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Genom digital

Wer die Natur verstehen will, braucht Informationen: Wissen über das Aussehen und die Funktionsweise eines Organismus. Beobachten und Experimentieren reicht schon lange nicht mehr. Forscher von heute finden Informationen in einer einzelnen Zelle. Sie erforschen, entziffern das Erbgut, die Reihenfolge der einzelnen Erbgut-Bausteine.

Von Michael Lange und Martin Winkelheide | 08.03.2009
    Da entdeckte ich eine Kröte, die ganz außerordentlich gefärbt war. Sie sah aus, als sei sie in das Tintenfass gefallen. Ganz schwarz. Aber ihr Bauch und ihre Fußsohlen leuchteten scharlachrot.

    Mit offenen Augen durchstreiften die Naturforscher die Welt. Es gab viel zu entdecken – damals im 19. Jahrhundert. Und heute? Es soll Biologen geben, die ein Reh nicht von einem Hirsch unterscheiden können.

    Ich trug das hässliche Tier zu einem Wassertümpel – in der Annahme - ihm einen großen Gefallen zu tun. Aber die Kröte konnte nicht schwimmen. Ohne meine Hilfe wäre sie ertrunken.

    Wer die Natur verstehen will, braucht Informationen. Wissen über das Aussehen und die Funktionsweise eines Organismus. Forscher von heute finden diese Information in einer einzelnen Zelle. Sie erforschen, entziffern das Erbgut: die Sequenz. Das ist die Reihenfolge der einzelnen Erbgut-Bausteine. Beim Menschen bilden drei Milliarden Basenpaare die Gesamtheit der Erbinformation: das Genom.

    "We are trying to extract all kinds of information."

    Das Zentrum der modernen Biologie ist die US-amerikanische Universitätsstadt Cambridge bei Boston. Hier hat Eric Lander das Broad Institute gegründet. Heute eine der größten Einrichtungen für Genomforschung weltweit. Lander:

    "Wir versuchen alle möglichen Informationen zu bekommen. Wir vergleichen die Erbmoleküle von Menschen und Affen, von Hunden, Elefanten und von Kaninchen."

    Eric Lander ist jemand, der die Richtung vorgibt. Er setzt die Trends für die moderne Biologie. Er hat Einfluss. Der US-amerikanische Präsident Barack Obama berief ihn in sein persönliches Beraterteam.

    "Es gibt biochemische Unterschiede zwischen einem Menschen und einem Schimpansen. Oder einem Menschen und einem Hund. Darum geht es in der Genetik. Wir lieben es, solche Unterschiede erst zu finden und dann zu erklären."

    Ich will noch von zwei bemerkenswerten Echsen berichten, die ich auf der Insel entdeckte. Die eine lebt im Wasser – oder nicht weit entfernt. Sie hat einen flachen Schwanz und kleine Schwimmhäute zwischen den Zehen. Im Wasser bewegt sie sich flink und anmutig. An Land döst sie träge in der Sonne. Die andere Echse lebt im Innern der Insel. Schwimmhäute fehlen ihr völlig, und ihr Schwanz ist rund. Sie kriecht langsam dahin, wobei Schwanz und Bauch über den Boden schleifen.


    Fruchtfliege, Fadenwurm, Maus und Ratte. Schimpanse, Gorilla, Mensch, Huhn und Opossum. Alles, was lebt, wird fleißig sequenziert. Und selbst Aussterben schützt nicht vor der Entzifferung des Erbgutes. Mammut und Beutelwolf sind in Arbeit, der Neandertaler sowieso.

    In Hinxton, einem kleinem englischen Dorf in der Nähe von Cambridge. Auf dem Genom Campus im Sanger Institute. Zwei Menschen sorgen dafür, dass die Apparate Tag und Nacht durcharbeiten. Die Geräte sind etwa so groß wie Kühlschränke. Immer zwei stehen übereinander. Insgesamt gibt es 75 dieser Sequenzierautomaten. Ian Guthrie ist der Ingenieur vom Dienst. Er öffnet einen der Automaten.

