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Kommentar zur Panzer-Debatte
Deutschland ist weit von einer zentralen Rolle entfernt

Der Verweis auf die schwierige Abstimmung von Panzer-Lieferungen an die Ukraine verschleiert, dass die Bundesregierung nicht sagt, was sie will, kommentiert Stephan Detjen. In Osteuropa sei ein schwer reparierbarer Vertrauensschaden entstanden.

Ein Kommentar von Stephan Detjen | 23.01.2023
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht neben Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen), Außenministerin
Die Ampel ringt um eine Haltung in der Panzer-Frage: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
Wolfgang Schmidt, der Chef des Bundeskanzleramts und seit vielen Jahren engster Vertrauter von Olaf Scholz, hat die Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine einmal als Ausdruck einer historisch begründeten Psychopathologie erklärt. Die Deutschen, so sagte Schmidt, litten an einem V2-Syndrom.

Ampel gespalten

Der Leopard-Panzer werde von einer sicherheitspolitisch pubertierenden Öffentlichkeit zu einer neuen Wunderwaffe stilisiert, deren Einsatz den Krieg in der Ukraine auf einen Schlag beenden werde. Dem aber sei nicht so. Die schräge Gleichsetzung des modernen Kampfpanzers mit der Nazi-Rakete aus dem Zweiten Weltkrieg erklärt mehr über das Denken in der Führungsetage des Kanzleramts, als über den Waffendiskurs, der in diesen Tagen die Ampel-Koalition in Berlin und die westlichen Unterstützer der Ukraine spaltet.
Olaf Scholz und seine Berater sehen sich selbst als nüchterne Strategen mit kühlen Köpfen, die von engstirnigen Journalisten, profilierungssüchtigen Koalitionspartnern und überemotionalen Bündnispartnern vor allem in Osteuropa nicht verstanden und notorisch falsch interpretiert werden.
Richtig ist, dass die Frage, ob deutsche Kampfpanzer in der Ukraine zum Einsatz kommen, weitreichende Konsequenzen hat, nicht nur für mögliche Eskalationen des Krieges. Es geht um den Aufbau von Nachschubketten, die Einrichtung von Reparaturwerkstätten und die Verfügbarkeit von hinreichender Munition. Alles Fragen, die in der öffentlichen Debatte gern ausgeblendet werden. Alles Fragen aber auch, die ein vorausschauende Regierung seit Monaten beantwortet haben könnte.

Kanzler als wortkarger Eigenbrötler

Der Verweis auf schwierige Klärungs- und Abstimmungsbedürfnisse verschleiert in diesen Tagen vor allem, dass die Bundesregierung nicht sagt, was sie will oder nicht will. Das steht in einem scharfen Kontrast zur heutigen Ankündigung der Kanzlerpartei SPD, Deutschland müsse auf internationaler Eben eine stärkere Führungsrolle übernehmen. Das bedeutet auch, aber nicht einmal in erster Linie ein stärkeres militärisches Engagement. Wichtiger noch ist es, dass deutsche Regierungen sich ein Vertrauen als zuverlässige, berechenbare und transparent handelnde Partner erwerben.
Olaf Scholz wird dafür zu oft als wortkarger Eigenbrötler wahrgenommen, dessen Zaudern sich nicht allein durch angeborene Sturheit oder norddeutsche Sprödigkeit erklären lässt. Zu viele Zeichen deuten in diesen Tagen darauf hin, dass Deutschland weit von der zentralen Rolle entfernt ist, die es bei der Unterstützung der Ukraine einnehmen müsste. Frankreich wollte zuletzt bei der Lieferung von Schützenpanzern nicht mehr auf die Deutschen warten. In Washington werden Berichte über hitzige Wortgefechte mit engsten Beratern des Kanzlers kolportiert. In Osteuropa ist im Laufe des letzten Jahres ein schwer reparierbarer Vertrauensschaden entstanden.
Im Kanzleramt wird gerne darauf verwiesen, dass eine Mehrheit der Deutschen die zurückhaltende Politik des Kanzlers zu schätzen wisse. Das mag ein innenpolitisches Kalkül der Regierung erklären. Doch es wäre fatal, wenn das die allein bestimmende Orientierungsgröße in diesen Zeiten wäre.
Stephan Detjen
Stephan Detjen
Stephan Detjen, Chefkorrespondent von Deutschlandradio. Studierte Geschichtswissenschaft und Jura an den Universitäten München, Aix-en-Provence sowie an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Rechtsreferendariat in Bayern und Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. Seit 1997 beim Deutschlandradio, zunächst als rechtspolitischer Korrespondent in Karlsruhe. Ab 1999 zunächst politischer Korrespondent in Berlin, dann Abteilungsleiter bei Deutschlandradio Kultur. 2008 bis 2012 Chefredakteur des Deutschlandfunk in Köln. Seitdem Leiter des Hauptstadtstudios Berlin sowie des Studios Brüssel.