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Vor 250 Jahren geboren
Georges Cuvier, der große Ordner des Tierreichs

Er systematisierte Tausende Tiere im bis dahin größten Nachschlagewerk und bestimmte Tierarten allein anhand der Zähne: Georges Cuvier war einer der berühmtesten Zoologen seiner Zeit - und lebenslanger Gegner der Evolutionstheorie. Am 23. August 1769 kam der Gelehrte zur Welt.

Von Irene Meichsner | 23.08.2019
    Georges Cuvier, französischer Naturforscher
    Georges Cuvier, Pionier der wissenschaftlichen Paläontologie, schloss vom Körperteil aufs ganze Tier (picture alliance / Mary Evans Picture Library)
    "Gestern durfte ich das 'Allerheiligste' von Cuvier betreten! Es ist absolut typisch für diesen Mann und seine methodische Herangehensweise. Seine Bibliothek erstreckt sich über mehrere Räume. In einem findet sich alles über Vögel, in einem anderen alles über Fische, in einem dritten nur juristische Fachliteratur. In seinem Büro stehen elf Schreibtische, auf jedem eine komplette Garnitur von Tintenfässern, Federn und Klammern für die verschiedenen Manuskripte, mit denen Cuvier sich gerade beschäftigt."
    Ordnung zu schaffen und die Dinge in Ordnung zu halten - das muss für Georges Cuvier, dessen Arbeitsweise der englische Geologe Charles Lyell in einem Brief an seine Schwester so anschaulich schildete, ein tiefes inneres Bedürfnis gewesen sein.
    "Da ich mich seit meiner frühesten Jugend dem Studium der vergleichenden Anatomie aus Neigung gewidmet habe, so ist es mein Zweck dabei gewesen, sie auf allgemeine Regeln zurückzuführen", schrieb Cuvier in seinem 1817 veröffentlichten Opus Magnum "Das Thierreich, geordnet nach seiner Organisation".
    "Ich lese Cuvier - und staune"
    Es war das bislang umfassendste zoologische Nachschlagewerk. Tausende von Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Fischen, Weichtieren, Würmern, Krebstieren, Spinnentieren, Insekten, Schwämmen und Korallen waren darin verzeichnet und mit ihren Hauptmerkmalen der jeweiligen Gattung und Tierfamilie zugeordnet. Auch viele eigentümliche Kreaturen waren darunter. Der Kulturwissenschaftler Ulrich Raulff schrieb für einen Radiobeitrag:
    "Ich lese Cuvier - und staune. Wozu ein Geschrei machen wie der 'brüllende Frosch'? Wenn man am Ende doch zur Hauptnahrung für die Klapperschlangen wird? Ich lese Cuvier - und bin entzückt. Über Delikatesse und Geschmack der 'blumenliebenden Sackmaus'."
    Cuvier kam am 23. August 1769 in Mömpelgard, dem heutigen Montbéliard zur Welt, das damals noch zu Württemberg gehörte. Als Student an der "Hohen Karlsschule" in Stuttgart befasste er sich vor allem mit administrativen, juristischen und ökonomischen Fragen. Danach zog er als Hauslehrer in die Normandie, wo er - fernab der Wirren der Französischen Revolution - jede freie Minute nutzte, um sich in das Studium der Küstenfauna zu vertiefen.
    Ein Freund, der seine sorgfältigen Skizzen von Muscheln, Fischen, Seeigeln, Korallen und Schmetterlingen gesehen hatte, empfahl ihn 1795 nach Paris. Cuvier wurde Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie am Collège de France und am Museum für Naturgeschichte.
    Von Evolution der Arten wollte er nichts wissen
    Seinem konservativen Charakter entsprechend hielt er an der Vorstellung einer "Konstanz der Arten" fest. Jeder Organismus war für ihn ein ausgeklügeltes, von einem Schöpfergott erdachtes System, dessen Einzelteile eine unveränderliche funktionelle Einheit bildeten.
    "Die kleinste Knochenfazette, der geringste Knochenfortsatz haben einen ganz bestimmten Charakter, so dass selbst ein gut erhaltenes Bruchstück eines Knochens ausreicht, um all die anderen Merkmale der Art zu bestimmen mit derselben Sicherheit, als wenn man das ganze Tier vor sich hätte."
    Einmal konnte Cuvier einen Schädel, der in den Gipsbrüchen von Montmartre freigelegt worden war, nur anhand der Zähne einem fossilen Beuteltier zuordnen - ein glänzender Beleg für sein "Gesetz der Korrelation der Teile", dem er nicht zuletzt auch seinen Ruf als Mitbegründer der wissenschaftlichen Paläontologie verdankte.
    Gegen den Gedanken einer Entwicklung der Arten, wie er damals ansatzweise schon diskutiert wurde, wehrte sich Cuvier vehement. Er scheute sich auch nicht Andersdenkende, wie zum Beispiel Jean-Baptiste de Lamarck, persönlich zu attackieren, was er sich aus seiner Machtfülle heraus offenbar glaubte leisten zu können.
    Gelehrter von Napoleons Gnaden
    Cuvier war Staatsrat und Ritter der französischen Ehrenlegion. Napoleon Bonaparte betraute ihn unter anderem mit einer Reform des französischen Bildungssystems und einer Reorganisation der akademischen Institutionen in mehreren Vasallenstaaten. Am Ende seines Lebens wurde Cuvier sogar noch zum "Pair" von Frankreich geschlagen - der höchste Status im französischen Adel.
    Doch der Epochenwandel zeichnete sich schon ab. Als Cuvier 1832 starb, war Charles Darwin gerade zu seiner legendären Fahrt mit der "Beagle" aufgebrochen, von der er mit einer Skizze zurückkehren sollte, die bereits den Grundgedanken seiner Evolutionstheorie enthielt.