Migranten als Pflegekräfte

Viele Hürden für Geflüchtete in der Ausbildung

06:24 Minuten
Muslimische Altenpflegerin richtet ein Bett im einem türkischen Altenpflegeheim in Berlin.
Der Weg zur Arbeit als Pflegekraft ist für Flüchtlinge voller Hürden: unsicherer Aufenthaltsstatus, kein Baföganspruch und fehlende Deutschkenntnisse. © imago images / Uwe Steinert
Von Claudia van Laak · 09.12.2020
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In Deutschland herrscht Pflegenotstand. Dabei würden viele Geflüchtete gern in der Pflege arbeiten. Die Ausbildung zum Sozialassistenten brechen viele aber wieder ab: An privaten Schulen müssen sie zu viel zahlen.
"'Welche persönlichen Fähigkeiten besitzen Sie?' - Was würdest Du da sagen, Sarah?", fragt Schulleiter Marco Hahn eine Schülerin.
Die antwortet: "Ich habe geschrieben, ich bin ein ehrlicher Mensch, und wenn etwas nicht in Ordnung ist, sage ich es auch."

Bewerbungstraining: Der Schulleiter mimt den Personalchef

Online-Unterricht in der Berufsfachschule Paulo Freire. Schulleiter Marco Hahn ist mit seinen Schülerinnen und Schülern im Bewerbungstraining. Wegen Corona gebe es leider keinen Präsenzunterricht, bedauert der 42-Jährige. Jetzt mimt Hahn den Personalchef:
"So, herzlich willkommen zu Ihrem Bewerbungsgespräch, ich habe hier Ihre Bewerbungsunterlagen vorliegen."
Die private Berufsfachschule im Berliner Stadtteil Moabit bietet verschiedene Ausbildungsgänge an, unter anderem den Abschluss zum Sozialassistenten mit Schwerpunkt Pflege – eine Vorstufe für die Kranken-, und Altenpflegeausbildung. Migrantinnen und Migranten werden hier besonders gefördert, jeder dritte Schüler ist Flüchtling. So wie die Hebamme Atifa Rabbini aus Afghanistan.
"Ich habe früher in meiner Heimat auch studiert und ein Jahr im Krankenhaus als Hebamme gearbeitet", sagt Rabbini. Als Hebamme arbeiten wollte sie hier auch. Doch die deutschen Behörden haben ihren Abschluss nicht anerkannt, sie musste ganz von vorne anfangen: mit einer Ausbildung zur Sozialassistentin.
"Ich kann nicht so gut Deutsch", sagt sie, "ich hoffe, dass ich in den nächsten Jahren gut Deutsch lerne, deshalb habe ich von Null angefangen."

"Ich kämpfe dafür, was mich glücklich macht"

Ähnlich Ammar Albsharat. Bei dem Jordanier kommt erschwerend hinzu: Er weiß nicht, ob er dauerhaft in Deutschland bleiben darf. Dabei ist sein Berufsziel klar. Er will Krankenpfleger werden:
"Wenn ich hier abschließe, dann suche ich mir eine Schule, dreijährige Ausbildung zur Pflegekraft, und wenn es möglich ist, studiere ich nebenbei."
Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, jobbt Ammar Albsharat nebenbei in einer Shisha-Bar. Die musste wegen Corona schließen, deshalb leiht sich der 24-Jährige gerade Geld von seinem Cousin, um seine Miete und das Essen zahlen zu können – an seinem Berufsziel Krankenpfleger hält er trotzdem fest.
"Mein Ziel habe ich noch nicht erreicht, aber ich versuche es zu erreichen, egal wie. Ich kämpfe dafür, was mich glücklich macht."

