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Malaysia: Pressefreiheit im Internet - Nichts als ein Lippenbekenntnis

Mehr als zwanzig Gesetze sorgen in Malaysia dafür, dass in den Zeitungen nur eine Wahrheit gedruckt wird und zwar die der Regierung. Nach 22 Jahren autokratischer Herrschaft von Präsident Mahatir hat sich die Situation der Pressefreiheit auch unter seinem sorgfältig ausgewähltem Nachfolger Badawi nicht verbessert. Berichte über unliebsame Themen, kritische Nachfragen – Fehlanzeige. Aus Angst vor Gefängnis und wirtschaftlichem Druck haben die meisten malaysischen Journalisten die Schere im Kopf. Nicht so Steven Gan.

Von Gerlind Vollmer | 05.07.2004
    Regierungskritisch eingestellte Menschen wie ich bekommen keine Drucklizenzen. Deshalb weichen wir ins Internet aus. Denn die Regierung hat versprochen, im Internet keine Zensur auszuüben. Die Menschen wollen eine andere Sicht der Dinge erfahren. Deshalb klicken sie unsere Seite an. Wir haben es geschafft, Glaubwürdigkeit aufzubauen. Wir haben unseren Lesern klar gemacht, dass bei uns gut ausgebildete Journalisten arbeiten, die ihre Fakten gegenchecken und keine Gerüchte verbreiten.

    Vor fünf Jahren gründete Steven Gan die Internet-Zeitung "Malaysiakini" – zu deutsch: 'Malaysia heute'. Seither stellt seine zehnköpfige Redaktion unabhängige Nachrichten ins Netz. Täglich berichtet die einzige Online-Zeitung des Landes über das, was woanders allenfalls zwischen den Zeilen zu lesen ist. Und: Bei Malaysiakini wird über Tabu-Themen geschrieben, die anderswo totgeschwiegen werden.

    Wir haben im Prinzip dieselben Probleme wie andere multikulturelle Gesellschaften, nur dass die Situation in Malaysia um einiges extremer ist. Denn wenn man von ethnischen Minderheiten spricht, bedeutet das in Fall von Malaysia, dass man über 40% der Gesellschaft redet. Die Regierung versucht, vorhandene Spannungen zu unterdrücken, indem sie jede Diskussion über Rasse oder Religion autoritär unterbindet. Aber das ist der falsche Weg. Um gegenseitiges Verständnis zu erreichen, ist Meinungsaustausch sehr wichtig. Mit Malaysiakini bieten wir ein Forum, um Menschen verschiedenen Glaubens und aus unterschiedlichen Ethnien zusammenzubringen. Wir haben gezeigt, dass Diskussionen möglich sind, ohne dass gleich Unruhen ausbrechen und die Leute auf der Straße Autos anzünden.

    Soviel Unabhängigkeit ist den Autoritäten ein Dorn im Auge. Mit allen Mitteln versuchen die Behörden das Erscheinen der unabhängigen Online-Zeitung zu verhindern. Drei Jahre lang war einer der regelmäßigen Mitarbeiter von Malaysiakini, der Journalist und Dokumentarfilmer Hishamuddin Rais, ohne Prozess und Verurteilung inhaftiert. Der Vorwurf: Rais habe versucht, die Regierung zu stürzen. Vor zwei Monaten wurde er schließlich freigelassen.

    Politische Willkür und wirtschaftlicher Druck – das scheint die Strategie der Regierung zu sein. Ein paar Anrufe von den richtigen Stellen reichten aus, um Malaysiakini die finanzielle Grundlage zu entziehen. Auf einmal wollte keine Firma mehr auf den Web-Seiten inserieren. Dazu kamen Probleme mit dem Vermieter. Erst nach internationalen Protesten wurde die Kündigung der Geschäftsräume zurückgenommen. Und auch in der täglichen Arbeit behindern die Behörden Malaysiakini. Die Online-Journalisten bekommen keine Presse-Akkreditierung und dürfen – wenn sie überhaupt zu Pressekonferenzen zugelassen werden – keine Fragen stellen.

    Wir stehen enorm unter Druck. Letztes Jahr hatten wir zum Beispiel eine Polizeirazzia. Sie haben uns vorgeworfen einen regierungskritischen Leserbrief veröffentlicht zu haben und haben 19 unserer Computer beschlagnahmt.

    Inzwischen wird die Online-Zeitung subtiler unter Druck gesetzt. Katrin Evers von der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen über die Vorgänge in dem südostasiatischen Land:

    Dann war im letzten Jahr auch noch verstärkt zu beobachten, dass Hacker sich einloggen auf oppositionellen Seiten, auch auf die Malaysiakini-Seiten, und diese Seiten dann zwischendurch nicht zugänglich sind oder man kurzfristig auf zum Teil pornographische Seiten für einige Sekunden gelangt."

    Trotz aller Schikanen, Malaysiakini existiert. Etwa 100.000 Menschen klicken die Seiten täglich an. Viele von ihnen sind inzwischen Abonnenten. Dadurch ist die unmittelbare Zukunft der Zeitung gesichert. Doch was wird im nächsten Jahr sein? Gerade in Asien wird Pressefreiheit im Internet wenig respektiert.

    In Malaysia ist die Situation im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern noch relativ moderat. In China sind z.B. 30.000 Internet-Polizisten im Einsatz. China ist daher auch das weltweit größte Gefängnis für sogenannte Cyber-Dissidenten, 63 Menschen sind dort derzeit in Haft. Zudem gibt es auch noch auf den Malediven, in Syrien und in Vietnam inhaftierte Cyber-Dissidenten zu beklagen, so dass weltweit derzeit 75 Menschen nach unseren Rechnungen im Gefängnis sitzen, weil sie im Internet ihre Meinung geäußert haben.

    Nach der Freilassung von Rais gibt es momentan in Malaysia keine Cyber-Dissidenten mehr. Das Land gibt sich modern und weltoffen. Die Regierung möchte das Gebiet um die Hauptstadt Kuala Lumpur zum zweiten Silicon Valley machen. Dafür ließ der ehemalige Präsident Mahatir eine Zone von 15 Kilometern mit modernen Glasfaserkabeln vernetzen. Mittlerweile haben in dem Land gut 30 Prozent der Bevölkerung Internet-Zugang. Für den ökonomischen Aufschwung versprach der Präsident freien und unkontrollierten Zugang zu dem neuen Medium. Doch das ist nichts als ein Lippenbekenntnis.