Dienstag, 30. April 2024

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Planetarium, OK KID und Die Höchste Eisenbahn
Keine Angst vor Kitsch

Planetarium komprimiert das Lebensgefühl der U30er in elektronischen R’n’B-Klängen und wagt textlich schon mal eine Referenz an alte Volkslieder. OK KID verpackt ihren Blick auf Heimat in mitsingbare Ohrwürmer und für Die Höchste Eisenbahn gehören Sehnsüchte und Naivität zur urbanen Lebenswelt.

Von Daniel Hauser | 01.02.2019
    Die Höchste Eisenbahn
    Die Höchste Eisenbahn - auf der Suche nach dem eigenen Sound (Patrick Jasim)
    Alle drei texten sie in deutscher Sprache und werden dabei als "geistreich" und "intelligent" wahrgenommen, die Bands: Planetarium, Die Höchste Eisenbahn und OK KID. Plakative Aussagen und oberflächliche Gefühlsregungen sind ihnen fremd. In welcher Form sie dennoch die romantische Liebe und deren Umkehrung in ihrer Musik hörbar machen und sie dabei mit der Schwelle zum Kitsch spielen, darum geht es in dieser Ausgabe der Lied- und Folkgeschichten.
    Musik: "Wut lass nach" - OK KID
    Das Kölner Trio OK KID präsentiert sich als meinungsstarke Pop-Band, die ihre Wurzeln in der Hip-Hop-Szene Gießens hat. Auf ihrem mittlerweile dritten Album "Sensation" beschäftigen sie sich mit ihrem Älterwerden, wagen den Blick zurück auf Kindheitserinnerungen, auf die Veränderungen, die sie durchlaufen haben und wie sich dadurch die Perspektive auf persönlich Erlebtes verschiebt. Gentrifizierung im urbanen Raum beschäftigt sie genauso wie die Suche nach moralischer Autorität.
    Mit dem Song "Wut lass nach" rufen sie wohl sich selber und den von ihnen Kritisierten einen Friedensappell zu. In ihren bisherigen Songs hatten sie nämlich immer wieder die so genannten "Wut-Bürger" kritisiert und solche, die seit 2015 in der Öffentlichkeit vor allem gegen andere Menschen mobil gemacht haben und sich dabei selbst als "bürgerliche Mitte" wahrgenommen haben.
    Die drei Musiker von OK Kid stehen auf eine Treppe
    Meinungsstark: Das Trio OK KID (Stefan Braunbarth)
    Diese Auseinandersetzung klingt auf dem Ende Oktober 2018 erschienen Album noch in "Wut lass nach" an. Als Form wählen OK KID hier eine beinahe meditative Klavierballade, in der Sänger Jonas Schubert mit seinem Inneren ringt.
    Musik: "Wut lass nach" OK KID
    Jonas Schubert, Moritz Rech und Raffael Kühle von OK KID sind vor ein paar Jahren von Gießen nach Köln gezogen. Im demselben Tonstudio, in dem sie in Köln arbeiten, ist in den vergangenen zwei Jahren eine weitere Band an den Start gegangen: "Planetarium". Uwe Tontsch, Alexander Linster, Martin Sladek und Julia Leimenstoll sind aus allen Himmelsrichtungen in Köln gelandet, weil sie sich an der dortigen Musikhochschule eingeschrieben hatten.
    Als Absolventen des Studiengangs "Jazz und Pop" gründeten sie die Band "Planetarium". Auf eine erste EP 2017, folgte die zweite kurz vor Weihnachten 2018. Auch darauf findet sich ein Song, der die Stimmung im Land aufgreift und das anonyme Gefühl "Hass" in einer persönlichen Auseinandersetzung verarbeitet. Gitarrist Martin und Sängerin Julia von Planetarium.
    "Wohin mit all dem Hass?"