    "The DNA is prepared and passed to us in a plate which contains 394 samples."

    Die DNA-Proben werden zunächst aufbereitet und gelangen durch dünne Röhrchen auf kleine Kunststoffplatten. Eine Platte für 394 Proben. Und dann wird das Erbmolekül Buchstabe für Buchstabe ausgelesen - vollautomatisch.

    "Fairly simple in principle, but expensive to work correctly and sure."

    Im Prinzip einfach – aber teuer, weil alles absolut korrekt und zuverlässig laufen muss, meint der Ingenieur Ian Guthrie.

    Die große Zeit der Genom-Forschung begann Mitte der 90er Jahre. Nachdem einige Bakterien vollständig sequenziert waren, entschied die Human-Genom-Organisation Hugo, das Genom des Menschen vollständig zu entziffern. 15 Jahre waren für das Mammut-Projekt angesetzt worden. Es sollte aber viel schneller gehen. Denn die Technik wurde laufend verbessert. Viele entscheidende Verbesserungen stammten von kleinen Betrieben. Die Firma "Illumina" zählt inzwischen zu den Marktführern. David Bentley ist ihr Chefentwickler.

    "Die Vervollständigung des menschlichen Genoms bis 2003 gelang mit einer zuverlässigen, gut erprobten Technologie. Sehr präzise – aber auch sehr teuer. Um Nutzen aus den Genom-Daten zu ziehen, wollen wir jetzt möglichst viele persönliche Genome sequenzieren, um sie dann mit dem Referenzgenom zu vergleichen. Mit der herkömmlichen Technik war das finanziell nicht machbar. Man brauchte neue Methoden – einen vollkommen neuen Ansatz."

    David Bentley stellt sich die Sequenzierung der Zukunft so vor, dass das Erbmolekül direkt abgelesen wird, ohne die DNA zuvor - wie bisher – in Flüssigkeiten zu lösen und zu vermehren. Bentley:

    "Bei dem neuen Konzept der DNA-Sequenzierung bewegen wir uns im mikroskopischen Bereich. Viele biochemische Reaktionen laufen gleichzeitig ab. In einem Durchlauf lesen wir 32 Millionen Erbgutschnipsel. So sammeln wir die Information von einer Milliarde Erbbausteinen. Ein Drittel des menschlichen Genoms in drei Tagen mit einer Maschine. Und alles spielt sich auf einem kleinen Objektträger ab."


    Ein einzelnes Genom zu sequenzieren, kostet heute zwar nicht mehr Milliarden Euro wie beim Humangenom-Projekt, aber immer noch etwa 100.000 Dollar. Als fernes Ziel haben die Nationalen Gesundheitsinstitute der USA, NIH, ausgegeben, dass eines Tages die Sequenzierung eines Genoms nur noch 1000 Dollar kosten soll. Bentley:

    "Der nächste Schritt hieße: Ein Genom für etwa 10.000 Dollar zu sequenzieren. Dann könnte man große Forschungsprogramme starten, in denen auch viele Genome von Einzelpersonen sequenziert würden. Der Weg ist also noch weit bis zum 1000-Dollar-Genom. Aber das Tempo, mit dem in diesem Forschungsfeld Neues erfunden wird, ist enorm. Da ist eine Explosion zu erwarten – aus heutiger Sicht."

    Im Januar 2009 hat die Firma "Complete Genomics" aus Kalifornien angekündigt, bis zum Sommer mit einer neuen Methode den Preis für ein Genom auf 5000 Dollar drücken zu wollen. Das Rennen um das "Genom für Jedermann" hat begonnen.

