Aus den Feuilletons

Über Kriegshetzer, Attentäter und Aufklärer

Franz Ferdinand und seine Frau Sophie als Wachsfigur in einem Museum in Sarajevo
Franz Ferdinand und seine Frau Sophie als Wachsfigur in einem Museum in Sarajevo © dpa / picture alliance / Fehim Demir
Von Adelheid Wedel · 27.06.2014
Von der philosophischen Analyse, über die zeithistorische Betrachtung bis hin zur Rezension eines vergessenen Biografen von Franz Ferdinand - die deutschen Feuilletons widmen sich in all ihrer Breite den Ereignissen um das Attentat auf den österreichischen Thronfolger im Juni 1914.
An diesem Sonnabend vor 100 Jahren wurde in Sarajevo der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand ermordet. Die Feuilletons vom Wochenende finden einen jeweils sehr speziellen Zugang zu diesem Jahrestag. Die BERLINER ZEITUNG veröffentlicht auf zwei Seiten ein Interview mit dem Historiker, Germanisten und Philosophen Ernst Piper, seines Zeichens Privatdozent für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam.
"Ende vergangenen Jahres kam sein Buch 'Nacht über Europa – Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs' im Propyläen Verlag heraus. Ein 560 Seiten dickes, von Informationen überquellendes Buch",
urteilt Arno Widmann, der den Autor interviewt. Ergänzt werden muss, dass kürzlich in der Edition Langen Stiftung "Das Zeitalter der Weltkriege 1914 bis 1945" als Text-Bild-Band herausgegeben wurde, ebenfalls von Ernst Piper. Im Gespräch erweist er sich als kenntnisreicher Partner, besonders, bei den Fragen Frieden/Krieg und Widerstand gegen die kriegstreibenden Kräfte von 1914.

Er analysiert die Haltung der SPD als eine Antikriegspartei, und sagt:
"Das gilt genauso für die sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien in den anderen europäischen Staaten."
Dennoch kam es schließlich zu einer Bewilligung der Kriegskredite, für die Piper einige Überlegungen aufzählt. Im Ergebnis aber haben
"die Sozialisten in allen Ländern den Kriegskurs ihrer Regierungen mitgetragen."
Piper hebt hervor, dass "die Spaltung der SPD ein wichtiges Ergebnis des weiteren Verlaufes des Ersten Weltkrieges war. Die Spaltung der Arbeiterbewegung in Reformer und Revolutionäre, in Sozialdemokraten und Kommunisten, war irreversibel, sie existiert bis heute" – so Ernst Piper in der BERLINER ZEITUNG.
"Wer schoss in Sarajevo?" fragt der serbische Schriftsteller Bora Cosic in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG und bekommt für seine Überlegungen eine ganze Zeitungsseite. Er hat einen sehr persönlichen Bezug zum Geschehen vor 100 Jahren:
"Bevor sich der serbisch-nationalistische Anarchistentrupp der Mlada Bosna zum Attentat nach Sarajevo aufmachte, hatte er sich lange im Belgrader Marktviertel herumgetrieben. Cosic kennt die Ecke aus eigener Lebenserfahrung, eben dort, wo die Attentäter in den umliegenden Kneipen herumgehangen hatten, habe er einen Teil seiner Kindheit verbracht. Und wenn die Kneipen schlossen, legten sie sich unter die leeren Marktstände und träumten ihre umstürzlerischen Träume."
Immer noch gibt es ungelöste Fragen zu den Ereignissen vor 100 Jahren. Annika Mombauer registriert in der Tageszeitung DIE TAZ:
"Bis heute streiten Politiker und Diplomaten, Historiker und die Öffentlichkeit darüber, wer hinter den jungen Attentätern um Princip die Fäden zog. Noch umstrittener ist und bleibt, wer dafür verantwortlich war, dass die auf den Mord folgende Julikrise nicht diplomatisch gelöst wurde, sondern zum Ersten Weltkrieg führte, der so viele Opfer forderte. Warum, so fragt die Historikerin, wollten einige einen Krieg provozieren, obwohl sie doch fürchteten, dass der nächste Krieg das Ende der Zivilisation bedeuten könne? Auch die jüngste Kontroverse um Christopher Clarks Schlafwandlerthese liefert keine unumstößlichen Antworten und wirft ihrerseits neue Fragen auf", so das Fazit von Mombauer in der TAZ.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG feiert den Romancier Ludwig Winder, der 1880 im mährischen Safov, damals Schaffa, geboren wurde und 1946 im englischen Exil starb. Er gehörte in den Zwanziger und Dreißiger Jahren zu den führenden deutschsprachigen Literaten in Prag. Winder ist so vergessen, klagt Gustav Seibt,
"dass es einen Gedenktag brauchte, um sein Hauptwerk, den 'Thronfolger', die Romanbiografie von Franz Ferdinand, jetzt wieder herauszubringen. Es ist der Roman der sterbenden Monarchie. Er macht wenig Hoffnung, dass dieser Thronfolger, wäre er nicht erschossen worden, das schwerfällig-fragile Gebilde Österreich-Ungarn hätte retten können."