Liv Ullmann über Ingmar Bergman

"Er wäre im digitalen Zeitalter sehr unglücklich gewesen"

Liv Ullmann (m) mit dem Regisseur Ingmar Bergman (r) und dem Schauspieler David Carradine (l)
Die Schauspielerin Liv Ullmann (m) mit dem Regisseur Ingmar Bergman (r) und dem Schauspieler David Carradine (l) im November 1976 in München. © picture alliance/dpa/Foto: Istvan Bajzat
Von Patrick Wellinski · 16.07.2018
"Ich hatte permanent Angst, dass Ingmar merkt, dass ich nichts kann", sagt Liv Ullmann noch heute. Dennoch: Regisseur Ingmar Bergman, der in diesem Jahr 100 geworden wäre, schrieb Kinogeschichte mit ihrem Gesicht. Wir haben die Schauspielerin in Berlin getroffen.
Die schönste Frau der europäischen Kinos trägt ein türkises Sommerkleid. Liv Ullmann schwebt in das Hotelzimmer, in dem wir uns treffen. Und wie in ihrem Windschatten erscheinen auch die stumme Elizabeth Vogler aus "Persona", Marianne aus "Szenen einer Ehe", Maria aus "Schreie und Flüstern"; also alle ikonisch gewordenen Leinwandfiguren, die sie nicht nur aber vor allem mit Ingmar Bergman erschaffen hat. Es ist ein erhabener Moment, wenn sich die Kinogeschichte vor einem materialisiert. Liv Ullmann also. Immer wieder wird sie genannt als Bergmans wichtigste Muse. War es so? Oder doch eher andersrum?
"Muse? Ich wusste lange nicht, was die Menschen meinen. War ich seine oder war er meine? Natürlich hat unsere Zusammenarbeit etwas Besonderes hervorgebracht. Er hat Filmfiguren extra für mich geschrieben. All das wäre nicht entstanden, wenn wir uns nicht getroffen hätten."
Bergman hat Liv Ullmann, die in Tokio geborene Norwegerin, auf der Straße gesehen. Die junge Schauspielerin wusste nicht, wie ihr geschieht. Und plötzlich stand sie mit ihrer Freundin Bibi Anderson auf dem Set eines Films mit dem Titel "Persona".
"Ich hatte permanent Angst, dass Ingmar merkt, dass ich nichts kann. Nach den ersten Aufnahmen nickte er aber zustimmend. Bibi und ich liefen dann später Hand in Hand nach Hause und freuten uns tierisch. Nicht, dass wir den Film an dem wir arbeiteten verstanden hätten. Nein, wir alle überzeugt, dass sich niemand 'Persona' ansehen wird. Aber wir hatten Spaß! Am Set waren wir wie Kinder. Auch Ingmar."

"Er war eine Insel, ein Eremit"

Liv Ullmann erzählt das mit ausschweifenden Gesten. Als wäre sie wieder am Set. Als wäre Ingmar noch da. Wie ironisch, dass die Frau, die ihre Weltkarriere mit einer stummen Rolle begann, so überschwänglich und wortreich ihr Leben erinnert. Aus ihren Erinnerungen entsteht auch ein Bild von Ingmar Bergman als Grübler, dem deprimierten und verängstigten Genie, das nur am Set und bei der Arbeit etwas locker lassen konnte.
"Er war eine Insel, ein Eremit. Deshalb lebte er auch bis zum Ende auf Farö. Aber aus dieser Abgeschiedenheit entstand ein Werk, dass eine Aussage hat: Kapselt euch nicht ab! Seid keine Insel! Ingmar wollte, dass die Menschen zueinander finden. Und ich denke derzeit viel daran. Er wäre in unserem digitalen Zeitalter sehr unglücklich gewesen. Wir gehen uns aus dem Weg. Wir berühren Bildschirme mit einer größeren Zärtlichkeit als unser Gegenüber. Ingmar hätte das nicht ertragen."

Das klingt zunächst kulturpessimistisch, aber Ullmann meint das nicht so. Auch das Schwere und Deprimierende der Bergman-Filme sieht sie anders. Auf den ersten Blick jedenfalls. Man könnte also meinen, Bergmans großes Thema wäre es zu zeigen, dass fast jede Beziehung zwischen zwei Menschen von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Aber, das ist eben nur der erste Blick:
"Er wollte doch nur zeigen, wie schwer es ist zusammen zu kommen und zu bleiben. Seine Filme sagen: Lass es uns nochmal versuchen! Und nochmal! Und dann zeigt er uns, warum es scheitert. Aber es wird auch mal klappen. Irgendwann. Und Menschen verlieben sich und finden sich. Wir stehen uns nur zu häufig selber im Weg."
Die Schauspielerinnen Liv Ullmann (l) und Bibi Anderson spielten in Bergmans Film "Persona" mit, der in Stockholm gedreht wurde.
Die Schauspielerinnen Liv Ullmann (l) und Bibi Anderson spielten in Bergmans Film "Persona" mit.© picture alliance / Pressensbild/Scanpix

"Bergman hat die Frauen besser verstanden als jeder Mann"

Ein Lächeln entspringt Liv Ullmanns Gesicht. Dieses Gesicht, das jeder, der im Kino einen Film mit ihr gesehen hat, so gut kennt; das Bergman mit der Kamera abgefahren hat. Jede Pore, jede Ecke, jede Rundung meint man zu kennen oder schon mal irgendwo gesehen zu haben. Man kann sich nicht satt sehen. Überhaupt waren es schon immer die Frauengesichter, deren komplexe Seelenzustände Bergman versuchte in den berühmt gewordenen Close-Ups zu ergründen. Aber hat er – der so viele Filme drehte – hat er die Frauen jemals verstanden?
"Bergman hat die Frauen besser verstanden als jeder Mann, den ich vor und nach ihm getroffen habe. Und es war auch viel Frau in ihm selbst."
Wie unfair das ist, das Liv Ullmann immer über Bergman sprechen muss. Dabei hat sie mit so vielen anderen Regisseuren gearbeitet, hat selber Filme gedreht, stand auf vielen Theaterbühnen und hat dort viele Erfolge gefeiert. Doch der lange Schatten des Mannes der vor 100 Jahren in Upsalla geboren wurde, der zieht sich bis in dieses Berliner Hotelzimmer. Kein leichtes Gepäck, das er ihr da hinterlassen hat. Aber Liv Ullmann, wie könnte es anders sein, trägt es mit Fassung und weiß, es ist einfach eine weitere dieser vielen Lebenslektionen, die es gilt mit der nötigen Gelassenheit zu nehmen.
"Manchmal ist es ermüdend. Aber dann denke ich mir, wie glücklich ich doch bin, Ingmar getroffen zu haben. Und wie sehr er mich als Schauspielerin, aber vor allem wie sehr er mich als Menschen verändert hat."
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