    Ich wartete, bis aus der befruchteten Molch-Eizelle acht Zellen geworden waren. Unter dem Mikroskop konnte ich sie deutlich erkennen. Dann war der große Moment gekommen. Ich zupfte aus der Schläfe ein Haar und schnürte den Embryo mit dem Haar mittig ab. Zwei Embryonen lagen also unter meinem Mikroskop. Ich staunte nicht wenig, als tatsächlich zwei voll funktionsfähige Organismen heranreiften.

    Als das Humangenom Projekt begann, ließ sich die Information eines menschlichen Genoms nur auf Großrechnern unterbringen. Heute könnte jeder seine persönliche Erbinformation auf der Festplatte seines Notebooks abspeichern. Die Interpretation der Daten ist aber nach wie vor schwierig. Eine Aufgabe für Human-Genetiker wie Marcus Pembrey vom University College in London.

    "So ein persönliches Genom, das ist eine riesige Datenmenge. Die muss interpretiert und dem einzelnen verständlich gemacht werden. Was viele nicht wissen: im Genom steht nicht, ob jemand zwingend krank wird, sondern es geht um genetische Varianten. Die erhöhen statistisch gesehen das Risiko, eine bestimmte Krankheit wie Alzheimer zu bekommen. Das heißt, das Risiko steigt leicht. Selbst eine Verdoppelung des Risikos sagt wenig aus. Damit ist nichts vorherbestimmt."

    Dem einzelnen bringen diese Informationen also zunächst wenig. Pembrey:

    "Vergessen Sie nicht: genetische Daten an sich sind noch keine sinnvolle Information. Es ist ja nicht so, dass der Arzt das Erbgut sequenzieren lässt und Ihnen dann die richtigen Pillen verschreibt. Die Sequenz verrät nur: Sie haben ein erhöhtes Risiko zum Beispiel für Diabetes. Da müssen Sie trotzdem noch einen Blutzucker-Test machen. Das ist ein Laborwert. Der sagt mir dann, ob Sie wirklich zuckerkrank sind. Beides kann nützlich sein: für die Vorbeugung von Krankheiten und für die Behandlung."

    Den Wissenschaftlern geht es nicht um das Erbgut einzelner Menschen. Sie wollen möglichst viele Genome kennen, um vergleichen zu können: Was unterscheidet einen Asthmatiker von einem Nicht-Asthmatiker, einen Diabetiker von einem Gesunden? Andere Vergleiche lassen sich jetzt schon durchführen: Was unterscheidet eine Krebszelle von einer gesunden Zelle des gleichen Menschen? Denn Krebs ist nicht gleich Krebs. In einem weltweiten Krebs-Genom-Projekt werden diese Informationen gesammelt. Eric Lander, der Direktor des Broad-Institutes in Cambridge Massachusetts.

    "Wir behandeln Patienten mit Lungenkrebs, als hätten alle dieselbe Krankheit. Aber in Wirklichkeit geht es um Krankheiten, mit unterschiedlichen genetischen Ursachen. Genauso ist es bei Hirntumoren, den Glioblastomen. Wir tun so, als ob sie grundsätzlich gleich wären. Dabei wissen wir, dass sie durch unterschiedliche Mutationen verursacht werden."

    Art und Ort der Mutationen entscheiden darüber, wie aggressiv ein Tumor ist. Und der Arzt erhält Hinweise darauf, welche Therapie besonderen Erfolg verspricht. Das Krebsgenom-Projekt steht noch ganz am Anfang. Eric Lander geht davon aus, dass dieses Projekt die Krebsmedizin verändern wird.

    "Wäre einer meiner Angehörigen an Krebs erkrankt, dann würde ich jede Information nutzen, an die ich herankäme. Auch, wenn sie nur begrenzt aussagekräftig wäre. Besser als nichts. Und so glaube ich, dass es in den reichen Ländern bald schon Routine sein wird, dass ein Krebspatient seinen Tumor sequenzieren lässt."

