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Moscheebau in Erfurt
"Genauso wichtig wie drei Mal Nahrung am Tag"

Nächste Woche soll der Grundstein gelegt werden für die neue Moschee von Erfurt - für die Ahmadiyya-Gemeinde eine historische Entscheidung. Doch der Widerstand ist groß: In der Nähe des Grundstücks im Gewerbegebiet wurden aus Protest Kreuze errichtet und Schweineköpfe abgelegt.

Von Henry Bernhard | 08.11.2018
    Mit einem Plakat "Ihr Marbacher habt diese Moschee verdient" ziehen Gegner des umstrittenen Moscheebaus in Erfurt-Marbach am 02.09.2018 durch den Ortsteil der Landeshauptstadt.
    Mit einem Plakat "Ihr Marbacher habt diese Moschee verdient" ziehen Gegner des umstrittenen Moscheebaus in Erfurt-Marbach am 02.09.2018 durch den Ortsteil der Landeshauptstadt (picture alliance / dpa / WichmannTV)
    Suleman Malik öffnet das kleine Vorhängeschloss am Gitter vor dem Grundstück. Ringsum liegen eine Gärtnerei, eine Autowerkstatt, die Feuerwehr, ein Getreidesilo mit über 60 m hohen Türmen. Das Niemandsland zwischen Erfurt und dem Vorort Marbach. Eine Schnellstraße rauscht ganz in der Nähe. Die Zufahrt zum Grundstück ist schmal, hinten wird es breiter.
    "Wo wir stehen, wird der Eingang sein und die Zufahrt. Das sind etwa 6.000 Quadratmeter, die werden ja nicht komplett bebaut, sondern etwa 2.000 Quadratmeter Fläche wird bebaut, die restliche Fläche bleibt Grünfläche, also da wird sehr viel Gehölzfläche sein, Obstbäume, Garten und so weiter ist geplant."
    "Ein historischer Tag"
    Suleman Malik ist in Pakistan geboren. Seit 18 Jahren lebt er in Deutschland, so wie ein großer Teil seiner Familie, denn sie sind Ahmadiyyas, Mitglieder einer relativ kleinen islamischen Religionsgemeinschaft. Die Ahmadiyyas werden von anderen Muslimen als Häretiker geschmäht und in Pakistan auch verfolgt. In Deutschland besitzen sie gut 50 Moscheen, nun wollen sie den Grundstein legen zur ersten Moschee in Ostdeutschland außerhalb Berlins und auch zur ersten von außen erkennbaren Moschee in Thüringen.
    "Ein historischer Tag! Für die Gemeinde, aber auch für Thüringen, nach so viel Gegenwind, Hetze, nach so viel Druck können wir, dürfen wir die Moschee bauen. Aber insbesondere ist es ein großes Zeichen für die Deutungshoheit des Grundgesetzes, weil ja die Grundrechte auch für Muslime gelten."
    Suleman Malik von der Ahmadiyya Gemeinde auf dem Grundstück der geplanten Moschee in Erfurt-Marbach.
    Suleman Malik von der Ahmadiyya Gemeinde auf dem Grundstück der geplanten Moschee in Erfurt-Marbach (Deutschlandradio / Henry Bernhard)
    Die Thüringer Ahmadiyya-Gemeinde ist klein, 70 bis 100 Mitglieder schätzt Malik. Von etwa 45.000 Ahmadiyyas in ganz Deutschland.
    "Eine Moschee ist für uns genauso wichtig wie drei Mal Nahrung am Tag; für unsere spezielle Ernährung brauchen wir eine Moschee. Und ich glaube, sie werden das feststellen: In den Städten, wo die Gemeindemitglieder Moscheen haben, da ist die Gemeinde auch gewachsen."
    Anfeindungen von rechts
    Vor sieben Jahren haben sie sich auf die Suche gemacht nach einem Grundstück für eine Moschee. Hier, im Gewerbegebiet an der Ausfallstraße sind sie nach langer Suche fündig geworden. 2015 sind sie an die Öffentlichkeit gegangen, auch mit einer Einwohnerversammlung im angrenzenden Vorort Marbach. Es kamen Hunderte. Der Ton war rau. Ein Mann sagt:
    "Ich frage mich nur, warum Menschen aus islamischen und muslimischen Ländern in ein christliches Land flüchten, wenn sie dort verfolgt werden, um hier ihre Sitten und Gebräuche und Kopftücher und Burka mit hierher zu bringen, um dann dasselbe wieder hier zu erleben!? Denn, wenn das verschiedene muslimische Gemeinden sind, wie hier diese Scharia-Gemeinde oder Asch… Weiß nicht, wie man die ausspricht! Wenn dann jeder seine Moschee hier baut, haben wir dann den Krieg der Islamisten wieder hier?"
