Mittwoch, 01. Mai 2024

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Sure 2 Vers 187
Sex im Ramadan

Nächste Woche endet für muslimische Gläubige der Fastenmonat Ramadan. Während dieser 29 oder 30 Tage soll nicht nur vom ersten Morgenlicht bis zum Sonnenuntergang auf Speisen und Getränke verzichtet werden. Auch beim Geschlechtsverkehr sind Muslime tagsüber zur Enthaltsamkeit aufgefordert - was den ersten Muslimen "ohne Witz" schwer gefallen sein muss.

Von Prof. Dr. Farid Esack, Universität Johannesburg, Südafrika | 08.06.2018
    "Euch ist zur Fastenzeit erlaubt, des Nachts mit euren Frauen zu schlafen. Sie sind ein Kleid für euch und ihr ein Kleid für sie. Gott weiß, dass ihr [solange der Umgang mit Frauen während der Fastenzeit auch bei Nacht als verboten galt] euch selbst betrogen hattet. Da wandte er sich euch gütig zu, und verzieh euch."
    Das ist einer der wenigen Verse im Koran, die ein unmittelbares religiöses Gesetz beinhalten. Der Koran verlangt für den Monat Ramadan, dass sich Muslime während des Tages jeglichem Essen, Trinken und sexuellen Kontakt enthalten. Der Vers räumt auf mit einer unter den ersten Muslimen verbreiteten Auffassung, wonach man im gesamten Ramadan keinen Sex haben dürfe. Er gibt ihnen grünes Licht für die Zeit nach Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung, wenn das Fasten wieder beginnt.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Es muss - ohne Witz - für die ersten Muslime ziemlich schwer gewesen sein, einen Monat lang auf Geschlechtsverkehr zu verzichten: "Gott weiß, dass ihr euch selbst betrogen hattet", heißt es.
    Der Vers spiegelt also Gottes Gnade wider und spielt zugleich darauf an, dass Sex zum Vergnügen wie zur Entspannung okay ist. Mönchtum und sexuelle Abstinenz stellen im Islam keinen Wert dar. Im Gegenteil: Geschlechtsverkehr gilt als etwas Fantastisches und dient nicht allein der Fortpflanzung.
    Farid Esack im bunten Hemd vor einer Bücherwand.
    Professor Esack lebt und lehrt in Südafrika. (priv.)
    In der Mitte dieses Koranverses steht ein besonders reizvoller Satz. Muslime, die um Geschlechtergerechtigkeit und Gleichheit von Mann und Frau besorgt sind, zitieren ihn häufig - freilich ohne den weiteren Kontext zu berücksichtigen: Gemeint ist der Satz: "Sie sind ein Kleid für euch und ihr ein Kleid für sie."
    Jene Muslime, die diesen Versauszug immer wieder zitieren - und ich bin einer davon -, argumentieren, dass die Basisbeziehung zwischen Mann und Frau komplementär ist; dass wir dazu bestimmt sind, einander zu unterstützen und Quell gegenseitiger Geborgenheit zu sein - anstatt Männer, die Frauen übergeordnet sind. So steht es auch in Sure 30 Vers 21: "Damit ihr bei ihnen Ruhe findet." So weit, so gut - beziehungsweise so "angenehm".
    Eine nähere Betrachtung des arabischen Originaltextes offenbart jedoch eine gravierende hermeneutische Herausforderung. Der Korantext geht überwiegend davon aus, dass seine Zuhörerschaft männlich ist und spricht daher die Männer an. In der Passage: "Sie sind ein Kleid für euch", steht das "sie" im Arabischen in der dritten Person Plural weiblich: "hunna" und das "euch" in der dritten Person Plural männlich: "kum".
    Neuerdings gibt es Zeiten, in denen man argumentieren kann, die männliche Form "kum" umfasse sowohl Mann als auch Frau - ähnlich wie der Begriff "Menschheit". Es kann aber problematisch sein, wenn es um die Geschlechter als geschlechtsspezifische und sexuell ausgerichtete Wesen geht und dabei nur ein Geschlecht angesprochen wird.
    Wäre ich ein Mädchen, würde ich zwar denken, es sei prima, wenn meine Eltern stets regelmäßig meinen Bruder ansprächen und ihn aufforderten, nett zu mir zu sein. Aber ich würde mich viel besser fühlen, wenn sie auch mich ansprächen.
    Selbstverständlich schimmert hier das patriarchalische Gesellschaftsmilieu des Korans durch. Und darin liegt eine weitere Herausforderung: Wie lesen wir im 21. Jahrhundert einen Text, der im 7. Jahrhundert offenbart wurde, wenn wir glauben, dass jedes einzelne Wort nicht nur göttlich inspiriert ist, sondern das unmittelbare und unveränderliche Wort Gottes ist?
    Die Audioversion ist aus Sendezeitgründen leicht gekürzt worden.