Tarifeinheitsgesetz

Schwerer Eingriff in ein Grundrecht

Demonstration der streikenden Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) am 5. Mai 2011 in Berlin
Demonstration der streikenden Gewerkschaft der Lokomotivführer (GdL) am 5. Mai 2011 in Berlin © dpa / picture alliance / Maurizio Gambarini
Von Gerhard Schröder · 11.12.2014
Die Koalitionsfreiheit darf selbst im Notstand nicht angetastet werden. Mit dem geplanten Gesetz zur Tarifeinheit wird dieses Grundrecht auf vagen Verdacht hin zur Disposition gestellt.
Mal streiken die Piloten, mal die Lokführer. Keine Frage, das nervt. Aber nicht alles, was nervt, muss gleich per Gesetz untersagt werden.
Wenn in einem Betrieb mehrere Gewerkschaften miteinander konkurrieren, soll künftig nur noch ein Tarifvertrag gelten. Und zwar derjenige, den die mitgliederstärkste Organisation abgeschlossen hat. So wollen Union und SPD die Macht kleiner Berufsgewerkschaften einschränken. Und angesichts der überwältigenden Mehrheit im Parlament stehen die Chancen nicht schlecht, das Vorhaben bis zum nächsten Sommer ins Ziel zu bringen.
Doch die Sache ist kompliziert. Das fängt schon bei ganz praktischen Fragen an. Was ist ein Betrieb? Und wer stellt fest, wer dort die stärkste Gewerkschaft ist? Erst vor wenigen Tagen hatte das Landesarbeitsgericht Hessen entschieden, dass Beschäftigte ihre Gewerkschaftszugehörigkeit nicht offenbaren müssen. Das könnte das Auszählen schwierig machen.
Grundrecht gilt für alle Berufe
Noch schwerwiegender sind die grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen Bedenken. Nahles greift mit ihrem Entwurf tief in das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit ein. Ein Grundrecht, das für jedermann und alle Berufe gilt, wie es in Artikel neun des Grundgesetzes wörtlich heißt. Ein Grundrecht, das selbst im Notstand nicht angetastet werden darf.
Was aber bleibt von dem Grundrecht, wenn kleinere Gewerkschaften ihrer Kernaufgabe beraubt werden: Nämlich Tarifverträge abzuschließen. Eine Gewerkschaft, die das nicht mehr darf, ist keine Gewerkschaft mehr. Ihr würde die Existenzgrundlage entzogen.
Natürlich kann man sich die Folgen auch schön reden, wie das die Arbeitsministerin tut. Sie will mit ihrem Gesetz angeblich Kooperation und Einigungswillen unter konkurrierenden Gewerkschaften fördern. Und, ach ja, das Streikrecht werde natürlich auch nicht angetastet. Zumindest nicht unmittelbar. Dabei liegt es auf der Hand, dass jedes Arbeitsgericht den Streik einer Minderheitsgewerkschaft als unverhältnismäßig untersagen würde, weil er auf ein Ziel gerichtet wäre, das per Gesetz gar nicht erreicht werden kann. Nämlich einen eigenen Tarifvertrag durchzusetzen.
Nur die Arbeitgeber verteidigen das Vorhaben
Das haben inzwischen auch einige Großgewerkschaften im Dachverband DGB verstanden, die nun öffentlich gegen das Gesetz Stimmung machen, wie die Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Ein wankender Riese, der sich längst nicht mehr sicher sein kann, in allen Betrieben die Mehrheit hinter sich zu haben – und deshalb auf Konfrontation zur Regierung geht. Anders als die Industriegewerkschaften Metall und Chemie, die in ihren Branchen keine Konkurrenz fürchten müssen, und deshalb mit der gesetzlich verordneten Tarifeinheit leben können.
Die sozialdemokratische Arbeitsministerin bringt das in eine ungemütliche Lage. Sie muss ein Vorhaben umsetzen, das vorbehaltlos nur noch von den Arbeitgebern verteidigt wird. Die warnen seit Jahren vor dem Niedergang des Industriestandorts Deutschland, wenn dem Treiben der kleinen Berufsgewerkschaften nicht schnell ein Riegel vorgeschoben werde. Eine Sorge, für die es bislang wenig Belege gibt. In keinem anderen Industrieland wird so wenig gestreikt wie in Deutschland. Auf einen vagen Verdacht hin aber sollte man kein Grundrecht zur Disposition stellen. Die Blamage könnte auf den Fuß folgen – in Form einer Belehrung durch das Bundesverfassungsgericht.
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