    "Den gibt’s schon lange: Zwei bis drei Jahre sowas. Der hat sich musikalisch wie textlich aber sehr stark verändert. Ich persönlich habe auch mit dem Thema in Bezug auf den Text sehr stark gerungen und geguckt: Wie gehe ich mit dem Satz und dem Wort um, also ‚Wohin mit all dem Hass?‘. Was bedeutet das für mich, was bedeutet das jetzt gerade auch für unsere Zeit und war da sehr stark mit im Prozess. Ich hab mich bewusst dazu entschieden, das zu vernuscheln. Ich glaube, vor allem die zweite Strophe versteht man nicht so gut: ‚Liebster, schmiere mir Gold ums Maul / Ich schweige veredelt im Neubau / Karten auf den Tisch, wir spielen Mau-Mau / Wortfetzen wärmen nur Lau Lau '".
    Musik: "Hass" - Planetarium
    Anders als die spannungsgeladene und eher anklagende Band OK KID, gehen Planetarium mit dem Thema "Hass" metaphorisch und bisweilen resignativ um: Menschen erreichen einander durch Worte nicht mehr – in der Partnerschaft genauso wie auf gesellschaftlicher Ebene. Und als Alternative zur Konfrontation bleibt scheinbar nur noch die Flucht ins eigene Innere, um zumindest für sich selbst ein bisschen Menschlichkeit zu retten.
    Die vier Musiker von Planetarium sitzen auf einerr Holzbank nebeneinander
    Ständig in Veränderung: die Kölner Band Planetarium (Stefan Braunbarth)
    Julia und ihre Band sind für ihre Art Lieder zu schreiben schon mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Panikpreis der Udo Lindenberg-Stiftung. Inspiration finden sie im US-amerikanischen R'n'B, bei aktuellen Deutschrap-Künstlern, aber auch bei Indie-Bands wie "Die Höchste Eisenbahn".
    Die Berliner Band ist vor acht Jahren von Francesco Wilking und Moritz Krämer gegründet worden. Ihre Lieder schreiben sie meist zusammen. Gesellschaftskritisch sind sie nur auf den zweiten Blick. Das Phänomen "Gier" beispielsweise hat die beiden zu einem musikalischen Gedankenaustausch inspiriert. Moritz Krämer: "Da haben wir über diesen Satz diskutiert: Dieses ‚Gierig-Sein‘, ‚sei gierig‘, und die positive und die negative Belegung davon."
    Francesco Wilking: "An der Stelle waren das Interviews mit Fußballern und Fußballtrainern, die immer sagen nach dem Spiel oder vor dem Spiel: ‚Wir müssen gierig bleiben‘ und wir uns gefragt haben, ob das eigentlich was Positives oder was Negatives ist. Das bewegt sich vom Fußballplatz dann natürlich an die Börse – irgendwann in der Bridge. Das ist so: Man schreibt Zeilen, in denen ‚ich‘ vorkommt, in denen ein Verb vorkommt, in denen eine Richtung vorkommt, in denen die Farbe vom Himmel vorkommt oder sowas. Und da passiert dann irgendwas. Und dann schreibt zum Beispiel Moritz: ‚Louis ist der Typ mit dem Auto‘. Und dann denke ich so: ‚Ah, ok, da kommt Louis ins Spiel. Was ist das denn für ein Typ?‘."
    "Manchmal ist jeder so ein bisschen in seiner eigenen Welt"
    Und dann geht das so weiter und kann sich so Ping-Pong-mäßig entwickeln: Der eine bringt so eine Art Spielfigur mit rein, und der andere reagiert darauf. Manchmal ist jeder so ein bisschen in seiner eigenen Welt, und dann pappt man das einfach so zusammen wie ‚A day in the life‘ von den Beatles zum Beispiel. Und manchmal wachsen die Texte zusammen, dass man fast nicht mehr genau weiß, wer was geschrieben hat."
    Musik: "Gierig" - Die Höchste Eisenbahn
    Sehnsuchtsvoll, wehmütig, mit zwei Stimmen, die schnell zu identifizieren sind wegen ihres leicht leiernden Gesangs – das ist Die Höchste Eisenbahn. Mit ganz anderer stimmlicher Anmutung singt Julia Leimenstoll von Planetarium. Sie ist studierte Sängerin, drängt sich allerdings nicht virtuos in den Vordergrund. Sie singt eher auf lakonisch- nüchterne Art, selbst wenn es in den Texten um emotionsgeladene Situationsbeschreibungen geht. Viel rumgekommen ist sie in der Welt: Südamerika, Afrika und auch Indien. Im aktuellen Song der Band singt sie statt von Indien von "India". Ein gerne von ihr eingesetztes Stilmittel, deutsche Wörter gegen englischsprachige auszutauschen.
