Filmfestival in Venedig

„Die Geschichte hat mich gefunden“

Regisseur Fatih Akin, Februar 2014 bei der Berlinale
Regisseur Fatih Akin: „All diese Verbote und Tabus haben meine Neugierde natürlich gespitzt.“ © picture alliance / dpa
Moderation: Susanne Burg |
Der neue Spielfilm von Fatih Akin – „The Cut“ – feiert auf dem Festival von Venedig seine Weltpremiere. Das Thema des türkischen Völkermordes an den Armeniern beschäftigt den Regisseur schon seit Jahren.
Susanne Burg: Außer dem Trailer gab's bisher nichts zu sehen. Denn der Film feiert morgen seine Weltpremiere im Wettbewerb des Filmfestivals von Venedig. Er beginnt 1915, eines Nachts, als die türkische Gendarmerie alle armenischen Männer zusammentreibt. Der junge Schmied Nazaret Manoogian wird von seiner Familie getrennt. Er überlebt, und beginnt seine Töchter zu suchen. Er folgt ihren Spuren – bis nach Havanna und in die Prärien von North Dakota. „The Cut“ war auch schon für den Wettbewerb in Cannes eingereicht, aber Fatih Akin hat den Film zurückgezogen. „Aus persönlichen Gründen“ sagte er. Und äußert sich dazu nicht weiter. Ich habe den Regisseur vor seinem Abflug nach Venedig noch am Telefon in Hamburg erreicht und ihn gefragt, Cannes war's also nicht. Sind Sie denn jetzt froh, dass der Film in Venedig läuft?
Fatih Akin: Ich war schon sehr froh zu dem Zeitpunkt, als das Gremium von Venedig den Film gesehen hat und sehr enthusiastisch und begeistert reagiert hat. Und seitdem freue ich mich eigentlich auf Venedig. Und ich habe in Venedig eigentlich immer gute Erfahrung gemacht, mit „Soul Kitchen“, ich war da ja auch mal in der Jury. Und es ist ein sehr angenehmes Festival, weil überschaubares Festival. Ich glaube, der Film ist da in sehr guten Händen.
Burg Besser als in Cannes?
Akin: Das Schicksal hat das ja so entschieden, und ich glaube ja so ein bisschen als Orientalist an das Schicksal, dass ich denke, alles hat seinen Sinn. Also denke ich, der Film hat sich das selber so ausgesucht, das wird schon seine Richtigkeit haben.
Burg: Im Film geht es darum, dass ein Überlebender der Massenvertreibung und Ermordung von Armeniern 1915 nach seinen Töchtern sucht. Wie haben Sie diese Geschichte gefunden?
Akin: Die Geschichte hat mich eigentlich gefunden. Seit vielen, vielen Jahren, eigentlich seit meiner Teenagerzeit, seit ich das erste mal mit dem Fakt des Genozids der Türkei konfrontiert worden bin, habe ich mich für dieses Thema interessiert, vor allem weil es ein großes Tabu darüber gab. Das war etwas, wo es dann doch sehr leidenschaftlich zur Sache ging und auch sehr wütend zur Sache ging, und all diese Verbote und Tabus haben meine Neugierde natürlich gespitzt. Irgendwann wollte ich einen Film über Hrant Dink machen, der Journalist, der 2007 ermordet worden ist, Herausgeber einer türkisch-armenischen Zeitung in Istanbul. Es sollte so ein Thriller werden. Das ist nicht zustande gekommen, weil die Schauspieler, die ich angefragt hatte, türkische Schauspieler, die haben sich nicht getraut.
Burg: Weil das alles noch politisch zu heikel ist, weil dieser Mord nie wirklich aufgeklärt wurde?
Aus Griechen wurden eben Armenier
Akin: Genau. Und kein Film ist es wert, irgendwelche Leute in Schwierigkeiten oder in Gefahr zu bringen, deswegen habe ich von dem abgesehen und habe dann einen internationaleren Film geplant, so ein ganz altes Roadmovie von mir, was in der Schublage lag, eben „The Cut“. Das sollte mal von Griechen handeln, die 1923 von Anatolien nach Amerika gehen. Und nach der Absage von dem „Hrant Dink“-Projekt habe ich aus den Griechen eben Armenier gemacht und habe „The Cut“ entwickelt. Klingt ein bisschen kompliziert, ist auch so, aber ...
