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Brexit
Boris Johnson im Wahlkampfmodus

Noch hat die EU keiner Verlängerung des Austritts Großbritanniens zugestimmt, da schaltet der britische Premierminister schon wieder auf Angriff: Boris Johnson fordert Neuwahlen und treibt damit politische Gegner in die Enge. Schon Montag soll das Unterhaus über Neuwahlen abstimmen.

Von Christine Heuer | 25.10.2019
Großbritanniens Premierminister Boris Johnson im Unterhaus
Schon am Montag soll das Unterhaus über Neuwahlen abstimmen. Boris Johnson braucht dort eine Zweidrittelmehrheit - das ist deutlich mehr als die Regierung hat (Roger Harris/UK Parliament/Handout via Xinhua)
Einen Tag war Ruhe an der Brexit-Front. Gestern Abend hat der umtriebige Premierminister dann wieder alle in Wallung gebracht. Mit diesem Angebot an die Abgeordneten im House of Commons:
"Wenn sie aufrichtig mehr Zeit haben wollen, diesen exzellenten Brexit-Deal zu beraten, können sie das haben. Aber sie müssen Neuwahlen am 12. Dezember zustimmen."
Drohungen mit einem Regierungsstreik
Nur wenn das Unterhaus dazu Ja sagt, will Boris Johnson sein Brexit-Gesetz weiter beraten lassen, und zwar bis zum 6. November. Wenn nicht, kündigt er eine Art Regierungsstreik an. Dann will er das Gesetz in der Schublade lassen und auch keinen Haushalt vorlegen. Stattdessen: "Wir würden Tag für Tag für Tag Kampagne machen für das Volk, damit es aus der Abhängigkeit eines Parlaments befreit wird, dessen Nützlichkeit sich überlebt hat, das seinen Zweck erfüllt hat, das es verweigert, den Brexit umzusetzen."
Egal, was am Ende von seinen Ankündigungen übrig bleibt: Boris Johnson ist bereits im Wahlkampfmodus. Um von seinen Niederlagen abzulenken – meint der Liberaldemokrat Edward Davey: "Er sagte, er führt Großbritannien am 31. Oktober aus der EU. Er sagte, 'do or die'. Er sagte, er liegt lieber tot im Graben. Er hat versagt. Und er will nicht, dass die Leute das mitbekommen."
Jeremy Corbyn in der Glaubwürdigkeitsfalle
Schon Montag soll das Unterhaus über Neuwahlen abstimmen. Johnson braucht dort eine Zweidrittelmehrheit. 434 Stimmen, 125 mehr als die Regierung hat. Und die wird er kaum bekommen. Wieder ist der Premierminister auf Labour angewiesen. Jeremy Corbyn, Chef der größten Oppositionspartei, hat seine Abgeordneten angewiesen, sich zu enthalten. Wer wolle, könne auch gegen Wahlen stimmen. Corbyn stellt dem Premier Bedingungen. Johnson soll den No Deal vom Tisch nehmen. Aber was meint Corbyn damit? Der Halloween-Brexit ist nicht mehr zu schaffen. Sobald die EU die Frist verlängert - wovon alle ausgehen, vielleicht schon heute, ist der No Deal auch offiziell erledigt. Der Reporter hakt nach. Vergebens.
"Das Prinzip ist: Nehmt den No Deal vom Tisch. EU-Antwort morgen. Dann können wir entscheiden." Die Wahrheit ist: Boris Johnson treibt den Labour-Vorsitzenden mit seiner Neuwahl-Initiative in eine Glaubwürdigkeitsfalle. Jeremy Corbyn will Neuwahlen. Das hat er oft genug gesagt. Aber seine Partei ist über den EU-Austritt gespalten und unzufrieden mit dem Chef. In den Umfragen liegt Labour derzeit weit abgeschlagen hinter Johnsons Tories. Labour graut vor Neuwahlen mit Corbyn an der Spitze, ätzt Nigel Evans von den Konservativen.
Alles offen
Während Corbyn noch versucht, die eigenen Leute hinter sich zu versammeln, naht die Rettung für Labour vielleicht wieder in Person Oliver Letwins. Am Montag hat der Tory, den Boris Johnson aus der Fraktion werfen ließ, dafür gesorgt, dass der Premierminister sein Brexit-Gesetz nicht durchs Parlament peitschen konnte. Jetzt sondiert er, wie zu hören ist, eine Mehrheit für einen Gegenantrag.
Der May-Deal ist wieder im Gespräch, diesmal mit labourfreundlichen Elementen. Bisher ist das nur ein Gerücht in Westminster. Aber beim Brexit weiß man bekanntlich nie.