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Amtsantritt Boris Johnson
Ein um Ernsthaftigkeit bemühter Premierminister

17 Minister und Staatssekretäre hat Boris Johnson als neuer Premierminister von Großbritannien gegen Brexit-Hardliner ausgetauscht. In seiner ersten Ansprache kritisierte er unüberhörbar seine Vorgängerin - bemühte sich aber auch um moderate Töne, um seine Mehrheit im Unterhaus nicht zu gefährden.

Von Burkhard Birke | 25.07.2019
24.07.2019, Großbritannien, London: Boris Johnson, neuer Premierminister von Großbritannien, winkt bei seiner ersten Ansprache als neuer Premierminister vor der 10 Downing Street.
Der neue britische Premierminister Boris Johnson (Dominic Lipinski/PA Wire/dpa)
Das war keine Kabinettsumbildung, das war ein Massaker: Der konservative Abgeordnete Nigel Evans brachte es auf den Punkt. Sage und schreibe 17 Minister und Staatssekretäre wurden oder mussten ausgetauscht werden. Nachdem der geschlagene Mitkonkurrent um die Parteiführung Jeremy Hunt das Verteidigungsministerium nicht anstelle des bislang bekleideten Außenministeriums akzeptieren wollte, besetzte Boris Johnson kurzerhand Schlüsselposten fast ausschließlich mit Brexit-Hardlinern. Minimaler Widerspruch im Kabinett: Das ist offenbar Johnsons Devise.
"Mit Volldampf werden wir in dieser Regierung daran arbeiten, dem Land die Führung zu geben, die es verdient. Und diese Arbeit beginnt jetzt."
Tatkraft, Entschlossenheit und unüberhörbare Kritik an seiner Vorgängerin klangen zuvor aus der ersten Rede des frisch gebackenen Premierministers Boris Johnson. Wir werden den Brexit liefern, versprach der 55-Jährige erneut, betonte aber gleichzeitig, dass er einen Ausstiegsvertrag mit Brüssel will.
"Ich bin überzeugt, wir können einen Vertrag aushandeln ohne Kontrollen an der Grenze zu Irland, die wir unter allen Umständen ablehnen. Der undemokratische Backstop muss aber weg. Wir müssen uns aber auch auf die wenig wahrscheinliche Möglichkeit vorbereiten, dass Brüssel sich weigert, weiter zu verhandeln und wir gezwungen werden, die EU ohne Vertrag zu verlassen. Nicht, weil wir dieses Ergebnis wünschen, sondern weil es vernünftig ist, sich vorzubereiten."
Ausstieg aus der Zollunion mit der EU
Und dazu gehört auch über kurz oder lang aus der Zollunion mit der EU auszusteigen. Ein freundschaftliches Verhältnis strebt Boris Johnson mit der Europäischen Union an, aber es sei Zeit, dass die Briten wieder ihre eigenen Gesetze machten. Ein sichtbar um Ernsthaftigkeit bemühter Boris Johnson hüllte auch seine innenpolitischen Vorhaben in blumige Sprache. 20.000 neue Polizisten, eine Lösung für die Pflegeproblematik alter Menschen, mehr Geld für den staatlichen Gesundheitsdienst und bessere Krankenhäuser, zusätzliche Mittel für Grund- und Sekundarschulen.
"Mein Job ist, Premierminister des gesamten Vereinigten Königreiches zu sein. Das bedeutet, das Land zu einen, die Rufe der Vergessenen aus den abgehängten Städten zu hören und das Band zu erneuern, das uns vereint: durch sicherere Straßen, bessere Bildung, durch eine fantastische neue Straßen- und Schieneninfrastruktur, Gasfaserverbindungen überall. Wir schaffen gleiche Bedingungen in Großbritannien durch höhere Löhne, höhere Produktivität, schaffen gleiche Chancen, indem wir Millionen junger Menschen die Chance geben, ihre eigenen vier Wände zu besitzen."
An der Person Boris Johnson scheiden sich die Geister. Er bemühte sich um konziliante Töne, auch und vor allem, um seine hauchdünne Mehrheit von nur zwei Stimmen im Unterhaus nicht zu gefährden. Johnsons Vorgängerin Theresa May, an deren Stuhl er kräftig gesägt hatte, war immerhin drei Mal mit dem von ihr ausgehandelten Brexit-Vertrag im Parlament gescheitert. Ihre letzten Worte als Premierminister waren die des Dankes und der Loyalität:
"Ich verlasse Downing Street, bin aber stolz, als Abgeordnete für Maidenhead weiter alles zu tun, was im nationalen Interesse liegt und meinen Teil dazu beizutragen, das Vereinigte Königreich zu einem großartigen Land mit einer großartigen Zukunft zu machen. Ein Land, das jedem etwas bietet."
Viel Kritik aus den eigenen Reihen
Längst nicht alle Minister und Staatssekretäre, die kurz vor und mit Theresa May zurückgetreten sind oder jetzt geschasst wurden, gelobten Loyalität. Ex-Schatzkanzler Philip Hammond und Ex-Staatsminister im Außenministerium, Alan Duncan, haben bereits gedroht, sie würden einen Brexit ohne Vertrag mit allen Mitteln im Parlament zu verhindern suchen.
Ein Misstrauensvotum noch vor der übermorgen beginnenden Sommerpause schließt zwar auch die Labour-Opposition aus, aber schon im September könnte Boris Johnson womöglich zu Neuwahlen oder Zugeständnissen gezwungen werden. Schon jetzt argwöhnen viele: Er könnte der Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in der Geschichte Großbritanniens werden.