Burg: Aber wenn es vor dem Hintergrund des armenischen Völkermordes spielt: Ist das denn ein Thema, was weniger heikel ist?
Akin: Es ist nicht so sehr die Qualität der Heikelkeit, um die es ging, es ging um den Ansatz. Der Film über Hrant Dink sollte ein rein türkischer Film werden, weil ... Ich wollte den mit türkischem Geld drehen, mit einer türkischen Crew, es sollte eben keine deutsch-türkische Koproduktion sein, sondern eine rein türkische. Und das war nicht möglich und deswegen dachte ich, ich kann es nicht rein türkisch erzählen, ich muss es international erzählen, ich muss es persönlicher machen. Und „The Cut“ ist womöglich der persönlichere Film als das Projekt um Hrant Dink.
Der Franzose Tahar Rahim in einer Szene des Films "The Cut". Der Film des Regisseurs Fatih Akin ist der deutsche Beitrag im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig.
Der Franzose Tahar Rahim in einer Szene des Films „The Cut“ des Regisseurs Fatih Akin© picture alliance / dpa
Burg: Inwieweit ist er persönlich?
Akin: Wie gesagt, dieses Thema begleitet mich mein Leben lang, ich komme aus einem deutsch-türkischen Kontext, beide Länder waren involviert in den Genozid an die Armenier. Beide Länder tun sich schwer, die Ereignisse von 1915 als Genozid darzustellen. Und nun entspringe ich eben aus beiden Ländern, das macht die Sache erst mal rein geografisch persönlich. Persönlich deswegen, weil ich versucht habe, einen Helden zu finden, der viel näher an mir dran ist, also, der ein einfacher Familienvater ist, ein einfacher Arbeiter ist – ich bezeichne das Filmemachen ja auch als Arbeit –, und was tut der alles, um seine Kinder zu finden, er reist um die halbe Welt. Immer wenn ich mich gefragt habe, was würde der Held machen 1915, 1916, 1917, 1918, in der Situation, habe ich mich gefragt, was würde ich in der Situation tun. Das ist das eine. Und dann jenseits vom Material, was es sehr persönlich macht, ist die Art, wie ich den Film gedreht habe ... Der Film ist eine reine Liebeserklärung an das Kino, an das Kino, mit dem ich groß geworden bin, an das Kino, was mich sozialisiert hat. Und mich habe eben nicht die Fellinis oder Godards sozialisiert, sondern mich haben Leute wie Scorsese sozialisiert und Coppola und Bertolucci und Polanski und Walter Hill und Eastwood. Das ist also meine ganz persönliche Reise durch das Weltkino.
Burg: Der Film war ja hier leider noch nicht zu sehen, ich habe mir nur mal den Trailer angeguckt, da ist sehr viel Wüste zu sehen. Es geht auch um die Mühen und Entbehrungen dieser Reise. Das heißt, wie haben Sie denn diesen Kampf der Reise inszeniert und wo haben Sie gedreht?
Akin: Das waren physikalisch sehr anstrengende Dreharbeiten, weil wir uns eigentlich den Bedingungen ausgesetzt haben, denen wir den Helden ausgesetzt haben. Wir haben in der Wüste von Jordanien gedreht, Jordanien als Ersatz für alles, was im Nahen Osten passiert, also Südosttürkei heute, Syrien und Libanon, all das haben wir hauptsächlich in Jordanien inszeniert. Dann bringt die Reise den Helden nach Havanna, weil der Film eben auch von Auswanderung handelt, weil der Völkermord eben nicht nur Mord und Totschlag ist, sondern eben auch als zweite Welle Auswanderung bedeutet, und zwar in die ganze Welt. Deswegen haben wir in Havanna, Kuba gedreht, wir haben nirgendwo Ersatz gefunden für Kuba eben. Dann haben wir in Kanada gedreht, weil das Ganze in Nordamerika, Norddakota eben endet. Ein paar Sachen haben wir in Malta gedreht, aus logistischen Gründen, und wir haben auch nicht zu knapp in Deutschland im Studio gedreht.
