Abrechnung mit totalitärer Willkür

10.12.2008
Jorge Semprún flüchtete im Spanischen Bürgerkrieg mit seinen Eltern ins französische Exil. Während der deutschen Besatzung schloss er sich der Résistance an, wurde verhaftet und ins KZ Buchenwald transportiert. Seine Erfahrungen im Lager, aber auch mit der Kommunistischen Partei, deren Mitglied er war, schildert er in Erzählberichten und Rückblenden. Seine Erinnerungen an Buchenwald lassen ihn auch mit der stalinistischen Herrschaft nach dem Kriege abrechnen. Zum 85. Geburtstag Semprúns erscheint "Was für ein schöner Sonntag" in einer Wiederauflage.
"Was für ein schöner Sonntag!" - das klingt harmlos, nach Landpartie und Familienidyll. Sagt das jedoch im Dezember 1944 ein Häftling des Konzentrationslagers Buchenwald, wird Sarkasmus daraus und damit eine Metapher für jenen weltstürzenden Widerspruch, der den "Heimatort" der deutschen Klassik zum Schauplatz der größten Barbarei werden ließ.

Im vorgeblichen und behaupteten Bemühen des Ich-Erzählers, einen einzigen Tag, jenen "schönen Sonntag" im KZ, Stunde um Stunde erinnernd erzählen zu wollen, liegt der Verweis auf eine weitere monströse Verwerfung in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Indem auf diese Weise die Erzählstrategie von Alexander Solschenizyns GULag-Erzählung "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" zitiert wird, gerät eine der beunruhigendsten Fragen an dieses Jahrhundert in den Blick: Wie konnte es geschehen, dass zwei sich bekämpfende, auf gegensätzlichen Ideologien beruhende Systeme jeweils beinahe identische repressive Strukturen aus Arbeits- und Vernichtungsmaschinerien herausbildeten?

Dass solche Konflikte dem spanischen Schriftsteller Jorge Semprún zu schaffen machen, liegt an seiner persönlichen Verstrickung in diese Zeitläufte. Mit deutscher Sprache und Kultur aufgewachsen, durchdrungen von deutscher Philosophie und Literatur, gerät der Paris-Exilant und Résistance-Kämpfer in deutsche Gefangenschaft, die ihm dann den KZ-Aufenthalt in Buchenwald einträgt. Seiner politischen Zugehörigkeit zu den Kommunisten verdankt er sehr wesentlich sein Überleben, das er detailreich schildert, denn die Kommunisten beherrschen in weiten Teilen das innere Funktionieren des Lagers.

Dieses politische Engagement führt er - zurück in seinem Exilort Paris - auch nach dem Ende des Krieges fort. Er wird zu einem Führungskader der spanischen Kommunistischen Partei und koordiniert den illegalen Widerstand gegen das Franco-Regime in Spanien. Unter seinem Decknamen "Federico Sánchez" wird er zu einem der meistgehassten Widerständler gegen Franco, der freilich nie gefasst werden kann.

Es gibt in jenen Jahren gründliche Verunsicherungen für den Kommunisten Semprún. Politische Schauprozesse und niedergeschlagene Volksaufstände in den osteuropäischen "Bruderländern" der Sowjetunion, der XX. Parteitag der KPdSU (mit zaghaften, aber doch erschütternden Enthüllungen über Stalins Verbrechen), vor allem aber ein strategischer Richtungskampf über das weitere Agieren der Kommunisten in Spanien schaffen eine zunehmende Distanz zur Moskau-hörigen KP-Führung. Semprún wird schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Dieser politische Tod wird aber auch zur Voraussetzung für seine "Wiedergeburt" als Schriftsteller.

Semprúns Erzählweise ist keine konventionell-lineare. Die Ankündigung, Stunde um Stunde diesen Sonntag erzählen zu wollen, erweist sich als literarische Finte. Von Assoziationen immer wieder hingerissen, wechselt er ständig die Erinnerungs- und Reflexionsebenen, auf diese Weise ein dichtes Geflecht knüpfend, das eben nicht nur das Geschehene nacherzählt, sondern das Darauffolgende und das Gegenwärtige permanent einblendet. Neben einigen fiktionalen Elementen liegt hier der literarische Kern dieses Erzählens.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Jorge Semprún: Was für ein schöner Sonntag!
Roman. Aus dem Französischen von Johannes Piron
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
395 Seiten, 15,00 Euro
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