    Dank der radioaktiven Strahlung kam es zu einer ungewöhnlichen Formenvielfalt bei Drosophila melanogaster. Einige Fliegen zeigten veränderte Augen- oder Körperfarben, die Borsten änderten ihre Textur. Zahlreiche Fliegen waren missgebildet. Zuweilen gerieten Körperteile an ungewohnte Stellen: Beine anstelle der Antennen oder Flügel anstelle der Schwingkölbchen. Die Drosophila-Fliegen sahen anders aus, sie kreuzten sich aber nach wie vor.

    Diabetes, Alzheimer, Rheuma, Depressionen, Herzerkrankungen, Allergien. Das sind komplexe Erkrankungen. Gene spielen eine Rolle, aber auch der persönliche Lebenswandel. Wie diese Faktoren zusammenspielen, ist noch weitgehend unbekannt. Zunächst geht es darum, die beteiligten Gene zu finden. Die Gensuche läuft auf Hochtouren. Eric Lander:

    "Es hat eine phantastische Explosion in der Human-Genetik gegeben, als es möglich wurde, wenigstens die häufigen genetischen Varianten zu finden. Sie kommen zum Teil in 10, 20 oder 30 Prozent der Bevölkerung vor, und sie erhöhen das Risiko für bestimmte Krankheiten. Vor einem oder zwei Jahren war es noch unmöglich, sie aufzuspüren."

    Eric Landers Forschungsinstitut, das Broad-Institute in Cambridge, war ursprünglich auf die Genom-Sequenzierung spezialisiert. Heute ist die so genannte Genotypisierung mindestens genauso wichtig. Die Forscher wollen Genvarianten finden, die bei der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen. Es geht um den Vergleich bestimmter Stellen im Erbgut. Welche Variante tritt bei Patienten häufiger auf als bei Gesunden?

    "My name is Stacey Gabriel and I direct the genetic analysis platform at the Broad Institute."

    Stacey Gabriel leitet das Labor für Genotypisierung am Broad-Institute. Sie führt durch einen Raum mit vielen kleineren Geräten – kaum größer als herkömmliche Laser-Drucker.

    "Genau das, was ich immer machen wollte. Ein großartiger Ort. Das ganze Stockwerk hier. Alles Genanalyse. In meiner Gruppe: 50 Mitarbeiter. Davon 15 Computer-Spezialisten. Drei Firmen bieten die Geräte an für die Gen-Analyse. Wir haben Geräte von allen dreien. Was Sie hier sehen, kostet sieben bis acht Millionen Dollar. Unser Durchsatz: Fast 2000 DNA-Proben die Woche. Jeden Morgen: 27 Mal nachladen. Das dauert drei Stunden in dieser Maschine: Waschen und Färben. Und dann analysieren. Hunderte Proben jeden Tag. Tausende jede Woche. Sieben Tage die Woche. Tag und Nacht. Auch am Wochenende. Damit die Maschinen ausgelastet sind. So klingt es, wenn Sie ein paar Dutzend Millionen Genvarianten ermitteln. Die Geräte haben wir nach Figuren der Trickfilm-Serie "Sponge Bob" benannt. Sandy. Quitwork. Patrick. Alles Sponge-Bob-Figuren. Tschuldigung. Ich muss jetzt wirklich los. Mein Mann wartet."

    Zahlreiche Risikogene wurden seit 2007 auf diese Weise entdeckt, zum Beispiel für Diabetes, Bluthochdruck, Übergewicht und Herzkrankheiten. Weitere werden folgen. Eric Lander:

    "Es ist noch gar nicht lange her, da kostete es eine Million Dollar, um bei einer Person eine Million Stellen im Erbgut zu untersuchen. Jetzt sind es nur noch ein paar hundert Dollar pro Person."

