Dienstag, 30. April 2024

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Schavan über Streitkultur in der katholischen Kirche
"Eine ganz miese Nummer"

In der Rassismus-Kontroverse zwischen der Theologin Johanna Rahner und dem Passauer Bischof Stefan Oster unterstützt die frühere Bildungsministerin und Vatikan-Botschafterin Annette Schavan die Wissenschaftlerin. Eine Theologin sei kein Mitglied des diplomatischen Dienstes, ein Bischof müsse sich provozieren lassen.

Annette Schavan im Gespräch mit Christiane Florin | 23.04.2021
Porträt von Annette Schavan.
Annette Schavan kennt sich als frühere Botschafterin im Vatikan mit Diplomatie aus. Wer wie Johanna Rahner eine theologische Debatte führen wolle, müsse nicht diplomatisch formulieren, sagt sie. (Picture Alliance / dpa / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt)
Christiane Florin: Ein Element katholischer Streitkultur besteht offenbar darin, Behauptungen zu widersprechen, die niemand aufgestellt hat, wie der Konflikt zwischen der Theologin Johanna Rahner und dem Passauer Bischof Stefan Oster zeigt. Die frühere Bundesbildungsministerin und auch Botschafterin im Vatikan bis 2018, Annette Schavan, ist erfahren in katholischen Kontroversen. "Fast ein katholischer Kulturkampf", sagte Johanna Rahner da gerade im Beitrag. Wie deuten Sie diese öffentlich ausgetragene Kontroverse?
Annette Schavan: Es ist in hohem Maße verwunderlich, welche Wege des Streites da von einem Bischof gesucht werden. Es gibt doch in der katholischen Kirche nahezu niemanden mehr, und zwar weltweit, der nicht davon überzeugt ist, dass die Frage, ob Schluss mit der Benachteiligung der Frauen in der katholischen Kirche sein soll, ein Thema ist. Es waren immerhin die Bischöfe, die eine entsprechende Arbeitsgruppe beim Synodalen Weg eingeführt haben.
Debatte über Frauenrechte und Rassismus in der katholischen Kirche - "Katholischer Kulturkampf"
Die Theologin Johanna Rahner hat Menschen, die nichts an der Diskriminierung von Frauen ändern wollen, als "Rassisten" bezeichnet. Passaus Bischof Stefan Oster wirft ihr vor, romtreue Gläubige zu diffamieren.
Johanna Rahner ist eine Theologieprofessorin und nicht Mitglied des diplomatischen Dienstes. Sie ist Theologieprofessorin übrigens an einer der weltweit besten Fakultäten, die es gibt, wie gerade wieder festgestellt worden ist. Sie muss auch klare Worte sagen können. Es gehört zur Qualität einer Institution, wie gestritten wird. Wenn sich also der Bischof aufregt, hätte er Johanna Rahner anrufen und hätte sagen können: "Ich möchte mit Ihnen diskutieren. Ich will Ihnen sagen, was mich aufregt. Ich will Ihnen sagen, wo wir eine gemeinsame Schnittmenge haben oder wie auch immer."

"Sie hat nicht gesagt: Wer gegen die Frauenweihe ist, ist Rassist"

Florin: "Rassismus" – ist das Wort Ihrer Ansicht nach ein legitimer Begriff innerhalb einer wissenschaftlichen, akademischen Debatte über die Diskriminierung von Frauen, über Frauenrechte in der katholischen Kirche?
Schavan: Johanna Rahner hat erklärt, dass es um eine Analogie geht. Sie hat eben nicht gesagt: Wer gegen Weihe ist, ist Rassist. Das ist - noch einmal gesagt - keine diplomatische Ausdrucksweise, aber natürlich im Blick, auch auf die Quellen, die sie da in ihrem Manuskript zitiert, ist das ein Debattenbeitrag, von dem man sich provozieren lassen kann. Das gehört zu einer guten Streitkultur, sich provozieren zu lassen und zu sagen: Ich möchte mit Ihnen darüber diskutieren. Das hat es zigfach gegeben in den letzten Jahrzehnten und wird es immer wieder geben. Aber mit diesen Mitteln: mal diesen und jenen Satz zu streuen, eine Debatte nur hochzujazzen, nicht nach Mitteln und Wegen zu suchen. Das schadet gerade in so einer schwierigen Situation, in der die katholische Kirche derzeit ist.
Florin: Sie haben gerade ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Geistesgegenwärtig sein". Da schreiben Sie, dass Sie sich zu Reformen bekennen und erinnern an ein Papier von 1991, also 30 Jahre alt, mit dem Titel "Dialog statt Dialogverweigerung". Das Papier sei von den Bischöfen nicht ernst genommen worden. Ist ein Dialog denn überhaupt möglich angesichts der Abhängigkeitsverhältnisse, die der Bischof in dieser Kontroverse wieder klargemacht hat? Er sagt - jetzt auch mal zugespitzt: "Wir Bischöfe bestimmen, was katholisch ist. Wir sind mitverantwortlich dafür, wer lehrt". Also er zeigt die Instrumente. Wie geht ein Dialog unter Nicht-Gleichen?
Schavan: Ja, in der Tat, das war vor 30 Jahren. Es war ein ungemein intensiver Prozess, auch mit Bischöfen. Die Art, wie Bischöfe das mit uns diskutiert haben, war eine völlig andere. Sie haben nie in Zweifel gestellt, dass der Dialog ein Lebenselixier der Kirche ist. Es wären auch damals ein Kardinal Lehmann und viele andere nie auf die Idee gekommen, um uns zu sagen: "Eigentlich seid ihr von uns abhängig." Das ist eine miese Nummer, muss ich sagen. Denn jetzt wird der Eindruck erweckt, als seien theologische Fakultäten aus Kirchensteuern bezahlt. Das sind sie natürlich nicht. Sie sind staatliche Fakultäten, und der Papst hat, wenn ich mich richtig erinnere, noch im letzten Jahr von der Theologie als einem kulturellen Laboratorium gesprochen. rr hat gesagt, da geht es darum, auch Neues experimentell einmal zu formulieren und zu erarbeiten.

