BBC National Orchestra of Wales: Strauss, Schönberg und Goehr

Mitreißende - hinreißende Romantik

Das BBC National Orchestra of Wales in seinem Heimatsaal, der Hoddinott-Hall Cardiff
Das BBC National Orchestra of Wales in seinem Heimatsaal, der Hoddinott-Hall Cardiff © BBC NOW
Moderation: Volker Michael · 03.02.2021
Das BBC National Orchestra of Wales spielte zuletzt mit dem Gastdirigenten Thomas Kemp in seinem Konzertstudio in Cardiff Musik im romantischen Gestus, die wesentliche Dinge behandelt: Liebe, den Sinn des Lebens und die Musik an sich.
Es ist das älteste Rundfunkorchester Großbritanniens, das BBC National Orchestra of Wales. In diesem Programm beschäftigt es sich mit Wien, Dänemark und China.
Das Programm hat der Dirigent Thomas Kemp zusammengestellt. Die Klammer bilden zwei Werke von Richard Strauss in selten zu hörenden kammermusikalischen Fassungen. Außerdem gibt es das tieftraurige, romantische "Lied der Waldtaube" aus Arnold Schönbergs "Gurreliedern" und ein sehr filigran-poetisches Werk von Alexander Goehr.
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Die Mezzosopranistin Kathryn Rudge am 15.10.20 beim BBC National Orchestra of Wales© BBC NOW
In diesem Programm gibt es vielfältige Bezüge: vor allem unter den Komponisten in biografischer Hinsicht. Das Konzert beginnt mit den Vier Liedern op. 27 von Richard Strauss. Das war ein Hochzeitsgeschenk für seine Ehefrau, die Sängerin Pauline de Anha. Entsprechend sind die Themen gesetzt – Liebe, aber auch Sehnsucht nach Rückzug und Erfüllung.

Linke und anarchistische Dichter

Die vier Gedichte heißen: Ruhe meine Seele, eine impressionistisch wirkende Vertonung eines Gedichts von Karl Henkell, Cäcilie, ein prall-fröhliches Liebeslied von Heinrich Hart, und zwei Gedichte von John Henry Mackay, Heimliche Aufforderung und Morgen. Alle drei Dichter stammen aus dem anarchistischen oder linken Naturalismus. Richard Strauss stand ihnen keinesfalls nahe, aber die Inspirationskraft ihrer Verse muss immens auf ihn gewirkt haben. Die Solistin ist die Mezzosopranistin Kathryn Rudge aus Liverpool.

Kurzzeitige Nähe von Strauss und Schönberg

In der Bewunderung für zeitgenössische Dichtung wie in ihrer Liebe zu großen und farbenreichen Orchesterbesetzungen waren sich Richard Strauss und Arnold Schönberg um 1900 herum ähnlich, auch wenn sie ansonsten wenig verband.
Darauf aufmerksam machen wollte Thomas Kemp, der das Repertoire zusammengestellt hat. Als zweites Werk hat er nämlich das Lied der Waldtaube aus Schönbergs "Gurreliedern" programmiert. Auch von diesem drohend-klagenden Lied gibt es eine intime Fassung für Stimme und kleines Orchesters, in diesem Fall von Erwin Stein.

Alexander Goehrs zerbrochene Laute

Der britische Komponist Alexander Goehr wurde 1932 in Berlin geboren und emigrierte mit seinem Vater Walter nach England. Walter Goehr hatte bei Arnold Schönberg studiert und scheint auch seinem Sohn viel vom Gelernten vermittelt haben.
Das offenbart sich in einem Werk Alexander Goehrs aus dem Jahr 2008. Er erzählte im BBC Radio Three vom Inhalt des Stücks: Er habe eine alte chinesische Geschichte aus der Ming Dynastie in Töne gesetzt. Ein Minister zieht sich aufs Land auf ein Boot zurück, um in Ruhe Laute zu spielen. Er lernt dabei einen Holzfäller kennen, der sich sehr gut mit Lautenmusik auskennt:
"Und der Minister befragt ihn weiter und ist ganz erstaunt von seinem Wissen. Sie betrinken sich zusammen auf dem Boot. Der Minister nennt den Holzfäller seinen Bruder, gibt ihm Geld, damit er studieren kann, und will ihn nach einem Jahr wieder besuchen. Doch da muss er feststellen, dass der Holzfäller gestorben ist. Deshalb zerschlägt er seine Laute, weil er weiß, dass der einzige, der seine Musik versteht, nicht mehr da ist. Dieses Ende war meine Motivation, das Stück zu schreiben."

Als es in Wien noch keinen Walzer gab

Das letzte Werk in diesem Konzert war die Suite aus der Filmmusik zum Rosenkavalier von Richard Strauss. Der Dirigent Thomas Kemp hat sie selbst bearbeitet. Das eigentliche Theaterstück spielt im Wien der 1740er Jahre. Ein offener Widerspruch, sagte der Dirigent in BBC Radio Three:
"Den Walzer gab es damals noch nicht. Strauss wollte aber eine bourgeoise Walzerwelt erschaffen, er liebte die Musik der Johan-Strauß-Familie. Das kann man hören, und man könnte es sehr ernst nehmen. Aber eigentlich bedeutet es gar nicht so viel. Es geht um andere bewegende Themen. Es geht ums Alter, um Liebe. Es ist eine kluge Geschichte - und auch ein bisschen zynisch. Es gibt Parallelen zwischen Rosenkavalier und Mozarts "Cosi fan tutte". Das ist die erhabenste Musik, die Mozart geschrieben hat. Doch oft sind die schönsten Stücke sehr zynisch in ihrer Doppeldeutigkeit. Und bei Strauss gibt es das auch."
BBC Hoddinott Hall, Cardiff
Aufzeichnung vom 15. Oktober 2020
Richard Strauss
Vier Lieder op. 27 (arrangiert für Kammerorchester von Arnold Wilke)
Arnold Schoenberg
Lied der Waldtaube (aus "Gurrelieder", orchestriert von Erwin Stein)
Alexander Goehr
"Broken Lute" op. 78a für Altflöte, Oboe und Streicher
Richard Strauss
"Der Rosenkavalier", Suite aus der Filmmusik op. 59b (arrangiert von Thomas Kemp)

Kathryn Rudge, Mezzosopran
BBC National Orchestra of Wales
Leitung: Thomas Kemp

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