    Laufen Sie lieber Marathon? Oder sind Sie ein Sprinter? Sind Sie ein Langschläfer? Oder ist Ihr Motto: Morgenstund hat Gold im Mund? Ihre Antworten verraten viel über Ihre Gene.

    heißt es auf der Internetseite der Firma "Twenty Three and me". Sie gehört zur Google-Gruppe.

    Twenty three and me hilft Ihnen, die Gene zu erforschen, die Ihrer Persönlichkeit zu Grunde liegen. Entdecken Sie die genetische Grundlage ihrer optimalen Ernährung. Vergleichen Sie sich mit Ihren Freunden und Familienmitgliedern und finden Sie genetische Gemeinsamkeiten. Ein Test für eine Person kostet nur 399,- Dollar.

    Tausende Menschen haben bereits bei "Twenty Three and me” ihr persönliches Genprofil bestellt. Sie wollen mehr über sich selbst erfahren und ihre Zukunft: Gibt das Profil Entwarnung oder weist es auf ein Krankheitsrisiko hin? Genetiker raten von solchen Genprofilen ab. Denn die Daten sind für Laien oft unverständlich, und eine Beratung vor oder nach dem Test gehört nicht zum Angebot der Firma. Kein Gentest ohne Beratung, fordern deutsche Humangenetiker. So auch Klaus Zerres vom Universitätsklinikum der RWTH Aachen:

    "Dieser Anwendungsbereich von Tests ist natürlich sehr problematisch, weil: Man nimmt aus einem komplexen Gefüge, das man noch nicht verstanden hat, einen einzelnen Gentest heraus, sagt: Sie haben ein leicht erhöhtes Erkrankungsrisiko, und überlässt diese Information dem Patienten, ohne dass er im Grunde damit auch wirklich was anfangen kann."

    Die Gen-Profile à la "Twenty Three and me” bleiben unkonkret. Sie sprechen von erhöhten Risiken oder "allgemeiner Veranlagung” - zum Beispiel für einen Herzinfarkt. Zerres:

    "Die Frage ist nur: Wenn ich ein dreifach erhöhtes Risiko habe, was mache ich damit? Und da sind wir in einem ganz anderen Bereich, denn gesundheitsbewusstes Verhalten ist ja nicht die automatische Folge. So ein Genprofil mit der Aussage erhöhter Risiken, das wissen wir ja längst, die Leute sind zu dick, sie rauchen, und sie haben wahrscheinlich ein vielfach höheres Risiko und wissen das natürlich, und trotzdem geht es weiter. Das heißt: das Erkennen von Risiken und das Umsetzen in gesundheitsbewusstes Verhalten sind absolut zweierlei Dinge. Deshalb würde ich meinen: Sie sollen weniger rauchen, dünner werden, und dann können Sie sich den Gentest auch sparen, denn der liefert nur ein kleines Mosaiksteinchen."

    Eric Lander:

    "Es geht doch nicht hauptsächlich darum, einzelnen Menschen zu sagen, welche persönlichen genetischen Risiken sie tragen. Wir wollen die biologischen Mechanismen verstehen, die hinter einer Krankheit stecken. Wir können mit diesen neuen Genotypisierungstechnologien viel erfahren, aber natürlich nicht alles. Wir schätzen, dass wir die Hälfte bis 70 Prozent der wichtigen Informationen aus dem Genom gewinnen können. Die Ergebnisse sind zwangsläufig unvollständig. Aber lasst uns anfangen, sag ich immer. Und wir haben angefangen. Die Technik wird besser werden und in fünf oder zehn Jahren können wir ohnehin die gesamte Information aus dem Genom ablesen – mit Hilfe der Sequenzierung."

    Mit diesen neuen Enzymen ist alles ganz einfach. Ein paar Tropfen auf die DNA und schon kann ich ein einzelnes Gen einfach so herausschneiden – und woanders einsetzen. Vielleicht kann ich meine Bakterien dazu bringen, grün zu leuchten?

