Dienstag, 30. April 2024

Archiv

Äthiopien
Artenschutz durch Kirchenwälder

Von den einstigen Wäldern Äthiopiens ist heute kaum noch etwas übrig. Doch rund um die christlich-orthodoxen Klöster des Landes kann man die frühere Artenvielfalt noch erahnen. Die Kirchenwälder gelten als heilig und werden daher vor der Abholzung geschützt.

Von Susanne Lettenbauer | 02.05.2019
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Ein christlicher Baum? In einem Kirchenwald bei Addis Abeba (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
Mit langsamen, langen Schritten steigt Abt Gebremaryam den schmalen Pfad durch den Wald nach oben. Der Abt des christlich-orthodoxen Klosters Taragedam hat ein braunes Baumwolltuch umgeschlungen, auf dem Kopf die traditionelle runde Kopfbedeckung. Jeden Tag geht er durch seinen Kirchenwald gut 1000 Höhenmeter oberhalb der nächsten Stadt, betrachtet die Blüten, den Zustand der Bäume, überlegt, wo neue Setzlinge gepflanzt werden müssten:
"Der Wald ist wie ein Kleidungsstück für uns, das uns schützt. Wir beten im Wald, unsere Mönche nutzen den Wald als Rückzugsort. Aber natürlich ist er auch wichtig für Schatten und um die Luft zu reinigen. Hier haben wir immer frische Luft."
Abt Gebremaryam leitet das Kloster seit 16 Jahren. Als Halbwaise kam er zu den Mönchen und blieb. Er zeigt auf die Bäume und Sträucher ringsum, insgesamt 183 Hektar: Kosobaum, Weihrauchbaum, wilder Kaffee. Alles einheimische Pflanzen, die außerhalb der Kirchenwälder vom Aussterben bedroht sind.
"Es geht nicht um Artenvielfalt"
Durch das Dickicht führen kieselbedeckte Pfade. In der Ferne hört man Mönche beten.
"Dieser Wald gehört zu unserer Tradition", erklärt der Abt: "Eigentlich geht es nicht um die Artenvielfalt oder die Rettung des Waldes, sondern um die Achtung der Schöpfung."
"Wir möchten wie die Tiere im Wald leben. Umgeben von den Bäumen, geschützt von den Kronen. So möchten wir der Schöpfung näher sein", sagt die Nonne Waletamariam.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Beten im Wald: die Frauenkirche des Taragedam-Klosters (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer)
Sie arbeitet zwischen den Gebeten in der klostereigenen Weberei. Die Stoffe werden im Ort unterhalb des Berges verkauft:
"Wir beginnen um ein Uhr nachts mit den Gebeten, dann um drei Uhr und um sechs, dann wieder um neun Uhr und um zwölf. Entweder in der Kirche oder im Wald. Wir schlafen eigentlich nur vier Stunden am Tag."
"Der Klimawandel ist auch hier spürbar"
Abt Gebremaryam geht ein Stück weiter. Hinter der Weberei ragen zwei Bauten auf. Erst in diesem Jahr haben die Mönche die zwei Wassertanks gebaut. Ab Mai, wenn die Regenzeit beginnt, rinnt das Wasser von den Dächern der Wohn- und Arbeitshäuser durch graue Plastikschläuche in die Auffangbecken. Damit sollen erstmals junge, einheimische Baumsetzlinge auf dem Klostergelände gezogen werden, um alte Bäume zu ersetzen und den Kirchenwald vor Überalterung zu bewahren.
In den Kirchenwäldern wachsen die wertvollen, sogenannten Mutterbäume, von denen Samen geerntet werden, um das Überleben der gefährdeten Arten zu garantieren. Dafür braucht man Wasser - und Helfer vom Kloster.
"In den vergangenen Jahren haben viele Nonnen und Mönche das Kloster verlassen, weil wir kein Wasser mehr hatten", erklärt Abt Gebremaryam: "Der Klimawandel ist auch hier spürbar. Deshalb hat uns die orthodoxe Kirche dabei geholfen, diese Wassertanks zu bauen."
"Ich habe tatsächlich meinen Gebetsbaum"
Nach dem Glauben der Mönche und Nonnen lebte Maria, die Mutter Jesu, nach ihrer Flucht aus Ägypten 25 Jahre lang in diesem Wald. Das Kloster aus dem 13. Jahrhundert mit seinen zwei Rundkirchen, je eine für Frauen und eine für Männer, gehört zu den ältesten Äthiopiens. 180 Mönche, 30 Nonnen und fünf Waisenkinder leben in kleinen Holzhütten im Wald verstreut.
"Ja, ich habe tatsächlich meinen Gebetsbaum", sagt der Abt: "Er steht neben einem Heiligengrab hier im Wald. Dorthin gehe ich immer zum Beten. Das ist mein Lieblingsbaum."
Nach Angaben der orthodoxen Kirche gibt es am Horn von Afrika 38.000 Kirchenwälder, sagt Christoph Schneider-Yattara von der Hilfsorganisation "Brot für die Welt". Die Wälder sind bis zu 2000 Hektar groß. Gemeinsam mit äthiopischen Partnern will Christoph Schneider-Yattara die Kirchenwälder schützen:
"Das sind im Grunde die Überreste der Biodiversität in den jeweiligen Regionen, denn diese Wälder sind heilig. Die werden nicht so angegriffen wie die Staatswälder. Wenn Sie mit dem Kleinflugzeug über Äthiopien in den Norden fliegen, dann sehen Sie ganz viele kahle Flächen und dann immer so grüne Inseln, wo man so einen Punkt hat, meist einen blauen oder silbernen. Das sind dann die Kirchen. Das ist das spannende an den Kirchenwäldern. Da können Sie sehen, wie sah die Biodiversität denn mal aus."
"Es geht um den Lebensraum des Menschen"
In verschiedenen Projekten versucht die orthodoxe Kirche, gemeinsam mit NGOs, die Bevölkerung davon abzuhalten, ihr Vieh in die Kirchenwälder zu treiben, um die Setzlinge zu schützen. Die Einheimischen erhalten im Gegenzug Arbeitsplätze in Baumschulen, bekommen Geld für Aufforstungen. So steigt auch bei der nichtchristlichen Bevölkerung der Respekt vor den Wäldern rund um Klöster und Kirchen.
"Bei den Kirchenwäldern geht es halt nicht nur vordergründig um den Erhalt der Wälder", meint Schneider-Yattara: "Das ist das eine. Aber es geht um den Lebensraum der Menschen, also den Menschen eine Möglichkeit zu geben, alternative Lebensformen zu haben, dass sie nicht mehr unbedingt vom Holzgebrauch abhängig sind und nebenbei das Verständnis entwickeln, dass sie Wald erhalten, und dass man ja Wald auch nachhaltig nutzen kann."
Abt Gebremaryam sitzt später, nach einem langen Marsch durch den Wald, oben auf der höchsten Erhebung unter einem Ölbaum mit Blick weit über das Taragedam-Gebirge. In der Ferne sind zahlreiche kahle Bergkuppen zu sehen. Sie sollen alle wieder aufgeforstet werden. Mit Setzlingen aus seinem Kirchenwald.