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Von Ameisen und Elefanten

Ökologie. - 1995 begann auf dem Gebiet der Mpala Wildlife Foundation in Kenia ein Experiment: Um zu sehen, welchen Einfluss große Pflanzenfresser wie Elefant oder Giraffe auf die Natur haben, zäunten die Biologen ein Stück Savanne mit einem elektrischen Zaun ab und beobachteten, was passierte. Da Elefanten den Bäumen recht stark zusetzen, hatte man erwartet, dass die Akazien ohne ihre Fressfeinde wachsen und gedeihen würden – aber das Gegenteil passierte. Was dahinter steckt, das steht heute in "Science".

Von Dagmar Röhrlich | 11.01.2008
    "Eines Tages lief ich wieder einmal an dem Areal vorbei, aus dem wir große Säugetiere mit einem elektrischen Zaun heraushalten. Dabei fiel mir auf, dass die Bäume krank wirken. Das interessierte uns, weil die Bäume, die weiterhin von den Elefanten, Giraffen, Antilopen und Gazellen gefressen wurden, sehr gesund aussahen. Das schien keinen Sinn zu ergeben."

    Eigentlich sollte es den Akazien doch besser gehen, wenn die Fressfeinde fehlen, erklärt Todd Palmer von der Universität von Florida in Gainsville. Der Zoologe, der sich mit den Akazien-Ameisen beschäftigt, untersuchte das Phänomen und fand einen erstaunlichen Zusammenhang zwischen Ameisen und Baumzustand. Es beginnt damit, dass drei der vier Akazienameisenarten "ihren" Baum bewachen:

    "Das sind kleine Ameisen-Bodyguards, die die Bäume vor den großen Pflanzenfressern schützen. Zwischen dieser Akazienart und Ameisen gibt es eine Art Geschäft: Der Baum produziert Schwellungen an den Dornen, in denen die Ameisen leben, und er sondert einen süßen Nektar ab, von dem sie sich ernähren."

    Der Baum "bezahlt" für ihren Schutz: Sobald jemand an seinen Zweigen reißt, stürzen die Ameisen aufgeregt aus ihren Nestern, geben chemisch Alarm. Der bringt die ganze Kolonie in Bewegung, und Hunderttausende kleiner Ameisen beißen den Elefanten beherzt in den Rüssel. Der sucht sich dann lieber eine weniger tapfer verteidigte Akazie. Palmer:

    "”Als wir durch unseren Zaun die großen Pflanzenfresser von den Bäumen ferngehalten haben, bemerkten die Bäume nach fünf bis acht Jahren, dass sie nicht länger angefressen werden – wie auch immer sie das machen. Daraufhin stellten sie die ‚Bezahlung’ ihrer Bodyguard-Ameisen ein – und setzten damit eine ganze Kaskade von Effekten in Gang.""

    So legten die ohne den Akaziennektar hungrigen Bodyguards unter seiner Borke "Farmen" mit Baumparasiten an. Von denen ernteten sie dann eine zuckrige Lösung. Weil davon weniger Ameisen satt werden als vom Akaziennektar, schrumpfen die Kolonien der drei Beschützerarten. Außerdem sind hungrige Ameisen schwächere Kämpfer. Palmer:

    "Der zweite Teil der Geschichte ist fast noch interessanter. Die vierte Ameisenart, die auf diesen Akazien lebt, beschützt die Bäume nicht, sondern zerstört sie. Sie lebt in Tunneln, die ein Käfer für sie durch das Holz treibt. Eine große Bodyguard-Ameisenkolonie hält die ‚böse Sippschaft’ fern. Aber versorgt der Baum sie nicht mehr, geraten sie gegenüber den üblen Ameisen ins Hintertreffen. Die Folge: Die Akazien, auf denen die schädlichen Ameisen wohnen, wachsen schlecht und sterben jung."

    Genau das passiert im Versuchsfeld. Die Beziehung zwischen Akazien und Akazien-Bodyguard ist also störanfällig, meint Robert Pringle von der Stanford University:

    "”Wir wissen zwar wenig darüber, wie sich diese Symbiose zwischen den Ameisen und den Akazien entwickelt hat, aber solche Beziehungen dauern Zehntausende, Hunderttausende oder vielleicht sogar Millionen Jahre. Es ist faszinierend zu sehen, dass diese Beziehung innerhalb von zehn Jahren in die Krise kommt und für die Akazien bedrohlich wird.""

    Innerhalb des elektrischen Zauns im Testgebiet wird das Aussterben der Großsäuger nur simuliert. Aber außerhalb der Nationalparks verschwinden die Großsäuger tatsächlich. Todd Palmer:

    "Wenn wir in dieses Ökosystem eingreifen und die Zahl der Großsäuger reduzieren, kann das vollkommen unerwarteten Auswirkungen haben."

    Denn dieser besondere Typ von Akaziensavanne reicht vom Südsudan über Kenia bis weit nach Tansania hinein. Es sind quasi Monokulturen, denn über Hunderttausende von Hektar Land leben fast nur diese Akazien, weil nur sie mit den besonderen Bodenbedingungen fertig werden. Verschwänden sie, hätte das schlimme Folgen für die Menschen: In Kenia hängen 75 Prozent der Bevölkerung von der Holzkohle ab, die aus den Akazien gewonnen wird.