    Manches entsteht intuitiv
    "Also manche Sachen kann man ja auch nicht sagen, warum man die macht, die fallen einem halt einfach so ein. Das ist so intuitiv, und dann denk ich: ‚Ja, das ist es jetzt, so ist es super.‘ Es kann sein, dass dadurch, dass ich in Indien war und die ganze Zeit auf Englisch gesprochen habe, dass ich an IndiA gedacht habe und nicht an IndiEN und fand das aber irgendwie auch ganz schön, weil das so ein bisschen ungewöhnlicher war. Es geht auch in diesem ganzen Text nicht um einen lokalen Spot, sondern es geht darum weit weg zu sein und woanders zu sein, an einem anderen Ort, der gerade nicht hier ist. Und das habe ich versucht, kontinental auszurücken."
    Musik: "India" - Die Höchste Eisenbahn
    Das Leben der Mittzwanziger von Planetarium ist ein urbanes. In den Hotspots von Köln verbringen sie ihre Abende und Nächte, als Session Musiker gehen sie mit anderen Bands auf Tour. Im Studio basteln sie mit ihrem Produzenten an Sounds, die "State of the Art" in der Popwelt sind. Die Bühnenshows leben von futuristischen Visualisierungen. Angelehnt an den Bandnamen "Planetarium" findet man sich als Zuschauer im stilisierten All wieder.
    Die Musiker von Die Höchste Eisenbahn in schwarz-weiß
    Die Berliner Band Die Höchste Eisenbahn - geprägt von Leonard Cohen und Bob Dylan (Sonja Stadelmaier)
    Noch sind sie auf der Suche nach ihrem eigenen Sound, zeigen sich von Song zu Song von einer neuen Seite. Aber vielleicht entsprechen sie damit auch einfach nur der Lebenswelt ihres Publikums: Ständig in Veränderung. Gitarrist Martin Sladek: "Also ich kann nur sagen, dass so was für mich nicht so steuerbar ist, das kommt so automatisch aus dem Prozess. Ich weiß jetzt nicht, was wir in einem halben Jahr für Songs schreiben werden. Das könnte auch komplett etwas anderes sein.
    Julia Leimenstoll: "Ja, auf jeden Fall! Also ich glaube, es ist wirklich, wie wir sind, was wir hören, womit wir uns beschäftigen. Das ändert sich ja dauernd, und dadurch ändert sich eben auch musikalisch was bei uns."
    Mal skurril, mal stringent
    Gesetzter wirkt dagegen Die Höchste Eisenbahn. Geprägt von Songwriter-Heroen wie Leonard Cohen und Bob Dylan liegt ihr Fokus eher darauf, Geschichten zu spinnen. Ob sie wahr sind oder nicht, verraten sie nicht. Durch das Songschreiben im Zwei-Mann-Team wirken manche Texte auch ziemlich skurril und zusammenhanglos, aber ab und zu einigen sich Francesco und Moritz dann doch auf eine stringente Erzählung. Francesco Wilking:
    "Das passiert manchmal, dass man so eine Geschichte hinlegt. Genauso wie ein abstrakter Maler in seinem Leben vielleicht ein, zwei Porträts in seinem Leben aus Versehen malt, wo richtig Leute drauf zu erkennen sind. Aber meistens ist es so, dass es sehr wirr ist und so flatterig und so Fetzen, die rumfliegen. Und man versucht krampfhaft, da irgendwie einen roten Faden dazwischen zu spinnen, damit es nicht irgendwie ganz off ist."
    Moritz Krämer: "Ich mag so Lieder, die eine Idee haben und darauf rumkauen, oder eine Story, die von A nach B führt. Ich mag aber auch Lieder, wo ganz viel Musik drin ist und die Worte nur Klang haben oder nur so Fetzen sind, die hängenbleiben."
