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"Mit 17 hat man noch Träume"

Das erste Mal verliebt sein, die Welt verändern oder einfach stinknormal sein: "Jung sein in Deutschland", was heißt das, in den 50er-, 70er-Jahren oder zur Wendezeit, in Ost und West? Eine Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte geht dieser Frage auf den Grund.

Von Beatrix Novy | 16.07.2011
    "Ich fühl mich noch jugendlich – was soll ich mich denn jugendlich fühlen in meinem Alter?"

    Wenigstens einer, der nicht mehr jung ist und trotzdem nicht jung geblieben. Das findet man selten in der Zeit des Jugendkults, der jungen Alten und der ewig verlängerten Adoleszenz. Es nützt übrigens nichts, echte Jugendliche finden echte Erwachsene trotzdem alt, das immerhin hat sich nicht geändert im letzten halben Jahrhundert, dessen einzelne Jahrzehnte diese Ausstellung nach rückwärts abschreitet: von heute in die 50er-Jahre. So machen den Anfang einige Titelseiten unserer großen Wochenzeitschriften, die aus der Jugend in kurzer Frist mal eine hoffnungslose "Generation Praktikum", mal eine konservative "Generation Zuversicht" machen. Zwischen diesen Grobcharakterisierungen tummeln sich Ökoaktivisten, Hacker, Graffitisprayer, Skater, die Jugendfeuerwehr, die Konfessionsgruppe. Ein paar statistische Zahlen zum politischen Bewusstsein der Jugend gibt es auch, aber eigentlich soll hier – gute Absicht - die Perspektive der Jugend eingenommen werden. Auf diese Weise erfährt man, wie Halbwüchsige die Initiationsriten ihrer Kultur wirklich sehen: Alle finden's cool, weil es zu Konfirmation oder Bar Mitzwa Geschenke gibt oder weil Muslimsein in und hip ist. Dies ist übrigens eine der wenigen interkulturellen Stationen.

    Zurück geht's durch die Jahrzehnte: Friedensbewegung, Punk, Flower Power, Rock 'n' Roll. Der Parka des Pershing-Demonstranten, der selbst gemachte Armreif und die Spraydosen des Punkers, die Lederjacke der Halbstarken. Der Rock 'n' Roll, mit dem alles anfing:

    "Das ist der Veitstanz des 20. Jahrhunderts!"

    Aber wird sich die Jugend von damals, werden sich Eltern und Großeltern, die mit der Familie herkommen, ans Herz greifen? Seit den 60er-Jahren sind Kinder und Jugendliche eine bestens erforschte und publizistisch begleitete Bevölkerungsgruppe. Sie sind umworbene Marktteilnehmer geworden, ihre Lebensstile sind Mainstream. Heutige jugendliche Sub- und Subsub-Kulturen lernt man den ganzen Tag auch ohne Museum kennen; und die früheren Protest- und Musikbewegungen, die gesellschaftliche Entwicklung seit der Adenauerzeit - alles beliebte Retrothemen in unzähligen Fernsehdokus. Dennoch finden sich im reichen Anschauungsmaterial noch Überraschungen, wie die, dass es in den 60er-Jahren einen Hassmord an einem Gammler gab. Ein Verdienst der Ausstellung ist die Aufwertung eines notorisch unterbelichteten Themas: Jung war man auch in der DDR. West- und ostdeutsche Lehrlinge in Originaltönen zu hören, ist schon interessant. Noch interessanter ist DDR-Punk:

    "Die Bands in der DDR wollten die englischen Bands nachspielen, aber sie konnten die Texte nirgends kaufen, also haben sie mitgeschrieben, konnten aber zu wenig Englisch, das wurde kaum gelehrt"

    ,sagt Bernard Lindner vom Zeitgeschichtlichen Forum, dem Partner in Leipzig.

    "Da ging es nur um Love, wenn das vorkam, reichte es."

    Ironischerweise war es gerade die DDR-Obrigkeit, die der vom Westen abgeleiteten Musikszene das Eigenständige hinzufügte: Die Verordnung, deutsch statt englisch zu singen, brachte eine frühe Neue Deutsche Welle in der DDR hervor, bevor sie in der BRD Furore machte.
    Im Übrigen erzählt diese Ausstellung nicht viel mehr als die alte Geschichte von der Jugend, die sich abgrenzen will und der Gesellschaft, die sie bekämpft, immer ein Stück integrierter Protestkultur zurücklässt. Die Rolle der mächtigen kommerzialisierten Jugendkultur heute wird so wenig herausgearbeitet wie die Frage, was der Megatrend Selbstdarstellung und die Einengung und Kommerzialisierung des öffentlichen Raums fürs Jungsein bedeuten, wenn schon Siebenjährige als Lieblingsbeschäftigung "shoppen" angeben. Aber zu dem Thema gibt es dann doch ein ermutigendes Video: das von dem jungen Mann, der wie ein echter Artist über den städtischen Beton und seine sämtlichen Hindernisse gleitet, saltoschlagend, kletternd, kurz: ganz unglaublich. Auch das ist eine Jugendbewegung. Sie entstand in den Pariser Banlieues.