Antiker Klassiker mit Berliner Handschrift

Von Hartmut Krug · 31.07.2009
Das "Hellenic Festival" lud Dimiter Gotscheff mit einer Neubearbeitung der "Perser" von Aischylos ins griechische Epidaurus ein. Dabei nutzte der Regisseur den offenen Raum der antiken Bühne im Freien.
Vor zwei Jahren entwickelte Dimiter Gotscheff seine Berliner Inszenierung der "Die Perser" im geschlossenen Theaterraum stark aus der Sprache. Die fast handlungslose Reflexion über Krieg und Niederlage, menschliche Hybris und Gewaltbereitschaft wurde dabei zu einem anderthalbstündigen, intensiven Klagegesang. Das riesige Amphitheater von Epidaurus, bestimmt von Offenheit und Weite, ist aber nicht nur Innen-, sondern auch Außenraum.

Auf diesen anderen, offenen Raum haben sich Regisseur Dimiter Gotscheff und sein Bühnenbildner Mark Lammert konsequent eingelassen. Zwar verwenden sie Grundelemente ihrer Berliner Inszenierung, aber sie entwickeln mit den griechischen Schauspielern doch eine ganz eigene, neue Inszenierung.

Zu Beginn betreten der Männerchor der sieben Boten in bunten Sweatshirts und der Klagechor der sieben Frauen in einer Art schwarzer Joggingkleidung durch die Seiteneingänge, die Paradoi, die sandige Bühne, an deren hinteren Rand wie verloren eine hohe Wand aufragt. Lammerts gelbe Wand aus der Berliner Inszenierung ist jetzt blau und steht wie eine Drehtür auf einem Stab in der Erde. Sie kann Klagemauer sein, vor der die Menschen sich niederwerfen, sie kann Zeitschleuse oder Raummetapher sein, sie mag auch hinweisen auf das Meer, auf dem die griechische Flotte vernichtet wurde. Vor allem aber ist sie, indem sie immer wieder gedreht wird und die Figuren hin- und hertreibt, ein klug genutztes szenisches Bewegungselement für dieses Sprech-Stück.

Zu Beginn ruft eine Frau, die im Programm als "another person" bezeichnet wird und wie eine Chorführerin oder Erklärerin, vor allem aber als eine Art Bindeglied zwischen den anderen fungiert, das eine Bein in der dreiviertellangen Hose nackt, das andere rotbestrumpft, nach dem persischen Heer. Sie untermalt ihre Worte mit zugleich gemessenen wie großen Gesten, sie stampft mit den Füßen auf, sie dreht die Wand hin und her, und ruft schließlich den Männerchor hervor, der mit heftigen Bein- und Armschwüngen gegen die Wand vordringt.

Vom ersten Augenblick an fasziniert, wie Gotscheff den weiten, offenen Raum belebt und bespielt. Wie hier die Chöre in den Raum gestellt werden, wie sie ihn füllen, ihn öffnen, wie sie mit kleinen, aber deutlichen Verzweiflungsgesten und -haltungen ihre Texte gliedern, wie sie diese zwischen Flüstern und Schreien erklingen lassen und dabei die innere Anspannung durch konzentrierte Körperspannung ausdrücken, das öffnet den Raum und schließt die Spieler zugleich in ihm ein.

Wunderbar, wie die Chöre, zugleich vereinheitlicht und individualisiert, in den Raum und die Bedeutungen hineinchoreografiert sind. Als keilförmige Marschformation kommen die Boten, um vom Untergang des Heeres zu berichten, entsetzt schwärmen die Frauen aus und finden sich verzweifelt wieder zusammen, wenn sie vom Elend der Niederlage erfahren. Fast magisch der Moment, wenn Königin Atossa, eine schmale, große Frau in schwarzer Hose und Pulli, herabgestiegen aus den obersten Zuschauerreihen auf die Bühne, dort mit ausgebreiteten Armen ihre Angst herausschreit.
Die zweistündige, aus Sprache und Bewegung geborene Inszenierung forderte mit ihrem langsamen Rhythmus allerdings das griechische Publikum enorm. Während der geschlagene Perserkönig Xerxes, ein graumelierter Elegant, sich am Schluss das Hemd vom Leibe riss und sich, die Fliege auf nackter Brust, verzweifelt niederkauerte, und während seine Mutter Atossa klagend wieder die Reihen hinaufstieg, kam es zu einem immer stärkeren Abstrom von Zuschauern. Am Schluss dieser wunderbaren Inszenierung, mit der ich zum ersten Mal erlebte, wie das antike Theater in Epidaurus wirklich leben und erlebt werden kann, gab es auch deutliche Unmutsbekundungen.
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