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Smog als Atmosphären-Kühlmittel

Klimaforschung. - Begriffe wie Smog, Entschwefelung und Entstickung sind fast vergessen, seit die Industrie hier wirksame Filteranlagen einsetzt. Nicht so in Boom-Ländern wie China oder Indien: Die dort reichlich emittierten Aerosole wirken aber auch der Klimaerwärmung entgegen.

Von Volker Mrasek | 22.12.2005
    Die neue Studie im britischen Wissenschaftsmagazin "Nature" ist eine echte Überraschung. Klimaforscher waren sich zwar nie sicher, wie stark Schwefelpartikel aus Rauch- und Abgasen die Atmosphäre wirklich kühlen. Das ließ sich bisher nur vage abschätzen, mit Hilfe von Computermodellen. Doch dass die Schmutzschleier derart wirksam sind - damit rechnete noch nicht einmal der Zwischenstaatliche Klimaausschuss der Vereinten Nationen. Und der gilt immerhin als höchste Instanz auf dem Gebiet. Der französische Physiker Nicolas Bellouin, Hauptautor der neuen Studie und Forscher am Hadley-Center für Klimavorhersage in England:

    "Nach unseren Berechnungen ist der Kühleffekt der Aerosole doppelt so stark wie in den bisherigen Modellabschätzungen."

    Wenn die neuen Zahlen stimmen, dann sind die Aerosole ein fast ebenbürtiger Gegenspieler der wichtigsten Klimagase. Ihr Kühleffekt würde demnach sogar die Treibhauswirkung von Kohlendioxid aufheben. Die Erderwärmung völlig verhindern können die Schwefelpartikel aber nicht. Denn es gibt ja noch eine Reihe anderer potenter Treibhausgase, die Wärme in der Atmosphäre zurückhalten:

    "Wir haben den Anteil der anthropogenen Aerosole erstmals genau ermittelt. Also derjenigen Smog-Partikel, die durch menschliche Aktivitäten entstehen. Es gibt ja auch natürlichen Schwebstaub in der Atmosphäre. In älteren Studien wurde er immer miterfasst. Deswegen ließ sich der anthropogene Anteil nur grob abschätzen. Jetzt sehen wir, dass er zwar nur bei zehn bis 15 Prozent liegt. Doch die Schwefelpartikel sind kleiner als die natürlichen Aerosole. Ihr Durchmesser ist gerade so, dass sie das eingestrahlte Sonnenlicht sehr effektiv reflektieren."

    Bellouin und seine Co-Autoren zogen für ihre Studie zunächst einmal Daten der US-Satelliten "Terra" und "Aqua" heran. Beide haben ein spezielles Spektrometer an Bord. Es erfasst Schwebstaubpartikel aus dem All. Zusätzlich verarbeiteten die Forscher Daten verschiedener Flugzeug-Messkampagnen und von Bodenstationen, die in einem Aerosol-Netzwerk zusammengeschlossen sind. So gelang es ihnen, ein weiteres Manko früherer Studien zu beheben:

    "Wir haben erstmals Aerosole über dem Land analysiert. Das gab es vorher nicht. Es viel einfacher, sich die Partikel über dem Meer anzuschauen. Vor dem dunklen Hintergrund des Ozeans sehen die Satelliten viel mehr als über den Kontinenten. Uns ist es jetzt gelungen, auch die Aerosole über dem Land mit einzubeziehen. "

    Auch am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg hat man sich gerade erst wieder mit dem Schwebstaub beschäftigt. Noch gibt es reichlich davon, vor allem in Südostasien. In einem Klimamodell simulierten die Hamburger Wissenschaftler, was geschähe, wenn man diese kühlenden Schmutzschleier schlagartig aus der Atmosphäre entfernte. Das Ergebnis: Die Oberflächentemperatur würde im Mittel um 0,8 Grad Celsius steigen, das heißt: stärker als im bisherigen Verlauf der Klimaerwärmung. Dabei sind die Forscher noch von der schwächeren Kühlwirkung der Aerosole ausgegangen. Tatsächlich dürfte die Temperatur noch höher klettern, sollte der Smog allmählich verschwinden. Dazu werde es auf jeden Fall kommen, sagt Meinrat Andreae, Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Denn es sei heute klarer denn je, dass der Staub in der Außenluft die Gesundheit schädige:

    "Deswegen gibt’s jetzt eigentlich überall in der Welt - inklusive China, inklusive Indien - Bestrebungen, die Emissionen drastisch zu reduzieren. Und alle unsere Zukunftsszenarien für die Emission von Aerosolen werden eigentlich ständig nach unten revidiert. Man sieht sogar also jetzt schon groß-skalige Abnahmen in einigen Bereichen Chinas. Also der Trend nach unten hat schon eingesetzt."

    Es ist paradox, aber unbestritten: Weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung werden die Klimaerwärmung verschärfen. Und das stärker als bisher gedacht. Umso mehr müssen Industrie- und Schwellenländer tun, um ihre Treibhausgas-Emissionen zu drosseln.