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Aliens und Andromeda-Nebel

Auf Festivals wird der Autor Werner Herzog hoch gehandelt, aber in deutschen Kinos war lange Zeit nichts von ihm zu sehen: Zwei Jahre hat es gedauert, bis sich für seinen Experimentalfilm "The Wild Blue Yonder" ein kleiner deutscher Verleih fand, der den Herzog-Film nun in die Kinos bringen möchte.

Von Josef Schnelle | 01.11.2007
    Hollywoodstar Brad Dourif verdreht dramatisch die Augen. Von seinem sterbenden Planeten im Andromeda-Nebel ist er auf die Erde gekommen. Eine riesige Shopping-Mall hatten die Voraustrupps in die Wüste Kaliforniens gesetzt, die Ähnlichkeit mit Washington hat. Doch niemand ist gekommen. So ist der Alien allein geblieben, hat sich mit dem Leben der Irdischen arrangiert und die Havarie seines Raumschiffs steckt natürlich auch hinter dem berühmten Ufo-Absturz von Roswell. Sogar CIA-Agent ist er gewesen und ziemlich frustriert, wenn er an seine unzuverlässigen Mit-Aliens denkt und wenn er ironisch das Leben auf der Erde Revue passieren lässt. Herzog hat Dourifs Krause Monologe mit sichtlichem Vergnügen aufgenommen und der Großschauspieler genießt die Möglichkeit, gnadenlos zu übertreiben. Der heitere Surrealismus der Monologe wird immer wieder aufgefangen durch die Melancholie der Musik des niederländischen Star-Jazz-Cellisten Ernst Reijseger, der unterstützt durch den Senegalesischen Sänger Mola Sylla eine fremde Welt heraufbeschwört.

    Und dann sehen wir sie - eine fremde Welt, eine wie die die der Dichter Paul Scheerbart schon in "Lesabendio” in den zehner Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieben hatte. Schön, traurig und mit keinerlei Verbindungen zur Gegenwart und - rund heraus gesagt - auch zur Wirklichkeit. Aber wie zeigt man das. Alle Welten stehen Kopf. Formen sind zu sehen, die man sich nicht ausdenken kann: Wülste, Trompetenstile, die von oben ins Bild ragen. Elegante Flugmonster gleiten durchs Bild. Werner Herzog benutzte für sein ironisches Filmmärchen, für seine Bilder von "Andromeda" die Unterwasseraufnahmen des Hobbytauchers Henry Kaiser, die der am McMurdoSund in der Antarktis drehte. Kaiser ist eigentlich Musiker und auch das sieht man in den Bildern die er gemacht hat. Auch die Galileo- Mission, die 1989 ausgesandte Sonde die den Jupiter und seine Monde erforschen sollte, bevor sie 2003 im Jupiter-Orbit verglühte, benutzte Herzog als Material für seine Filmphantasie. Durch Zufall stieß Herzog in Los Angeles in einem alten Lagerhaus auf bisher unveröffentlichte Aufnahmen der NASA von Bord des Space Shuttles STS-34 aus dem Jahre 1989, das damals die Galileo-Sonde freisetzen sollte. Aus dieser schrecklichen Bordroutine der Astronauten strickt Herzog seine unglaubliche Alienstory.

    Herzogs kleine filmische Münchhausiade wäre keine große Sache, wenn er nicht virtuos eine zweite und dann noch eine dritte Ebene einziehen würde. Ganz allein gestrandet als Insel im Meer der Zeit, so mag sich mancher fühlen und auf das Raumschiff warten, das ihn endlich abholt. Das Lebensgefühl der Innerlichkeit, dahinter die blaue Blume der Romantik, treibt Herzogs Charaktere wie immer um. Aber es ist ihm erstmals nicht ganz Ernst damit. Soviel Selbstironie war selten bei Herzog und dann ist da noch das stets spürbare Anliegen, gegen die fortschreitende Umweltzerstörung zu protestieren. Die Außerirdischen die tausende von Jahre zuvor ihren Planeten zerstört haben, müssen es ja wissen: Auch wir sind auf dem falschen Weg. Herzogs kleiner Experimentalfilm zwischen zwei großen Filmprojekten ist jedenfalls mehr Wert als mancher filmische Großversuch und beweist: Die deutschen Verleiher sollten sich so schnell keinen Herzog-Film mehr entgehen lassen.