    "Isi" gehört zu den Liedern, die an einen Erzählstrang vom Anfang des Liedes bis zum Ende dranbleiben. Auf dem 2013er-Album "Schau in den Lauf Hase" beschreibt Die Höchste Eisenbahn das märchenhafte Aufeinandertreffen von zwei Menschen - Isabell und Robert - , das Aufkeimen von Leidenschaft und den Versuch, wenn sie allmählich abebbt, noch einen gemeinsamen Nenner zu finden.
    Musik: "Isi"- Die Höchste Eisenbahn
    Die Gitarre ist als Begleit-Instrument der Grundstock für die Musik der Höchsten Eisenbahn. Bei Planetarium wird sie anders eingesetzt: Über weite Strecken zurückhaltend und wie ein kaum zuzuordnender Effekt, dann plötzlich kontrolliert aufheulend – wie bei der Wiener Band Bilderbuch.
    Julia Leimenstoll und Martin Sladek mit Gitarre liegen im Gras
    Sängerin Julia Leimenstoll und Gitarrist Martin Sladek von Planetarium (Oliver Bless)
    Im Kern klingen Planetarium elektronisch, der Gesang sogar manchmal mit Autotune-Effekt versehen – so wie es die CloudRap-Szene in den letzten Jahren populär gemacht hat. Julia Leimenstoll:
    "Ich zähle uns nicht so richtig zu dieser Szene. Vor allem die EP hat so unterschiedliche Songs. Aber: Ja, es macht manchmal die Türen auf, aber man kann uns dann doch nicht so richtig reinstecken. Zum Beispiel bei ‚India‘ hätte das gar nicht gepasst, da jetzt Autotune draufzuknallen auf meine Stimme, weil das nichts mit der Stilistik oder Ästhetik des Songs zu tun hat. Wohingegen bei ‚Nimm mich‘ das total passt, weil das so einen urbanen Sound hat und danach auch irgendwie verlangt und das für mich auch Spaß gemacht hat, das mal auszuprobieren. Ich bin gar nicht gegen Autotune, ich seh' das einfach auch als eine Art von Kunst. In Bezug auf diese Band möchte ich mir die Freiheit lassen zu sagen: ‚Da passt es einmal und da nicht‘."
    Beim Song "Nimm mich" passt es für Planetarium: Karibischer Rhythmus, harte Synthie-Bässe, Berauschtsein und Autotune. Es ist der erste Song ihrer aktuellen EP.
    Musik: "Nimm mich"- Planetarium
    Nicht ohne Humor
    Francesco Wilking von Die Höchste Eisenbahn zählt die Musiker der Hamburger Schule zu seinen Inspirationsquellen. Was er zusammen mit seinem Kollegen Moritz Krämer diesem musikalischen Erbe vor allem hinzufügt, ist der Humor. Beide schreiben sie in einer Art Wettbewerbssituation miteinander: Zeile für Zeile, Strophe für Strophe. Und will sich der eine diesem künstlerischen Schlagabtausch mal entziehen, stört er den Fluss zum Beispiel mit anzüglichen Zeichnungen auf dem Liedblatt.
    Postwendend kann es dafür schon mal zu Instrumentierungswünschen kommen, die dem anderen dann etwas abverlangen: Einstimmig gespielte Motown-Streicher und getrommelte Bongos sollten es sein beim Song "Nicht atmen". Ein Lied, das viele aneinandergereihte Sinnfragen stellt und erst bei der Frage nach ewiger Liebe Halt macht. Moritz Krämer: "Das war ein Jam mit einem kleinen Yamaha-Keyboard im Tour Bus. Und da war so eine lustige Melodie, die aus dem Keyboard rauskam, und jeder hat was drüber gesungen, und ‚nicht atmen‘ war etwas, das sich dauernd wiederholt hat."
    Francesco Wiking: "Das war Refrain in dem Moment schon. Das ist das, was man sich wünscht eigentlich, dass man sagt: Man hat diesen einen Satz, und den singt man im Refrain, und den singt man vielleicht einmal oder zweimal oder dreimal oder viermal, und in den Strophen versucht man zu erklären, was das bedeuten soll. Aber oft ist es ja genau andersrum: Man fängt an zu schreiben, und dann kommt man vom Hundertsten ins Tausendste, aber dann hat man noch keinen Refrain. Und dann schreibt man im Refrain nochmal so einen Roman. Deswegen: Wenn man das hinkriegt, dass man so eine Formel findet oder so ein einfaches Bild, was man gerne ganz oft wiederholen möchte im Refrain – das finde ich irgendwie cool."
