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Der Film „Brexit – The Uncivil War“
Vom Ächzen tief unten in der britischen Gesellschaft

Am 23. Juni 2016 geschah das Unfassbare: Die Mehrheit der Briten stimmte für den Austritt aus der EU. Wie es dazu kam, zeigt der Film „Brexit – The Uncivil War“. Im Mittelpunkt steht der Mastermind der Brexit-Kampagne: Dominic Cummings, gespielt von Benedict Cumberbatch.

Von Friedbert Meurer | 08.01.2019
    Benedict Cumberbatch in der Rolle des Dominic Cummings in dem Film "Brexit - The uncivil war" sitzt mittig auf einem Tisch in einem geschäftigen Großraumbüro und blickt in die Kamera.
    Benedict Cumberbatch in der Rolle des Dominic Cummings in dem Film "Brexit - The uncivil war" (c. Nick Wall/House Productions/Channel 4)
    Tag der Entscheidung: der 23. Juni 2016. Es ist der Tag, auf den der ganze Film hinausläuft. Im Fokus steht Dominic Cummings. Er hat die "Vote Leave"-Kampagne geleitet, ein von Politik besessener Berater, den David Cameron einmal als "Karriere-Soziopath" bezeichnete. Ausgerechnet dieser Soziopath aber ist es, der im Gegensatz zum damaligen Premierminister spürt und hört, dass sich tief unten im Vereinigten Königreich etwas zusammengebraut hat: ein Ächzen und Stöhnen.
    Benedict Cumberbatch spielt den genial- besessenen Kampagnenchef und wird mit dieser Rolle schon für die nächsten Preise gehandelt. Cumberbatch ist ein Star. Er hat sich eigens mit Dominic Cummings getroffen, den er verkörpert. Cummings war in der Tat eine Art Mastermind der Brexit-Kampagne: genial und maßlos in der Selbstüberschätzung.
    Social Media als stärkste Waffe im Wahlkampf
    Napoleon, Bismarck, Alexander der Große sind seine Vorbilder. Mit der Brexit-Kampagne will er es dem politischen Establishment in Großbritannien zeigen, das ihn vor einiger Zeit ausgespuckt hatte. Dabei bedient Cummings sich der schärfsten Waffe, die der politische Wahlkampf heute im 21. Jahrhundert kennt: die sozialen Medien. Wer die Daten besitzt, gewinnt.
    Ein Mitarbeiter der umstrittenen Datenfirma "Cambridge Analytica" verspricht Cummings, dass er mit Mikro-Targeting präzise Menschen ansprechen kann, die bisher nie gewählt haben. Die Brexit-Kampagne verschickte geschätzt eine Billion genau fokussierte Werbebotschaften an die Wähler.
    Ächzen der britischen Gesellschaft wird hörbar
    James Graham, ein erfolgreicher Theater-Autor am National Theater und im West End, hat das Drehbuch von "Brexit: The Uncivil War" geschrieben. Seine Interpretation, die viele teilen, lautet: Die Brexit-Kampagne war besser, sie sprach die Emotionen an. Um bildlich deutlich zu machen, wie die Ansprache mit sozialen Medien funktioniert, lässt Graham die Protagonisten doch auch auf altmodischen Haustür-Wahlkampf gehen.
    Benedict Cumberbatch alias Kampagnenchef Dominic Cummings redet in einer trostlosen Gegend mit einem älteren Ehepaar, der Mann hat seit seiner Entlassung als Stahlarbeiter vor 25 Jahren keinen Job mehr. Niemand hat an seine Tür seitdem geklopft. Das Brexit-Referendum verschaffte ihm eine Stimme. Das ist das Stöhnen und Ächzen tief unten in der britischen Gesellschaft. Aber wird ihm der Brexit helfen?
    Frage, wohin das führt, bleibt unbeantwortet
    Im Spielfilm im britischen Fernsehsender Channel 4 sagt Cummings am Ende, es werde Jahrzehnte dauern, bis sich herausstellen wird, wohin das alles führt. Autor Graham lässt nicht wirklich erkennen, bei wem seine Sympathien liegen. Am Ende des Films trifft sich Cummings mit seinem Gegenspieler, dem Chef der Remain-Kampagne im Pub, beim Pint Ale - eine erfundene Szene.
    "Das hat nichts mehr mit unserem Verhältnis zu einem Wirtschaftsblock zu tun, es geht um die Seele unseres Landes", beschwört der Pro-EU-Mann. "Ihr dominiert die Politik seit Jahrzehnten", kontert Cummings. "Was habt ihr getan?"
    Warum haben Sie das riskiert, wird auch einmal David Cameron gefragt. Er taucht nur kurz im Film auf. Auch die Boris Johnsons, Michael Goves und Nigel Farages sind nur Nebenfiguren in einem viel größeren Theaterstück. War es für sie nur ein Spiel, fragt jemand im Film? Vielleicht. Am Ende ist das Ächzen im Gebälk der britischen Gesellschaft nicht mehr zu hören. Die Protagonisten sind fertig, die Brexit-Saga aber geht weiter.