"Wenn es nur darum geht, die römische Lehre zu erhalten, dann braucht es keinen Kompromiss"

Florin: Es ist allerdings nicht ganz so, als seien frühere Bischöfe unbedingt durch Dialogbereitschaft und verfeinerte Formulierungen aufgefallen. Sie selbst hatten als Ministerin einen Konflikt mit dem damaligen Erzbischof von Köln, Meisner. Da ging es um die Stammzellforschung. Er war kategorisch dagegen, hat sogar eine Debatte um das C in der CDU angestoßen. Sie haben damals von der "Würde des Kompromisses" gesprochen. Worin könnte ein Kompromiss zwischen diesen mindestens zwei Lagern in der katholischen Kirche, die auch auf dem Synodalen Weg sichtbar werden, bestehen? Was verbindet?
Schavan: Kompromissbereitschaft gibt es nur, wenn die Bereitschaft da ist, wirklich zu Lösungen zu kommen, zu Antworten zu kommen. Das heißt für mich im Blick auf die Frauenfrage in der Kirche: Es braucht die Weiterentwicklung der Theologie des Amtes. Viele Frauen, die sich mit dem Thema beschäftigen, wollen doch nicht einfach für Weihe plädieren in einem Klerikerstand, wie das jetzt der Fall ist. Wir wissen doch alle, die Kirche als Ganzes muss sich weiterentwickeln. Das betrifft auch die Verbindung von Weihe und Leitungsamt. Diese Verbindung ist keine uralte Geschichte, sie ist überhaupt erst in den Konzils Zeiten entstanden. Es gibt viele Punkte, an denen es eine Kompromissmöglichkeit gibt, die zu einer anderen Präsenz von Frauen führt. Nur die Voraussetzung ist, dass ich eine Lösung will.
Florin: Wer will keine im Moment?
Schavan: Ich nehme am Synodalen Weg nicht teil, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass die Bischöfe diesen Synodalen Weg wollten. Sie haben den Vorschlag gemacht, sie haben diese Arbeitsgruppen eingerichtet. Wenn ich nun höre, dass so argumentiert wird, wie das der Bischof von Passau getan hat, dass von Abhängigkeiten gesprochen wird, dass davon gesprochen wird, dass es darum geht, die katholische Lehre zu erhalten, ja, wenn das der Sinn des Ganzen ist, da braucht es keinen Kompromiss. Wenn das der Sinn des Ganzen ist, wird es allerdings auch keine Aufarbeitung des Missbrauchs geben.

"Sich mit denen befassen, die mitten in der Kirche verzweifelt sind"

Florin: Heute treffen sich die organisierten Laien. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken ZdK hat seine Vollversammlung. Sie schreiben, Mündigkeit, sei für Gesellschaften so wichtig wie für die Kirche, aber nur nach 50 Jahren vergeblicher Reformkataloge: Erfüllt die Laien nicht eher Müdigkeit als Mündigkeit.
Schavan: Interessant ist ja, das hat mich sogar verwundert, dass sich auf 45 Positionen Einzelpersönlichkeiten bei in diesem Laiengremium über 100 Personen zum Teil des öffentlichen Lebens und der Theologie beworben haben. Das heißt doch: Es gibt trotz all dieser wirklich enttäuschenden Erfahrungen eine große Bereitschaft, mitzuwirken in einer Lage, in der es der Kirche schlecht geht- der Kirche in Deutschland, der Kirche in Europa. Und bei dieser Vollversammlung wird dann übrigens Tomas Halik sprechen. Er ist einer der großen europäischen Intellektuellen, die viel geschrieben haben ihnen im Laufe der letzten Monate darüber.
Das ist auch meine Hoffnung, dass nun diese Zeit der Pandemie auch der Kirche hilft, die Schwachstellen noch einmal anders zu betrachten, gleichsam Perspektiven zu wechseln, sich jetzt auch mal zu beschäftigen mit den Suchenden, mit denen, die mitten in der Kirche verzweifelt sind. Nehmen Sie nur manche Vorgänge in Diözesen aus den letzten Monaten: Das ist doch die gemeinsame Aufgabe von Bischöfen und Laien. Jeder Versuch zu sagen, ihr Laien habt eigentlich vor allem dem zuzuhören, was aus Ordinariaten kommt, wird nicht nur schiefgehen, sondern wird der Kirche massiven Schaden zufügen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.