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Pressefreiheit in Afghanistan

Allein für das Jahr 2003 hat die Menschenrechtsorganisation Reporter Ohne Grenzen Berichte von 14 physische Attacken auf Pressevertreter gesammelt: Journalisten wurden Opfer von Angriffen, weil zu kritisch geschrieben hatten, oder aber um sie schon im Vorfeld zu warnen und einzuschüchtern. Im Jahr 2004 dagegen ruhten die Augen der Weltöffentlichkeit auf dem Land. Hunderte von internationalen Korrespondenten berichteten über die Wahlen und die Zeit danach. Vielleicht deshalb hat sich die Lage in diesem Jahr scheinbar verbessert. Aber die Dunkelziffer ist hoch: Präventive Selbstzensur kennt jeder Journalist, der in Afghanistan kontinuierlich arbeiten will: Katrin Evers, Sprecherin der deutschen Sektion von Reporter Ohne Grenzen, sagt, dass nicht einmal geltendes Recht in Afghanistan in der Lage ist, eine freie Berichterstattung zu gewährleisten.

Von Andreas Baum | 01.11.2004
    Es gibt zwar laut Gesetz Pressefreiheit, aber das Blasphemie-Gesetz schränkt die journalistische Freiheit ganz stark ein, das heißt, jegliche Gotteslästerung wird unter Strafe gestellt. Auch Pressevergehen, wie Diffamierung, Verleumdung werden unter Strafe gestellt, das führt natürlich dazu, dass Journalisten sich vorab schon selbst zensieren. Dann sind uns auch Fälle gemeldet, dass Journalisten bedroht werden. Das heißt, dass Mitarbeiter oder Soldaten von den lokalen Kriegsherren in den Redaktionen auf Journalisten zugehen und sagen: Junge, wenn Du da und darüber noch mal berichtest oder die und die Themen anschneidest, dann bist du nicht mehr sicher, dann ist Deine Familie nicht mehr sicher.

    Die Macht der Provinzgouverneure ist das größte Hindernis auf dem Weg zu einer echten Demokratisierung: Im Krieg gegen die Taliban waren die Warlords die Verbündeten der US-Amerikaner, heute sitzen sie in ihren Regionen fest im Sattel - und regieren wie im Absolutismus. Payenda Mohammad Rayab, Herausgeber der politischen Wochenzeitung Basirat aus Kundus räumt auf einer Pressereise durch Deutschland ein, dass der Einfluss der Provinzfürsten auf die Berichterstattung immer spürbar ist.

    Ja, das stimmt. Wenn wir nur Kritik üben, reagieren die Gouverneure eher milde. Wenn wir sie aber konkret beschuldigen, dann reagieren sie hart.

    Viele afghanische Journalisten sprechen öffentlich nur ungern oder nur sehr indirekt über die Art und Weise, wie sie behindert werden. Einerseits ist diese Verhaltensweise selbst ein Teil der Selbstzensur. Andererseits sehen viele die Situation, wie sie ist, im historischen Kontext und beurteilen sie deshalb positiv. Man kennt in Afghanistan schlimmere Zeiten.

    Nach 25 Jahren Krieg in Afghanistan müssen wir die sozialen Fragen, auch die der Öffentlichkeit, als relativ betrachten. Der Begriff der Demokratie ist bei uns noch nicht definiert, es gibt Unterschiede zwischen der afghanischen Gesellschaft und den europäischen. Wichtig ist: Die Lage hat sich spürbar verbessert. Im Vergleich mit anderen Gesellschaften ist sie zwar nicht gut, verglichen mit dem, was wir von früher kennen, aber schon.
    Internationalen Standards aber kann der Grad der Pressefreiheit in Afghanistan nicht genügen. Katrin Evers von Reporter ohne Grenzen beklagt, dass insbesondere die finanz-intensiven audio-visuellen Medien, die von Geldgebern abhängig sind, als Instrument politischer Einflussnahme missbraucht werden. Gleichzeitig ist das Radio das wichtigste Medium in Afghanistan, einem Land, dessen Analphabetenrate zwischen 70 und 80 Prozent liegen dürfte.

    Größtes Problem aus unserer Sicht ist zum einen, dass sowohl Fernsehen als auch Radio immer noch nicht unabhängig arbeiten können, da sie von lokalen Kriegsherren immer noch kontrolliert werden, vor allem in den Provinzen. Und in Kabul, muss man sagen, hat Regierungschef Karsai sowohl Fernsehen als auch Radio unter Kontrolle.

    Von einem freien Prozess politischer Meinungsbildung, kann keine Rede sein: Ein Problem war dies insbesondere vor den Präsidentschaftswahlen, als Beobachter immer wieder beklagten, dass die Medien in und um die Hauptstadt Kabul offen für Präsident Karsai Partei ergriffen, während beispielsweise im Norden des Landes dessen Kontrahent General Dostum die Medien gut im Griff hatte. Aber auch nach den Wahlen gibt es Tabuthemen, an die sich Journalisten besser nicht wagen: Die Rolle der Frau in der Gesellschaft gehört dazu, aber auch religiöse Fragen. Im Jahr 2003 veröffentlichte die Wochenzeitung Aftab einen Kommentar, der sich kritisch mit der Rolle des Islam auseinander setzte: Wie kann der Islam, so fragte sich der Autor, die modernste und vollkommenste Religion sein, wenn gleichzeitig viele muslimische Länder in der Weltwirtschaft hinterherhinken? Auf diesen Text hin wurden der Autor und der Herausgeber verhaftet und vom obersten Gericht des Landes zum Tode verurteilt. Während sie kurzfristig freigelassen wurden, konnten sie ins Ausland fliehen. Verlässliche rechtsstaatliche Standards sind für Reporter Ohne Grenzen der beste Schutz für die Pressefreiheit.

    Aus unserer Sicht ist es sehr wichtig, dass die Straftaten, die an Journalisten begangen wurden, aufgeklärt werden, dass die Verantwortlichen gefunden werden und zur Rechenschaft gezogen werden, denn jedes Verbrechen, jeder Mord der ungestraft bleibt, macht es einfacher, neue Straftaten zu begehen. Zudem ist es aus unserer Sicht sehr wichtig, dass ein unabhängiger Journalistenverband in Afghanistan arbeiten kann, es gibt zwar mehrere Verbände, die aber von den religiösen und politischen Gruppen sehr stark geprägt sind.