    Die Thüringer AfD unter Björn Höcke versuchte alles, um den Moscheebau zu verhindern, mit juristischen Einwänden, mit Reden auf dem Domplatz.
    "Liebe Freunde, ich bin in Sorge! Ich bin in Sorge, dass – vielleicht nicht morgen –, dass aber vielleicht in einer nicht zu fernen Zukunft auf unserem Dom, der gerade so wunderbar seine Glocken erklingen lässt, dass auf unserem Dom der Halbmond zu sehen sein wird. Und ich frage euch: Wollt ihr das?"
    Suleman Malik: "Ich habe erlebt, dass alles, was mündlich gesagt wurde, in Taten umgesetzt wurde. Dann haben wir erlebt, dass nebenan elf Meter hohe Kreuze gestellt worden sind, unmittelbar danach wurden auf diesem Gelände überall Schweineköpfe verteilt. Und dazu wurde im Internet aufgerufen. Ich persönlich bin so oft körperlich angegriffen worden. Als wir mit dem Infostand auf dem Anger standen und das Gespräch gesucht haben, bin ich ins Gesicht gespuckt worden."
    "Da geht es um Einschüchterung"
    Die überdimensionalen Holzkreuze hatte die fremdenfeindliche "1%"-Bewegung installiert. Inzwischen hat sich die Bewegung gegen die Moschee so radikalisiert, dass sich die meisten Anwohner, aber auch die AfD davon distanzieren.
    An einem Sonntagmorgen Anfang September zum Beispiel zog ein bizarrer Mummenschanz vor dem Wohnhaus der grünen Landtagsabgeordneten Astrid Rothe-Beinlich auf, die selbst in Marbach wohnt und für die Religionsfreiheit auch der Muslime eintritt.
    "Die waren teilweise mit sogenannten Arabermasken, also so faltigen, grauen Gesichtern bekleidet, mit Kitteln, mit Niqab – nicht nur Frauen übrigens –, mit Ketten um sich herum gewickelt, haben ein Kreuz mit sich geführt, viele Transparente – 'Ihr Marbacher habt die Moschee verdient' und so weiter. Ja, das ist schon eine neue Qualität: Da geht es um Einschüchterung, da geht es darum, dem politischen Gegner aufzuzeigen: 'Wir wissen, wo Du wohnst!' Das macht natürlich was mit einem, das macht auch was mit dem Umfeld. Das kriegen auch alle ringsum mit."
    Die bis auf zwei Teilnehmer komplett vermummten Demonstranten treten unter dem Namen "Erfurt zeigt Gesicht" auf. Bei sogenannten "Bürgergottesdiensten" vor dem Grundstück der zukünftigen Moschee tragen sie dagegen Kreuze mit sich. Für die Ortspfarrerin Tabea Schwarzkopf ein Unding.
    "Damit geht es mir nicht gut, gar nicht! Das ist ein Erinnerungszeichen an Jesu Leiden. Und das ist für uns zu einem Symbol der Versöhnung und des Friedens geworden. Das kann man nicht als Kampfsymbol gegen eine andere Religion verwenden, dann missbraucht man es."
    "Kein Widerspruch zwischen Grundgesetz und meiner Religion"
    In der kommenden Woche wird der Grundstein für die Moschee der Ahmadiyya-Gemeinde gelegt. Sie wird übrigens so groß sein wie ein Zweifamilienhaus, das Minarett acht Meter hoch, der Muezzin-Ruf wird nicht nach außen schallen.
    Suleman Malik: "Meine Scharia sagt, dass ich loyal gegenüber dem Staat sein soll, muss, unter dessen wohlbehütetem Dach ich lebe. Und wenn das Grundgesetz von mir verlangt, dass ich an gewisse Rechte und Pflichten mich zu halten habe, dann habe ich mich daran zu halten. Das Grundgesetz und meine Religion stehen nicht im Widerspruch, sondern damit wird mein Leben willkommen."
    Suleman Malik erhofft sich, dass es ruhiger werden wird, wenn die Moschee erst steht und niemanden stört.