Amazon und das Weihnachtsgeschäft

"Komfort schaltet unser kritisches Bewusstsein aus"

Amazon Paketzentrum in Großbritannien
Amazon-Paketzentrum in Großbritannien © dpa/Picture alliance/PA wire
Johannes Bröckers im Gespräch mit Shanli Anwar · 24.11.2018
Schlechte Arbeitsbedingungen und unkontrollierte Marktmacht der digitalen Großkonzerne halten Kunden nicht von Shopping-Plattformen wie Amazon fern. Die Rahmenbedingungen im Online-Handel zu verbessern, sei Aufgabe der Politik, sagt der Autor Johannes Bröckers.
Die enorme Marktmacht des US-Konzerns Amazon ist so gut wie jedem bekannt. Das Unternehmen pflege zudem "eine Form der Überwachung oder des Überwachungskonsums", die er persönlich nicht gut finde, sagt der Buchautor Johannes Bröckers. Amazon zeichne jeden Klick seiner Kunden auf und werte ihn aus. Und dennoch: Es falle schwer, die Plattform zu meiden.
"Ich vermute einfach, dass dieser smarte und tolle Service, den uns Amazon anbietet, indem es uns die Sachen nach Hause schickt, und dieser bequeme Komfort unser kritisches Bewusstsein in gewisser Weise ausschaltet", sagt Bröckers. Ihm selbst ergehe es nicht anders. Bei der Arbeit an seinem Buch "Schnauze, Alexa! Ich kaufe nicht bei Amazon" sei er von seinem "eigenen unreflektierten Einkaufsverhalten ausgegangen".

"Da ist die Politik gefragt"

Amazon sei ein Konzern, der seine Mitarbeiter schlecht behandle und zu den "ganz großen Steuervermeidern" gehöre. "Da muss man einfach sagen: Das geht nicht", so Bröckers. In der physischen Welt hätte ein Unternehmen mit der Marktmacht von Amazon längst Ärger mit dem Kartellamt bekommen. In der digitalen Welt gebe es aber weniger Regulierung - und auch kein Kartellamt.
"Da ist auf jeden Fall die Politik auch gefragt, das kann man jetzt nicht bei uns Kunden oder Verbrauchern ablegen", meint Bröckers.
(huc)

Das Interview im Wortlaut:

Shanli Anwar: Blick in den Kalender: Wir haben noch genau einen Monat, dann ist Bescherung angesagt. Und viele Deutsche, in manchen Statistiken ist von rund 60 Prozent die Rede, kaufen mit Vorliebe mittlerweile online ein. Das wird im Weihnachtsgeschäft wahrscheinlich nicht weniger werden, im Gegenteil. Und einer der erfolgreichsten Onlinehändler ist dabei Amazon. Diesen US-Konzern hat sich Autor Johannes Bröckers unter die Lupe genommen, vor allem die Schattenseiten. "Schnauze, Alexa! Ich kaufe nicht bei Amazon", heißt sein neues Buch. Guten Morgen, Herr Bröckers!
Johannes Bröckers: Guten Morgen!
Anwar: Gestern zu diesem Schnäppcheneinkaufstag Black Friday vermeldete Amazon, dass allein in den ersten zehn Stunden die deutschen Kunden mehr als 200.000 Spielzeuge und 140.000 Produkte aus dem Bereich (? 00:03:24) Computer und Zubehör bestellt haben. Wie erklären Sie sich das, dass so viele bei Amazon einkaufen, wo doch immer wieder über die dunklen Seiten auch berichtet wird?
Bröckers: Gute Frage – kann man sich wundern. Ich vermute einfach, dass dieser smarte und tolle Service, den uns Amazon anbietet, indem sie uns die Sachen nach Hause schickt, und dieser bequeme Komfort unser kritisches Bewusstsein in gewisser Weise ausschaltet.
Anwar: Und Schnäppchengier vielleicht auch noch.
Bröckers: Die Schnäppchengier kommt natürlich an so einem Tag, da kann man das ja wunderbar testen, dazu. Wenn alle auf Black Friday programmiert sind, wird eingekauft.
Anwar: Wird uns diese Bequemlichkeit in Zukunft zum Verhängnis? Sie sagen, wir zahlen ja nicht nur mit unseren Daten, sondern auch mit Persönlichkeitsrechten. Wie ist das gemeint?
Bröckers: Wenn man sich vorstellt, dass Amazon derzeit ja auch schon jeden Klick, den wir auf dieser Webseite machen, mit-loggt und auswertet, um unser Kauf- und Konsumverhalten zu analysieren, und wenn wir uns dann noch mal Alexa anschauen, diesen cloudbasierten Voice-Service, der ja auch jeden Befehl, den wir diesem Gerät geben, aufzeichnet, so durchleuchtet uns Amazon Schritt für Schritt differenzierter. Und das ist eine Form der Überwachung oder des Überwachungskonsums, die ich persönlich zumindest nicht gut finde.

