15 Jahre Dokumentationszentrum

„Zwangsarbeit war komplett vergessen und verdrängt“

09:21 Minuten
Besucher der Dauerausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide.
Besucher der Dauerausstellung im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide. © imago / epd-bild / Rolf Zöllner
Christine Glauning im Gespräch mit Britta Bürger |
Audio herunterladen
Vor 15 Jahren wurde das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gegründet. Bis dahin war es aber ein schwieriger Prozess, erzählt Leiterin Christine Glauning, denn: Deutschland habe das Thema Zwangsarbeit verdrängt.
13 Millionen Menschen wurden in der NS-Zeit von deutschen Firmen zur Arbeit gezwungen. Unternehmen wie Bahlsen, Flick oder BMW haben davon profitiert. Christine Glauning vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit schätzt, dass „es allein in Berlin rund 3.000 Zwangsarbeiterlager“ gegeben habe. Die meisten seien in Barackenlagern gewesen, aber NS-Deutschland habe auch Schulen umfunktioniert, Kinos, Ausflugslokale und Theater.
Entsprechend der Berliner Zahl geht das Dokumentationszentrum davon aus, dass es im gesamten Deutschen Reich 30.000 Lager gegeben hat. „An fast jeder Ecke befand sich ein Lager oder eine andere Sammelunterkunft“, erklärt Glauning. „Sie waren in der Tat unübersehbar im Kriegsalltag der Deutschen.“

Jahrelanger Kampf um Anerkennung

Die Stiftung Topographie des Terrors hat vor 15 Jahren in Berlin-Niederschöneweide das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit gegründet. Und das in einem fast vollständig erhaltenen ehemaligen Zwangsarbeitslager. Am Dienstagabend wurde im Rahmen eines Festakts an die schwierige Gründung erinnert.
Christine Glauning leitet seit dem Beginn die Institution. Besonders wichtig sei für sie, auf die Entstehungsgeschichte zurückzublicken. Zwar habe das Zentrum 2006 die Türen geöffnet, aber dem sei „ein zwölf Jahre langer Kampf“ von vielen Initiativen vorausgegangen, etwa der Berliner Geschichtswerkstatt.
Nur dadurch habe Glauning mithilfe vieler Beteiligter an diesem Ort die erhaltenen Baracken sichern, unter Denkmalschutz stellen und das Dokumentationszentrum gründen können. „Das erscheint uns heute selbstverständlich, war aber in der Tat kein Selbstläufer“, sagt sie. „Es wurde wirklich hart debattiert und gerungen.“

Späte Anerkennung

Sie habe auch eine Erklärung dafür: In den 1990er-Jahren habe auch die Debatte um die Entschädigung der damals noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter stattgefunden.
„Ein lang vergessenes Thema. Die noch Lebenden waren in ihren Heimatländern“, sagt Glauning, „Niemand in Deutschland hat sich an sie erinnert.“ So seien die Betroffenen „für das jahrelange Leid“ nicht entschädigt worden. Die Debatte habe Jahre gedauert, bis eine Regelung gefunden worden sei.
Die „sehr, sehr späte Anerkennung“ der ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter als NS-Opfer sei aber doch „ein ganz wichtiges Signal“ gewesen. So seien die Betroffenen – noch teilweise zu Lebzeiten – „das Stigma der Kollaboration“ losgeworden.
Viele seien nach der Kapitulation Deutschlands in ihre Heimatländer zurückgekehrt und dort geächtet worden, in der Sowjetunion wie auch in westeuropäischen Ländern. „Es war ein wichtiger Schritt, mit dem Beschluss im Jahr 2000, die noch Lebenden zu entschädigen.“
Parallel zur Entschädigungsdebatte sei um den historischen Ort in Schöneweide gestritten worden. „Diese Parallelität dieser Debatten erklärt ganz gut, einmal im Kleinen, einmal im Großen, dass das Thema Zwangsarbeit komplett vergessen und verdrängt war.“
Von Grund auf hätten sie alle Fragen klären müssen, wie: Welche Menschen waren von der Zwangsarbeit betroffen? Wer hat davon profitiert? Wie ist die deutsche Gesellschaft damit umgegangen?
(sbd)
Mehr zum Thema