    Musik: "Nicht atmen"- Planetarium
    Reminiszenz an das deutsche Kunstlied
    "Magie" ist der Titel der aktuellen EP von Planetarium. Der gleichnamige Song beginnt mit einer Reminiszenz an das deutsche Kunstlied "Am Brunnen vor dem Tore". Ein Pärchen nähert sich einander an, verpackt in ein 80er Jahre Soundgewand. Im Refrain fragt der Text "Glaubst Du an die L-I-E-B-E". Die Band versucht einen kleinen Moment des Nachdenkens zu schaffen über dieses eine Wort, das so oft in der Musik besungen wird wie kein zweites. Im Anschluss bleibt dann noch Raum, um die sprachliche Kraft des Wortes mit einem groß angelegten Gitarrensolo zu überstrahlen und damit Zeit für die Interpretation zu haben: Ernsthaftigkeit? Oder nur Spaß?
    Julia Leimenstoll: "Ich erinnere mich an den Moment, als ich diesen Song geschrieben habe. Und das war eigentlich so ein Moment, als ich wirklich realisiert habe, dass man wirklich verliebt ist und dass das so ein Gefühl ist, das man auch nach Hause nimmt, wenn man die Person eben nicht mehr sieht und das eben präsent ist und irgendwie auch besonders ist.
    Der Song macht mich selbst meistens immer noch glücklich. Was ich gerade beobachte, ist, dass das so generationsübergreifend ist und dass das irgendwie keine Rolle spielt, ob der Song jetzt was mit Verliebt sein zu tun hat oder nicht. Das Einzige, was ich so mitbekomme, ist, dass die Leute dazu fröhlich werden und dazu tanzen. Ich hab zwei Nachbarkinder, die sind irgendwie super happy auf den Song und hören den rauf und runter. Das ist richtig schön. Und ich kenne ein verliebtes Pärchen, die hören den auch immer und singen ihn sich gegenseitig vor.
    Für mich war dieser Song textlich gesehen schon mutig, aber ich hab gedacht: ‚Nee, ich möchte das jetzt irgendwie einfach so sagen!‘. Und das ist vielleicht ein bisschen kitschig, aber es ist irgendwie das, was ich verspüre, und deswegen muss es vielleicht auch einfach mal gesagt werden."
    Musik: "Magie" - Planetarium
    So fragmentarisch collagiert Planetarium sonst texten, beim Song "Magie" ist die Sängerin so konkret wie bei sonst keinem anderen Song. Für sie repräsentiert diese Ausdrücklichkeit den aktuellen Zeitgeist.
    "Ja, ich glaube, es hat sich so ein bisschen gewandelt durch so Bands wie Bilderbuch um Beispiel, die irgendwie auch unterschiedliche ältere Einflüsse mit in ihre Musik bringen, die teilweise kryptisch sind und irgendwie ungewöhnlich. Ich denke, dass wir Zeitgeist sind, weil wir ja gerade in dieser Generation leben und weil ich mich mit dieser Generation identifiziere und durch meine Freunde erfahre, wenn wir über gewisse Themen sprechen, dass die sich auch darin verbunden fühlen.
    "Zeitgeist kann auch etwas Kleines sein"
    Also Zeitgeist ist natürlich irgendwie was Großes, was sehr viele Menschen verbindet, aber ich denke, Zeitgeist kann auch etwas Kleines sein. Typen wir Yung Hurn oder Rin oder Moneyboy, die mit Cloudrap rumprobieren und die irgendwie auch was ganz Neues reinbringen gerade in unsere Generation oder in unseren Zeitgeist.
    Ich finde, es ist gerade die Zeit, viel machen zu können, eigentlich alles machen zu können, worauf man eben Bock hat. Das ist eben auch für mich selbst ein bisschen Magie, weil das eben auch für mich etwas Neues war, was mir vielleicht vor ein paar Jahren noch zu kitschig gewesen wäre, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte es mich wahrscheinlich einfach nicht getraut, so eine Frage zu stellen. Und jetzt glaube ich einfach, das darf man gerade."
