen Sitz-Würfeln die Kanzlerin. Umringt von 100 Bürgern, für die sie 100 Minuten Zeit mitgebracht hat:
    "Uns geht es wirklich darum, auch mal so zu erfahren und zu erspüren, wie können wir das Land - was ja ein schönes Land ist, das habe ich heute auch hier gemerkt."
    Der Bürgerdialog 2012 - drei Jahre ist diese Charmeoffensive von Angela Merkel jetzt her: "Wie können wir dieses Land noch lebenswerter machen?"
    Jetzt wollen Merkel und ihr Kabinett wieder mit dem Bürger ins Gespräch kommen, gemeinsam mit Volkshochschulen, Migranten- oder auch Umweltverbänden. Die Frage diesmal: Gut leben in Deutschland - was ist uns wichtig? Die Antwort fällt gar nicht so leicht:
    "Also, es wird in diesem Bürgerdialog mit Sicherheit nicht darum gehen, jetzt mit 80 Millionen deutschen Bundesbürgern ins Gespräch zu kommen," erklärt die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz. "Aber es geht durchaus darum, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die jenseits des Berliner Regierungsviertels leben und arbeiten."
    Das Ganze erinnert an amerikanische Townhall-Meetings
    Wo drückt dem Bürger also der Schuh, und was kann die Bundesregierung dagegen tun - das ist die Frage. Redet mehr miteinander, wünscht sich Bundespräsident Joachim Gauck schon lange:
    "Die Politik braucht mehr Bereitschaft, mehr Zeit, mehr Mühe auch, um das, was sie miteinander erarbeitet haben, an die Leute ranzubringen."
    Heute Nachmittag um 14.30 Uhr geht's los im Gasometer in Berlin. Ausgewähltes Saalpublikum ist auch dabei, und ein Moderator. Aber nicht etwa Günter Jauch:
    "Nein, es geht darum, dass die Bundeskanzlerin bei dieser Auftaktveranstaltung einige Worte sprechen wird, genauso wie der Vizekanzler."
    45 Minuten lang werden Merkel und Sigmar Gabriel unter anderem mit einem Gewerkschafter und einem Schüler diskutieren. Das Ganze erinnert an amerikanische Townhall-Meetings, bei denen US-Präsidenten mit offenem Hemdkragen in einer Art Bürgerarena sitzen. In Deutschland funktioniert das nur bedingt, meint Sudha David Wilp von der Denkfabrik German Marshall Fund:
    "Wie nahe kann eigentlich Bundeskanzlerin Merkel zu der Bevölkerung kommen? Ich denke, bei diesem Projekt kann vielleicht auch die Gefahr sein, dass es ein bisschen zu heavy handed war, das kommt von der Zentralregierung."
    "Keine Reaktion auf irgendwelche aktuellen Ereignisse"
    Zu viel Fallhöhe also zwischen Regierung und Bürgen? Petra Pau, Vizepräsidentin des Bundestags und Mitglied der Linkspartei ist noch aus anderen Gründen skeptisch:
    "Ich gehe davon aus, dass ein solches Projekt tatsächlich nur Erfolg hat, wenn man sich den tatsächlichen Fragen und vielleicht auch vorhandenen Ängsten der Bürgerinnen und Bürger zuwendet. Das heißt, nicht irgendwelche Wohlfühlveranstaltungen organisiert."
    Und bitte auch keinen verfrühten Wahlkampf auf Steuerzahlerkosten, fügt die Oppositionspolitikerin hinzu. Aktuelle Themen - Tröglitz oder Griechenland - sollen beim Bürgerdialog übrigens keine Rolle spielen, was Petra Pau enttäuscht:
    "Also ich würde mich freuen, wenn die Kanzlerin sich um die drängendsten Probleme kümmert. Da ist mir auch wurscht, welches Etikett sie sich anklebt - ob nun als Mutti der Nation oder eben als Bundeskanzlerin."
    Wirklich neue Erkenntnisse erwartet die Bundesregierung eher nicht, sie will aber in Zeiten von Pegida und wachsender Politikverdrossenheit die Kommunikation verbessern. Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz:
    "Insofern ist das keine Reaktion auf irgendwelche aktuellen Ereignisse. Kommunikation verändert sich."
    Also nicht schlecht reden, sondern gut leben. Sechs Wissenschaftler werden jede Dialogrunde auswerten und nächstes Jahr im Auftrag der Bundesregierung ihre Expertise bekannt geben, wie es sich in Deutschland gut leben lässt. Oder sogar besser.
    Den Beitrag können Sie hier nachhören.