"Sogar von den Demokraten und Bernie Sanders gelobt"

Anwar: Jetzt ist es so, parallel zum Black Friday gestern haben 620 Amazon-Beschäftigte gestreikt hier in Deutschland, fordern höhere Bezahlung, tarifliches Weihnachtsgeld. Und dabei hat Jeff Bezos in den USA vor Weihnachten gern auch schon mal seinen Mitarbeitern mehr gezahlt. Welche Strategie steckt denn da dahinter?
Bröckers: Das war ja neulich zu lesen. Er hat da den Mindestlohn für seine Logistikmitarbeiter auf 15 Dollar erhöht und wurde dafür sogar von den Demokraten und Bernie Sanders gelobt. Und wenn man so ein bisschen dahinterguckt, dann sieht man, das hat er eigentlich nur gemacht, weil der Wettstreit um die Saisonarbeiter in der Vorweihnachtszeit besonders groß ist, um Konkurrenten wie Walmart und andere auszustechen. Es geht ihm eigentlich immer darum, die Konkurrenz plattzumachen. Es ging ihm nicht darum, weil er gemerkt hat, dass vielleicht gute Arbeit auch eine gute Bezahlung verdient.
Anwar: Und wenn man sich jetzt diese ganzen Schattenseiten vor Augen führt, sich zum Boykott entschließt, was bringt da so der einzelne Boykott angesichts dieser ungeheuren Marktmacht von Amazon?
Bröckers: Ich weiß nicht – zum Boykott aufrufen ist ja immer ein bisschen schwierig. Mir ging es eigentlich darum, dass wir uns tatsächlich mal die Marktmacht, die Datenmacht und die Finanzmacht von Amazon klar machen und anfangen, mal darüber nachzudenken, was das mit uns selbst, mit unserer Gesellschaft oder vielleicht sogar mit unserer Demokratie macht. Amazon ist für mich auch nur ein Beispiel. Wir könnten ja jetzt auch über Google oder Facebook reden, die alle ähnlich aufgebaut sind, die mit unseren Daten und mit unseren Freiheitsrechten, indem sie uns dauernd beschnüffeln, ein großes Business machen.
Anwar: Wobei ich spannend finde, dass Sie in Ihrem Buch ja auch beschreiben, dass dieser ganze Onlinehandel eigentlich einen kleinen Teil von Amazon ausmacht. Ein größerer Teil sind Webservices, wie zum Beispiel Server bereitstellen.
Bröckers: Genau. Das ist uns normalen Amazon-Kunden, zu denen ich ja auch gehöre, ich bin da jetzt …

"Das läuft auf eine sehr monopolartige Struktur hinaus"

Anwar: Sie bekennen sich. Sie outen sich.
Bröckers: Ja. Ich bin sozusagen von meinem eigenen unreflektierten Einkaufsverhalten ausgegangen. Ich will mich da gar nicht auf eine andere Stufe stellen. Aber wir sehen in Amazon eigentlich immer nur das Onlinekaufhaus. Aber in Wirklichkeit ist Amazon auch ein riesiger Marktplatz, der für andere Händler sozusagen die Plattform bereitstellt. Und da kommt man im Onlinehandel kaum noch dran vorbei. Und dann hat Amazon eben mit seinen Webservices, bietet es sozusagen noch die digitale Infrastruktur an, also die großen Rechenzentren. Und auch da ist Amazon Marktführer. Das läuft in meinen Augen, wenn ich mir die Entwicklung von Amazon in den letzten 20 Jahren angucke, auf eine sehr monopolartige Struktur hinaus.
Anwar: Und da muss man ja sagen, da ist die Politik gefragt.
Bröckers: Da ist auf jeden Fall die Politik auch gefragt. Das kann man jetzt nicht bei uns Kunden oder Verbrauchern ablegen, sondern wir müssen mal überlegen, sind da eigentlich die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt. In unserer physischen Welt, sage ich mal, hätte ein Unternehmen, das so eine Marktkonzentration erreicht hat, längst Ärger mit dem Kartellamt gekriegt. Das hätte gesagt, Moment mal, da müssen wir mal aufpassen, das ist ja hier kein Wettbewerb mehr. In der digitalen Welt aber gibt es wenige Regulierungen und auch kein Kartellamt. Deswegen sind sozusagen die ersten Platzhirsche, die das gut erkannt haben, was mit dem Internet möglich ist, heute so riesige Unternehmen.

"Profite, die nicht ordentlich versteuert werden"

Anwar: Blicken wir noch mal auf das Weihnachtsgeschäft. Was für Alternativen gibt es denn noch zu Amazon. Würden Sie jetzt sagen, die Buchhändlerin um die Ecke oder die großen überfüllten Einkaufszentren, in denen eine Jacke zum Beispiel vielleicht am Ende mehr kostet als online?
Bröckers: Man muss ja mal fairerweise sagen, dass auch die Cyber-Schnäppchenjagd im Grunde nach dem alten Prinzip funktioniert. Da gibt es ein paar gute Lockangebote, und wenn man den Rest wirklich vergleicht, wird man feststellen, so sensationell ist das auch gar nicht. Die Frage ist einfach für mich auch – ich will gar nicht jetzt die Digitalisierung oder unseren Onlinehandel schlecht machen. Mir geht es um die Bedingungen, unter denen uns das ermöglicht wird. Also einerseits die Datensammelei. Andererseits zählt Amazon, wie Sie ja auch schon gesagt haben, zu den Unternehmen, die ihre Arbeiter schlecht bezahlen und schlecht behandeln. Und außerdem zu den ganz großen Steuervermeidern. Das heißt, hier werden Profite gemacht, die nicht ordentlich versteuert werden. Und da muss man einfach sagen, das geht nicht. Das ist so mein Gefühl. Da müssen wir als Konsumenten uns bewusster verhalten, aber da ist auch klar die Politik gefordert. Das sehe ich schon so.
Anwar: Sagt Johannes Bröckers, der das Buch "Schnauze, Alexa. Ich kaufe nicht bei Amazon" geschrieben hat, über die Schattenseiten dieses Konzerns. Und übrigens – gibt es dieses Buch auch bei Amazon zu erwerben?
Bröckers: Ja.
Anwar: Auch das. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Bröckers: Ich danke Ihnen! Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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