    Das Erbmolekül DNA ist zunächst einmal ein Informationsspeicher. Es enthält beispielsweise die Baupläne für Eiweiße. Sie werden bei Bedarf abgelesen. Es entstehen RNA-Abschriften, und diese werden in Eiweiße übersetzt. Eine konkrete Region mit einem Proteinbauplan wird in der Biologie als "Gen" bezeichnet. Ein Gen – ein Protein, hieß lange Zeit der Lehrsatz. Große Teile der DNA galten als funktionslos – als "Junk"-DNA. Wertloser Müll. In den letzten Jahren fanden Wissenschaftler aber immer mehr Hinweise, dass von "Müll" keine Rede sein kann. Auch zwischen den klassischen Genen ist Information gespeichert. Die DNA kann aktiv sein, ohne dass ein Eiweiß entsteht. Ewan Birney vom Europäischen Bioinformatik Institut im britischen Cambridge koordiniert ein internationales Projekt mit Namen "Encode".

    "Das war wirklich eine Überraschung. Denn wir sahen, dass sehr viel mehr DNA abgeschrieben wird, als wir erwartet hatten. Das passte nicht zum alten Konzept vom ,Gen‘. Danach ist die RNA nichts anderes als ein Zwischenprodukt, der Bote, der die Information der DNA in die Proteinfabrik trägt, damit dort ein Protein entsteht."

    Im Encode-Projekt untersuchen die Wissenschaftler: Welche Regionen sind aktiv? Wo entsteht welche RNA? Birney:

    "Das Encode-Projekt bewies: Es werden tatsächlich die klassischen Boten-RNAs gemacht. Aber es gibt auch viele andere RNA-Moleküle. Diese stammen aus den Regionen zwischen den Genen. Oder sogar aus dem Inneren eines klassischen Gens. Unsere Sicht auf das Genom hat sich völlig verändert. Es werden Unmengen RNAs hergestellt. Und nur wenige werden für die Proteinbildung gebraucht. Wir verstehen noch nicht, was sie machen, oder ob sie überhaupt irgendwie wichtig sind."

    Ein Teil der neu entdeckten RNAs wird in winzige Schnipsel zerlegt, so genannte Mikro-RNAs. Von ihnen ist bekannt, dass sie eine wichtige Rolle spielen bei der Genregulation. Ein neuer Forschungszweig beschäftigt sich ausschließlich mit diesen kleinen RNA-Molekülen. Im Grunde ist jede abgeschriebene DNA eine Einheit der Vererbung – also ein Gen. DNA, RNA und Proteine wirken auf komplexe Weise zusammen. Verstehen lässt sich das Wechselspiel auf verschiedenen Ebenen nur noch mit Hilfe des Computers. Birney:

    "Computer spielen eine immer wichtigere Rolle in der Biologie. Man kann sogar behaupten, die Biologie ist eine Informationswissenschaft. Es geht darum, wie Information vermittelt und verändert wird - in unserem Organismus. Die Biologie ist heute weniger eine experimentelle Wissenschaft – also ,wet science‘ - als eine theoretische Wissenschaft – also ,dry science‘."

    Diese Sequenz soll was mit Asthma zu tun haben? Das ist doch überhaupt kein Gen. Aber die Datenbank sagt: viele Tierarten haben den gleichen Sequenzabschnitt. Muss wichtig sein. Maus und Ratte haben ihn auch. Sogar der Fadenwurm. Rätsel über Rätsel.

    Jon Beckwith von der Harvard Medical School in Boston ist einer der Pioniere der Molekularbiologie. Bekannt wurde er Ende der 60er Jahre. Damals gelang es ihm, ein einziges Gen zu isolieren. Das waren die Anfänge der Gentechnik. Jon Beckwith begann, über die Folgen seiner Arbeit nachzudenken. Heute gilt er als moralische Instanz der Biologie.

