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"Fünf Tage im Juni"

Armin Petras übernahm 2006 die Intendanz am Berliner Maxim Gorki Theater. Nach sieben Jahren zieht es ihn mit seinem Ensemble nun nach Stuttgart. Vom Berliner Publikum verabschiedet er sich mit einem Theater-Marathon.

Von Eberhard Spreng | 13.06.2013
    Vorgeplänkel auf den Vorplatz des Gorki-Theaters. Einzelne Wortfetzen wehen vorüber, Höhepunkte von sieben Jahren Theater unter der Intendanz Armin Petras sollen sich hier zum babylonischen Stimmergewirr auftürmen. Mit Mitteln, die an Steggreif und Straßentheater erinnern, an Vorläufiges und Improvisiertes. Und genau das Eilige, Nicht-Ganz-Fertiggewordene wird von Armin Petras Theaterarbeit in der Hauptstadt in Erinnerung bleiben, ein Theater im Zustand der permanenten Selbstüberforderung, das immer mehr zu erzählen hat, als es theatralisch voll ausformen kann.

    Dann im Saal angekommen, erwartet den Zuschauer eine kleine Serie von Impromptus und Petitessen all jener Regisseure, die Petras ans Gorki holte. Der ungarische Musiktheaterregisseur David Marton mochte allerdings ob der katastrophalen politischen Lage in seinem Heimatland vorerst keine Bühnenkunst vorlegen, sondern erläuterte Hintergründe einer rechtsmafiösen Fidesz-Kulturpolitik, die das Land in ein tiefe quälende Spaltung treibt. Als "Radio ohne Frequenz Berlin" will Marton sein Protest bis zum Samstag in eine künstlerische Form bringen.

    Eine kleine Witzelei über die Nöte der Verständigung in italienischen Restaurants liefert Antú Romero Nunes, die nun wirklich keiner weiteren Erwähnung wert wäre, wenn Paul Schröder und Aenne Schwarz sie nicht komödiantisch zu einem großen Jokus aufgemischt hätten, zur Phantasmagorie im Sprachirrland.

    Ungleich ernsthafter ist die Auseinandersetzung mit dem Krebs als einem Wachstumsmodell in der Medizin und der Ökonomie alternder westlicher Gesellschaften. Armin Petras hatte schon vor Jahren mit Interviews von Unheilbar Kranken Material für eine Musiktheaterarbeit von Sebastian Baumgarten geliefert. Hier allerdings kollagiert Baumgarten nur noch skizzenhaft individuelles Erleiden mit allgemeinen Betrachtungen über die Parallelen von Krebswachstum und Vermögensentwicklung. Dr. Jürgensen von der Charité-Uniklinik erscheint hierfür in Videogroßaufnahme und erläutert die in der kritischen Geldtheorie gerne benutzte Krebs-Krisen-Metapher einmal aus medizinischer Sicht.

    Während ein Teil des Publikums nun bei parallel zueinander laufenden Aufführungen Stefan Heyms "Fünf Tage im Juni" lauschte, das den Titel für das große theatralische Abschiedsfeuerwerk abgab und bis zum Sonntag an verschiedenen Orten in der unmittelbaren Nachbarschaft des Theaters veranstaltet wird, sah ein anderer eine stark reduzierte Version des lenzschen Hofmeisters. Das war Armin-Petras-Theater als Karikatur: ironisches Paradieren, aufgerissene Augen, lustige Pappkarton-Späßchen und die rohe Karikatur der Figuren. Die sozialkritische Komödie aus der Sturm-und-Drang-Zeit um die illegitime Liaison eines Privatlehrers und seiner Schutzbefohlenen war so nicht einmal in Umrissen erkennbar. Aber nach einer Pause lieferte derselbe Armin Petras dann mit Anja Schneider ein hoch konzentriertes Solo auf der Grundlage des Romans "Der Hals der Giraffe" von Judith Schalansky.

    Inge Lohmark ist eine alternde Biologielehrerin in der vorpommerschen Provinz und unterrichtet einen neunten Jahrgang in einer vom demografischen Wandel gezeichneten Region. Eisern hält sie an konventionellen pädagogischen Konzepten fest. Glaubt, dass Darwinismus die einzige taugliche Beschreibung für die Verhältnisse zwischen den Lebewesen ist. Schwer erträglich sind ihr die pubertierenden Jugendlichen, die vor sich hindösen, ihr Geruch, die Pheromone der erwachenden Geschlechtsreife. Inge Lohmark erleidet Wende und gesellschaftlichen Wertewandel als schleichende Unterhöhlung ihres Weltbildes und entfremdet sich gefährlich von der psychischen Wirklichkeit ihrer Schulkinder. Mit Lenz und Schalansky und Fragen der Pädagogik bot Petras dem Berliner Publikum noch einmal Kernthemen seines Theaters, das sich gerne auch an Romane hält, um seine zutiefst philanthropische Weltsicht zu präsentieren. Bei Petras gibt es keinen Zynismus und keine hypertrophe Kunstversessenheit, keine ewigen Werke sondern nur spontanes Begreifenwollen. Hoffentlich bleibt diese Theaterfarbe in Berlin über gelegentliche Gastspiele präsent.