Aus dem Job im Spätkauf in die Ausbildung

Schulleiter Marco Hahn, selbst gelernter Krankenpfleger, versucht so gut wie möglich, seine Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Was er nicht ändern kann: Er muss monatlich 100 Euro Schulgeld verlangen. Die Ausbildungsstätte in gemeinnütziger Trägerschaft sei ungenügend vom Land Berlin finanziert, sagt Hahn:
"Wir sind in einem großen Dilemma. Wir müssen Geld von Menschen nehmen, die eigentlich keins haben, die wir auch unterstützen wollen. Das ist für uns ein großes Dilemma."
Unterrichtssequenz in der Berliner Berufsfachschule Paulo Freire: Schülerinnen und Schüler sitzen an Tischen und eine Lehrerin steht und spricht. 
Vor dem Coronavirus: Ausbildung im sozialpflegerischen Bereich an der Berufsfachschule Paulo Freire in Berlin© picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka
Schüler wie Ammar Albsharat aus Jordanien müssen gleich mehrere Steine aus dem Weg räumen. Ihr Aufenthaltsstatus ist unsicher, sie erhalten kein Bafög, müssen ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren und dazu noch Deutsch lernen, um die Prüfung zu bestehen.
"Ich sehe auch, dass viele Schülerinnen und Schüler die Ausbildung abbrechen müssen, weil sie die Belastung nicht aushalten", sagt Hahn. "Ich weiß von Schülern, die im Späti arbeiten, bis ein Uhr oder zwei Uhr morgens. Dann um 8:30 Uhr hier auf der Matte zu stehen, würde mir auch schwerfallen."

Giffey will Schulgeld abschaffen

Marco Hahn sucht Unterstützung bei der Politik. Dass im Sommer Bundesfamilienministerin Franziska Giffey zu Gast war, ließ den Schulleiter hoffen. Zumal die SPD-Politikerin im Anschluss die Berufsfachschule und ihre Unterstützung für Migrantinnen und Migranten über den grünen Klee lobte.
"Ich sehe das schon so, dass da ein Modellcharakter für Deutschland ist, wo man wirklich noch einmal schauen muss: Wie kann man Sie unterstützen, um das auszubauen? Da machen wir noch einmal einen extra Termin", sagte Giffey. "Ich bin sehr positiv beeindruckt davon."
Die SPD-Politikerin hat sich in der Bundesregierung erfolgreich dafür eingesetzt, dass Krankenpflegeschülerinnen und -schüler kein Geld mehr für ihre Ausbildung zahlen müssen. Für Sozialassistenten müsse das auch gelten, forderte sie im Juni bei ihrem Besuch der Paulo Freire Schule.
Porträtbild von Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Franziska Giffey (SPD), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, ist überzeugt, dass die Ausbildungssituation bei den Sozialassistenten verbessert werden muss.© dpa
"Da müssen wir ran, bei den Sozialassistenten erst Recht", so Giffey. "Wenn nämlich das die Vorstufe ist für den Pflegeberuf aber man sich das nicht leisten kann, dann kommt man erst gar nicht an in der Pflegeausbildung – und deswegen ist das ein Thema, das wir auf allen Ebenen bewegen müssen."

Berlin setzt auf öffentliche Berufsschulen

Verantwortlich für die Schulfinanzierung ist allerdings das Land Berlin. Wir kennen das Thema, heißt es in der Senatsbildungsverwaltung. Handlungsbedarf sieht man aber nicht, denn – Zitat:
"Es gilt generell das Prinzip der Wahlfreiheit. Ein ähnliches Angebot wird im Sozialassistentenbereich auch an öffentlichen Berufsschulen angeboten."
Und die öffentlichen Schulen verlangten a) kein Schulgeld und b) gebe es dort freie Plätze, so die Bildungsverwaltung. Marco Hahn hält dagegen: In seiner privaten Berufsfachschule würden Migrantinnen und Migranten besser gefördert als in einer staatlichen. Die täglichen Nachrichten über den Pflegenotstand, gerade jetzt in der Coronapandemie, kommentiert der Schulleiter so:
"Wir haben in der Ausbildung von Fachkräften erhebliche Widersprüche. Und da wünsche ich mir von der Politik, dass wir zu nachhaltigen Lösungen kommen, dass so hochmotivierte Schülerinnen und Schüler, wie wir sie haben, Unterstützung erfahren."
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