    "Als ich mit der Biologie angefangen habe, da kannte jeder jeden. Heute ist das anders. Aber wir können nicht mehr zurück. Die Molekularbiologie war zu erfolgreich. Ohne Roboter und Computer läuft heute nichts mehr. Es ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden. Und die Forschung ist extrem teuer geworden."

    In immer kürzeren Abständen folgen Großprojekte aufeinander. Sie nennen sich "Humangenom-Projekt", "HapMap", "Transkriptom"-, "Epigenom"-, "Krebsgenomprojekt" und so weiter. Es geht immer um das gleiche: Daten sammeln, speichern und vergleichen. Beckwith:

    "Ich gebe zu, dass die Mega-Projekte eine enorme Menge an Information geliefert haben, die wir nun nutzen können. Aber, was wir oft erleben, ist, dass die Leute, die diese Projekte mit großen Versprechungen begonnen haben, sich nicht darum kümmern, die Information auszuwerten. Sie gehen einfach weiter zum nächsten Mega-Projekt. Ich habe es selbst einmal erlebt bei einer Konferenz. Jemand fragte: ,Ein interessantes Gen. Wofür ist es gut?‘ Und der Redner antwortete: ,Das ist nicht mein Job. Da muss sich jemand anderes drum kümmern.‘ Das Problem: Es gibt kaum noch Leute, die sich darum kümmern."

    Damit wendet sich Jon Beckwith gegen die Macher und Strippenzieher der Biologie von heute. Auch gegen Eric Lander, den Direktor des Broad Institutes.

    "Die Frage ist doch: Wie viel Geld sollten wir dafür ausgeben, grundlegende Informationen zu gewinnen? Meiner Meinung nach sollten das für jede Wissenschaftsdisziplin zwei Prozent, oder drei oder fünf Prozent sein, um eine grundlegende Wissens-Infrastruktur zu schaffen. Das sind die Daten, die Informationen, die alle anderen Forscher brauchen, um die Biologie voranzutreiben. Ich denke, das ist klug angelegtes Geld. Vorausgesetzt, die Information ist wirklich kostenlos und öffentlich zugänglich. Das ist die Nagelprobe: Kann die Information von allen Wissenschaftlern kostenlos genutzt werden? Wenn ja – kann ich nur sagen: Eine großartige Investition."

    Jon Beckwith befürchtet, dass die eigentlich wichtigen Fragen der Biologie aus dem Blickfeld geraten könnten. Die Mega-Projekte, wie er sie nennt, führen zu einer Datenflut. Beckwith:

    "Das ist Information um der Information willen. Da kommen Leute aus anderen Wissenschaften – wie Physik oder Mathematik. Sie erschließen diese Mega-Information, aber sind keine ausgebildeten Biologen und interessieren sich auch nicht für biologische Fragen."

    Jon Beckwith von der Harvard Universität in Boston ist ein Vertreter einer früheren Biologen-Generation. Eric Lander, der Chef des Broad-Institutes, dagegen steht für die neue Biologie.

    "Wenn Erwachsene Videospiele machen, sieht man, dass sie damit nicht aufgewachsen sind. Bei Kindern und Jugendlichen sind Videospiele Teil ihres normalen Lebens, genau wie Handys und SMS. Das gleiche gilt für die Wissenschaft. Wer in einer Welt der unbegrenzten Genom-Informationen aufgewachsen ist. Wer von Anfang an beide Seiten kennt: Das Labor-Experiment und die Computer-Biologie, der ist verdammt nochmal ein Biologe und der trennt das nicht. Es sind für ihn die zwei Seiten derselben Medaille. Da entsteht etwas Neues. Das ist vielleicht nicht mehr verständlich für einen Biologen des späten 20. Jahrhunderts. Aber das nennen wir Fortschritt."

    Das wird eine lange Nacht für den Administrator. Das ganze System ist in die Knie gegangen. Internet – Fehlanzeige. Abwarten. Latte trinken.