Burg: Sie haben gerade eben schon über die Vorbilder gesprochen, die Sie eben umsetzen wollten. Das heißt, wie wollten Sie die denn in Ihren Film übertragen, visuell?
„Event ist heutzutage nur noch Blockbuster“
Akin: Na ja, dieses Kino, das mich so beeindruckt, so einen Film wie „Apocalypse Now“ oder so was, das gibt es ja heutzutage eigentlich nicht mehr. Ich sage mal, Eventkino, Event ist heutzutage nur noch Blockbuster. Es gibt so Arthouse und es gibt den Blockbuster, aber das anspruchsvolle Kino, was sowohl ein großes Publikum anzieht, was aber auch jetzt so den Feuilleton oder den Filmkenner begeistert, diese Balance ist immer schwieriger und immer seltener heutzutage. In den 70ern und 80ern, vor allem in den 70ern war diese Form von Balanceakt, also Feuilleton und Publikum gleichermaßen zu befriedigen, viel gegebener, und da habe ich versucht anzusetzen mit so einem Film, also in so einer Tradition.
Burg: Sie haben im Vorfeld der in der Türkei erscheinenden Wochenzeitung „Agos“, die Sie schon erwähnt haben, das ist die, wo Hrant Dink Mitbegründer, Herausgeber war, ein Interview gegeben. Seitdem gibt es von dem rechtsnationalistischen Magazin „Ötüken“ eine Drohung gegen Sie. Wie ernst nehmen Sie die?
Akin: Na ja, man muss mal gucken, wie hoch die Auflage von diesem Magazin ist, das sind 50 Blatt. Also, ich habe eher das Gefühl, je kleiner diese Gruppen sind, also diese rechtsnationalistischen, ultrakonservativen Gruppen, desto lauter bellen die natürlich. Und ich glaube fest daran, dass die türkische Gesellschaft reif ist für so einen Film. Ich glaube nicht, dass ich mit meinem Film der türkischen Gesellschaft irgendwie voraus bin, sondern dass das auch so einem Zeitgeist entspringt. Es gibt Bücher zu dem Thema, die man überall kaufen kann, die halt auch ganz offensiv „Der Völkermord an die Armenier von 1915“ heißen, es gibt keine Verhaftungen mehr, der Paragraf 301, der dieses Verunglimpfen des Türkentums betrifft, der in den 2000er-Jahren eher so Orhan Pamuk oder Elif Shafak oder eben auch Hrant Dink, weswegen die angeklagt waren, wegen dem Paragraf ... Der wird ja heutzutage kaum noch eingesetzt. Also, es gibt eine Entwicklung in der Türkei, die aufgeschlossen ist, die aus der Zivilgesellschaft kommt, die auch eine gewisse Rückendeckung von der konservativen Politik erhält. Natürlich gibt es aber auch immer wieder Gruppierungen, denen diese Annäherungen und Friedensbemühungen, also, ich sage mal, Globalisierungsprozesse Angst machen.
Burg: Die Nationalisten wollen ja auch verhindern, dass der Film in der Türkei gezeigt wird, was Sie eben sagten. Halten Sie es denn für möglich, dass der Film irgendwann oder vielleicht sogar in naher Zukunft ganz regulär ins Kino kommt in der Türkei?
Akin: Ja, daran glaube ich ganz fest und wir arbeiten auch daran. Es gibt ja auch keine Zensur, die so was verbietet. Die Zensur in der Türkei, wenn sie denn mal benutzt wird, betrifft dann eher so Filme, die ein arg sexuelles Thema, also Lars von Trier mit „Nymphomaniac“, den hat es erwischt erstmals. Aber es gibt jetzt keine Zensurbehörde, die so einen Film verbieten würde.
Burg: Der Regisseur Fatih Akin, sein neuer Film „The Cut“ feiert am morgigen Sonntag in Venedig seine Premiere beim Festival und kommt dann am 16. Oktober auch bei uns in die Kinos. Fatih Akin, alles Gute für die Premiere und vielen Dank fürs Gespräch!
Akin: Danke auch, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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