    Auch Die Höchste Eisenbahn hat einen Song im Repertoire, der keine Fragen offenlässt und ein Liebesgeständnis in unmissverständliche Worte packt. "Blume" findet sich auf dem aktuellen Album "Wer bringt mich jetzt zu den Anderen". Im dazugehörigen Videoclip sieht man ein Kind, das lippensynchron singt: Unsere Liebe wird aufgehen wie eine Blume". Die Stimme dazu kommt aber natürlich von Moritz Krämer und Francesco Wilking.
    "Ich finde es trotzdem keinen Kitsch: Also Kitsch ist für mich immer so ähnlich wie - also der Klassiker ist ja praktisch: ‚Sonnenuntergang ist wunderschön‘. Ein hässliches Ölbild von einem Sonnenuntergang ist Kitsch, wie es eine billige Imitation von etwas Wunderschönem ist.
    Und wenn Du sagst: ‚Unsere Liebe wird aufgehen wie eine Blume‘, ist das für mich nicht Kitsch, sondern es ist sowas, was man unbedingt glauben will, was irgendwie naiv und rein und vielleicht ein bisschen dumm ist, aber Kitsch ist was anderes, finde ich."
    Der Refrain lag einige Jahre in der Schublade
    Trotzdem ist es ein Lied, das auch bei der Höchsten Eisenbahn heraussticht. Und die Songidee wurde auch nicht sofort umgesetzt. Einige Jahre lang lag der Refrain in der Schublade, ehe er dann bei der letzten Albumproduktion zu einem kompletten Song ausgearbeitet wurde. Moritz Krämer:
    "Ich weiß noch, Du hattest diesen Refrain noch. Und dann haben wir gesagt, da ist es ja so ganz klassisch: Jeder singt eine Strophe, und jeder hat eine Strophe geschrieben. Und wir hatten gesagt: Wir schreiben was, das nur optimistisch ist zum Thema "Liebe".
    Francesco Wilking: "Die Idee dahinter ist ein Bob Dylan-Lied, und da beschreibt er so einen Traum. Und er läuft durch eine Welt, wo nur noch Trümmer sind nach einer postapokalyptischen Situation. Und dann liegt da ein Radio auf dem Boden, und im Radio kommt ein Country-Song, und der Country-Song sagt: "Tell your Ma, tell your Pa, our love is gonna grow, huahua". Das ist die Zeile in dem Lied.
    Moritz Krämer: "Stimmt, und am Anfang haben wir nicht gesungen ‚Sag all Deinen Freunden am besten noch heute‘, sondern ‚Sag Deiner Mamma, sag Deinem Papa ...‘, und dann hat unser Label gesagt: ‚Das klingt irgendwie pädophil‘.
    Francesco Wilking: "Ja, dann haben wir geschluckt und haben das dann geändert. Ich finde es wichtig, dass alles immer so blank und naiv bleibt, also wenn man jetzt aus dem ‚Meer‘ eine ‚stürmende See‘ macht, finde ich das nicht gut, weil das wird dann so konkret Naturlyrik. Aber wenn das für mich so klingt wie ‚Haus, Blume, Himmel, Wolke‘ - wenn es so klingt, als würde das ein vierjähriges Kind zeichnen - dann finde ich das gut."
    Musik: "Blume" – Die Höchste Eisenbahn
    Die Höchste Eisenbahn aus Berlin. Derzeit beendet die die Band die Arbeiten am neuen Album. In den kommenden Wochen ist mit einem ersten Song daraus zu rechnen. 2019 soll auch das Jahr von Planetarium aus Köln werden. Die vier Musiker haben sich fest vorgenommen, mehr Zeit für ihre Musik zu investieren, und möglicherweise wird ein erstes Album in Angriff genommen.
    Die drei Musiker stehen nebeneinanderr
    Jonas Schubert, Moritz Rech und Raffael Kühle von OK KID (Stefan Braunbarth)
    Die nächste Tour der zu Beginn gehörten Band OK KID ist gerade vom März auf den Herbst 2019 verlegt worden.
    Musik: "Hinterher" – OK KID