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Abschiebegefängnis Ingelheim
Ausreisehaft kann rechtswidrig sein

Mehr als zwei Wochen sitzen die Häftlinge im Ingelheimer Abschiebegefängnis. Dann werden sie abgeschoben. Der Freiheitsentzug werde oft leichtfertig verhängt, sagen Kritiker. Die Abschaffung der Einrichtung ist bei der rheinland-pfälzischen Landesregierung aber längst kein Thema mehr.

Von Anke Petermann | 14.12.2017
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim.
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim. (picture alliance / dpa - Fredrik von Erichsen)
    Anfang 20 ist die junge Frau aus Nigeria, sie wirkt müde und deprimiert. In Deutschland lebte Vanessa Efe kein Jahr, bis ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Zu kurz, um Deutsch zu lernen. Politisch verfolgt ist die gescheiterte Asylbewerberin nicht.
    "Nachdem er mir in Nigeria den Schulbesuch ermöglicht hatte, wollte dieser Freund meines verstorbenen Vaters mich heiraten. Ich wollte nicht. Er ist dreißig Jahre älter als ich. Er bedrohte mich. Er hatte die Hochzeit schon arrangiert. Wir sind arm, wir können uns nicht wehren. Durch die Vermittlung von Freunden gelang es mir, nach Deutschland zu entkommen."
    Wenig unterbricht die Monotonie des Eingesperrtseins
    Doch ihre nigerianischen Freunde leben im westfälischen Hamm, und Vanessa Efe sitzt nun im rheinland-pfälzischen Ingelheim hinter den vergitterten Fenstern einer Einzelzelle in der sogenannten Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige. Ein Telefonat mit der Mutter in Nigeria, ein Gespräch mit ehrenamtlichen Betreuern in Ingelheim, ein Einkauf im Gefängniskiosk, ein Rundgang über den vergitterten Hof mit Blick auf Mauer und NATO-Draht – wenig unterbricht die Monotonie des Eingesperrtseins. Die Freunde in Hamm können sich einen Besuch in Ingelheim nicht leisten.
    "Es ist nicht schön. Frustrierend. Alles ist hier frustrierend. Ich weiß nicht. Ich bin frustriert. Über alles."
    Das Ingelheimer Abschiebegefängnis wird derzeit von sechs Bundesländern zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern genutzt. Durchschnittlich 16 Tage bleiben die Häftlinge hier, bevor sie abgeschoben werden, in Einzelfällen auch Monate.
    "Der Richter sagt, ich muss das Land verlassen, aber der Rechtsanwalt versucht, einen Weg zu finden, dass ich bleiben kann."
    Sitzt Efes zu Unrecht in Gewahrsam?
    Wenn es stimmt, dass Efes Asylverfahren wegen eines Widerspruchs noch nicht abgeschlossen ist, dann säße sie zu Unrecht in Gewahrsam. Die Abschiebehaft beantragen die kommunalen Ausländerbehörden oder die Bundespolizei, wenn sie argwöhnen, ein Ausreisepflichtiger könne untertauchen. Es muss "erhebliche Fluchtgefahr" bestehen, hat der Bundesgerichtshof 2014 präzisiert. Ein Haftrichter entscheidet.
    Freiheitsentzug werde oft leichtfertig verhängt, kritisiert der Asylanwalt Peter Fahlbusch. 1.400 Abschiebehäftlinge hat der Hannoveraner Jurist seit 2001 vertreten. Mehr als die Hälfte davon seien widerrechtlich inhaftiert gewesen.
    Ist Menschrechts-Verletzung durch rechtswidrige Abschiebehaft an der Tagesordnung? Thomas Rüdesheim von der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Rheinland-Pfalz kennt die Zahlen. Das Problem:
    "Die kann man jetzt nicht 1:1 auf einzelne Bundesländer, auf Rheinland-Pfalz, runterbrechen. Aber es hat sich eben gezeigt, dass nicht jede Inhaftnahme dort einer rechtlichen Überprüfung standhalten würde."
    Grüne wollten Ingelheimer-Anstalt abschaffen
    Noch Anfang des Jahrzehnts wollten die rheinland-pfälzischen Grünen die Ingelheimer Anstalt ganz abschaffen. Der Europäische Gerichtshof forderte 2014, die Abschiebehaft von der Strafhaft deutlich zu unterscheiden.
    ARCHIV - ILLUSTRATION - Ein Protest-Transparent hängt am 18.10.2013 in Hamburg bei einer Pressekonferenz der Flüchtlingsgruppe «Lampedusa in Hamburg» in einem Fenster. 
    Illustration Abschiebung (picture alliance / dpa / Christian Charisius)
    Nach Schlagzeilen über frei herumlaufende ausreisepflichtige Gefährder wird die heutige grüne Ressortchefin Anne Spiegel von der Opposition aus CDU und AfD wegen Sicherheitsmängeln kritisiert. :
    "Die Zeiten haben sich geändert. Das muss man eindeutig sehen. Wir hatten noch vor ein paar Jahren nur im einstelligen Bereich Menschen in der GfA. Und jetzt haben wir die Situation, dass sie voll belegt ist mit 40, teilweise über 40 Personen, dass die Menschen aggressiver auftreten als noch vor einigen Jahren, und dass wir mehr auch Kriminelle unter den Personen haben und wir auch mit entsprechenden Sicherungsmaßnahmen darauf reagiert haben."
    Anwalt: Ingelheim ist ein "Kuschelknast"
    Anwalt Peter Fahlbusch findet es problematisch, dass der Grad des Freiheitsentzugs in jeder Abschiebeanstalt unterschiedlich ausfällt. Im Vergleich zu den großen Gefängnissen wie dem im westfälischen Büren sei Ingelheim ein "Kuschelknast". Doch auch der Kuschelknast wird aufgerüstet, seit Häftlinge im Rahmen einer Protestaktion erst auf das Dach eines Verwaltungsgebäudes und dann auf die Außenmauer gelangten. Deshalb wird der Nato-Draht, der erst vor ein paar Jahren auf der Außenmauer weggeschnitten wurde, nun weiter innen wieder angebracht. Die Opposition höhnt über das Hin und Her grüner Abschiebepolitik. Integrationsministerin Spiegel kontert:
    "Unser Credo ist: Mehr Sicherheit nach draußen gewährt mehr Freiheit nach innen. Uns ist wichtig, dass diejenigen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen, sich auch in der Einrichtung frei bewegen können. Und das so human durchzuführen bei einer guten Sicherung, dass wir das gleichzeitig gewährleisten können."
    Asyl-Anwalt Fahlbusch sagt: Mehr Abschiebehaft bedeute mehr Menschenrechtsverletzungen. Der Jurist hofft auf Schützenhilfe durchs Bundesverfassungsgericht. Aus Karlsruhe sei 2018 eine Entscheidung über die Rolle von Verfahrensfehlern zu erwarten. Hat zum Beispiel ein Gefangener den Haftantrag nicht gedolmetscht bekommen, könnte es dann sein, dass er aus der Abschiebehaft entlassen werden muss.