Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Zentrales Abitur, zentrale Fehler

Unlösbare Matheprobleme oder bereits im Unterricht besprochene Aufgaben - zahlreiche Pannen meldeten Abiturienten aus NRW der Homepage "spickmich.de". Der Chefredakteur des Internetportals, Bernd Dicks, fordert nun, die Noten der betroffenen Abiturienten im Nachhinein anzuheben. Außerdem müsse das Zentralabitur "im nächsten Jahr glatt laufen".

Moderation: Armin Himmelrath | 05.06.2008
    Armin Himmelrath: Unlösbare Matheaufgaben, verdrehte oder auch völlig fehlende Zahlen in der Erdkundeklausur, an einigen Schulen sogar komplett falsche Klausuren im Fach Sozialwissenschaften. Die Macher der Lehrerbewertungs-Homepage "spickmich.de" haben heute das diesjährige NRW-Zentralabitur zum Zentralfehler-Abitur erklärt. Am Telefon begrüße ich jetzt Bernd Dicks, den "spickmich"-Chefredakteur. Guten Tag, Herr Dicks!
    Bernd Dicks: Hallo, Herr Himmelrath!
    Himmelrath: Sie haben landesweit rund 1000 Schülerberichte über Probleme mit den Prüfungen gesammelt. Wo hakt es denn überall nach Ihren Erfahrungen?
    Dicks: Also es hakt an mehreren Stellen. Zum einen ist in der Tat die Anzahl der Fehler in den Aufgaben, die vom Ministerium an die Schüler in die Abiturprüfung reingebaut worden ist, immens. Wir wissen halt von mehreren Fächern - Mathematik, Erdkunde, Geschichte, Pädagogik. In Spanisch war zum Beispiel einer der beiden Texte schon einigen Klassen bekannt, sie haben das kurz vorm Abi sogar noch interpretiert. Da waren natürlich die Klassen dann im Vorteil.

    Auch im Sportleistungskurs hatten die Klausuren, die zur Auswahl standen, beinahe den gleichen Schwerpunkt. Das ist natürlich schwierig für diejenigen, die beispielsweise den Bereich Gesundheitssport nicht gelernt haben, die haben natürlich dann völlig versagt. Aber es ist auch das Ausmaß der Fehler.

    Wir haben ja eben fast 1000 Rückmeldungen von den Schülern bekommen. Und da ist ganz krass aufgefallen, dass 80 Prozent derjenigen, die uns eine Rückmeldung zum Fach Mathe gegeben haben, einfach ein Problem damit hatten, mit den Aufgaben, die dort gestellt worden sind. Die waren entweder unlösbar - das hat ja auch ein Professor schon rausgefunden - oder aber sie waren einfach so schlecht gestellt, dass die Schüler nicht wussten, was sie damit anfangen sollen.
    Himmelrath: Jetzt kann man ja sagen, Sie haben 1000 Berichte gesammelt, insgesamt gibt es über 60.000 Abiturienten in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr. Sind Sie sicher, dass das nicht nur die sind, die sich schlecht vorbereitet haben?
    Dicks: Nein, wir haben ja auch das Gegenbeispiel. Es haben sich beispielsweise auch 80 Prozent der Schüler auch dafür ausgesprochen, dass Englisch und Deutsch beispielsweise sehr gut waren, dass die Schüler sehr gut damit zurechtgekommen sind. Und man muss auch sagen natürlich, das Ganze war nie als wissenschaftliche Evaluation angedacht, sondern wir von "spickmich" haben einfach unseren Kanal genutzt und haben gesagt, wir schicken eine E-Mail raus, wie waren deine Erfahrungen im Zentralabitur, schick uns doch mal was - an 20.000 Leute.

    Und da sind halt 1000 zurückgekommen. Und viele sind qualitativ so hochwertig. Viele Schüler sprechen für die ganze Klasse. Wir wissen von Schulen, an denen komplette Klassen, komplette Matheleistungskurse mit 20, 30 Leuten in die Nachprüfung müssen. Und das zeigt ganz eindeutig, dass hier grobe Fehler im System sind, die jetzt zulasten der Schüler gehen.
    Himmelrath: Haben Sie eine Vermutung, wo diese Probleme herkommen könnten? Denn möglicherweise sind das ja einfach nur Probleme, die in der Masse dieser Aufgaben auftauchen müssen. Es gab, glaube ich, über 700 Einzelaufgaben, die das Ministerium verschickt hat.
    Dicks: Ja, aber das darf nicht sein bei einem Zentralabitur, dass im Prinzip mehrere Tausende Schüler jetzt ein Problem haben, weil sie schlechtere Noten dadurch bekommen, dadurch, dass solche Fehler passieren. In anderen Bundesländern klappt das deutlich reibungsloser.

    Man muss sich das auch mal so vorstellen: Früher, als die Lehrkräfte noch die Klausuren vorbereitet haben und einfach nur zur Kontrolle an die Bezirksregierung geschickt haben, haben die Bezirksregierungen gemeckert, wenn nur ein Komma falsch ist. Jetzt läuft das System ja andersrum, die Bezirksregierungen schicken den Lehrkräften die Klausuren, die sie zu schreiben haben, und die sind einfach nur voller Fehler. Da stimmt was nicht.
    Himmelrath: Was heißt das für die Schüler, die dort jetzt möglicherweise als angehende Studierende auf ihre Abi-Note hoffen?
    Dicks: Wir haben da ganz konkrete Rückmeldungen, auch sehr emotional. Die Schüler sind sehr betroffen, weil sie beispielsweise statt einer 2,1 jetzt eine 2,3 oder eine 2,4 auf dem Zeugnis haben und sie somit ihren NC für beispielsweise ein Medizinstudium nicht mehr bekommen. Wir wissen von mehreren Schülern, dass das wirklich dazu führen wird, dass sie sehr wahrscheinlich ein Jahr warten müssen mit dem Studium.
    Himmelrath: Welche Forderungen ergeben sich daraus, aus Ihrer Sicht? Sie haben heute in der Pressekonferenz in Düsseldorf, die Sie abgehalten haben, schon mal gesagt, man müsse über die Bewertungsmaßstäbe nachdenken.
    Dicks: Ja, es ist ganz enorm wichtig, dass eben die betroffenen Schüler, also wir reden nicht von allen Abiturienten, sondern dass die betroffenen Schüler, die eben diese fragwürdigen Aufgaben in Mathe oder Bio hatten, dass die einfach eine Möglichkeit bekommen, dass deren Noten nachträglich angehoben werden können, ohne dass da jetzt ein großer Prüfungsaufwand noch mal bevorsteht. Denn selbst durch eine Nachprüfung, wie sie ja jetzt in den meisten Fällen sogar stattfindet, wird man die Noten nicht auf dem Niveau anheben können, als wenn es eine ganz normale Klausur gewesen wäre, die die Schüler einfach nur mit einer Zwei oder so bestanden hätten.

    Das heißt, hier müssen die Schüler einfach unterstützt werden, damit sie keine Nachteile erhalten. Und das ist eine ganz klare Forderung an das Ministerium, dass sie da den Schülern jetzt unter die Arme greifen. Sie müssen quasi hinterherkehren. Und natürlich die Forderung: Im nächsten Jahr muss es glatt laufen.
    Himmelrath: Bernd Dicks war das, der Chefredakteur der Lehrerbewertungsseite "spickmich.de". Die haben 1000 Schülerstimmen gesammelt zu Pannen beim Zentralabitur in Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen herzlich.

    Weitere Informationen:
    Spickmich