Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Kritik, Macht, Kunst

Über fünf Jahrzehnte hinweg war er eine Schlüsselfigur der europäischen Kunstszene, besonders in Bezug auf die Künstler der Moderne. Die höchst komplexen Verflechtungen des Kunstkritikers Will Grohmanns zwischen Künstlern, Galeristen, Institutionen und Medien werden nun in der Ausstellung "Im Netzwerk der Moderne" der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dokumentiert.

Von Carsten Probst | 29.09.2012
    Will Grohmanns außergewöhnliche Karriere als Kunstkritiker verdankt sich vermutlich zwei historischen Momenten, in denen er als der richtige Mann am richtigen Ort erschien. Die Hochzeit der Moderne in Deutschland erlebte er in Dresden, der Stadt seiner Kindheit. Deren künstlerisches Fluidum hatte ihn schon immer geprägt, er selbst hatte sich zeitweilig neben seiner Anstellung als Lehrer auch als Maler betätigt und einige seiner Bilder im Umkreis der Dresdner Sezession ausgestellt.

    Vor allem aber war Grohmann als studierter Kunsthistoriker einer der wenigen Autoren, die in dieser Zeit überhaupt eine angemessene Sprache, einen Diskurs für die Moderne Kunst zu finden begannen. Verbreitet war in den ersten Jahren die Auffassung, die abstrakte Kunst eines Wassily Kandinsky oder Paul Klee oder der expressive Gestus eines Ernst Ludwig Kirchner entzögen sich der theoretischen Beschreibung. Kritiker galten Kandinsky als der größte Feind der Kunst schlechthin.

    So gesehen ist es schon bemerkenswert genug, dass Grohmann sehr früh zu all diesen Künstlern höchst lebendige, persönliche, vertrauensvolle Beziehungen aufbauen konnte und etliche Artikel bis hin zu großen Monografien über sie schrieb. Vor allem in den Jahren der Weimarer Republik, als die Moderne deutlich an Kraft verloren hatte, avancierte Grohmann zu einem für die Künstler selbst plötzlich sehr wichtigen Vermittler ihrer Ideen an die breitere Öffentlichkeit. Er wurde gesucht und gebraucht, denn gegen alle offensichtlichen Verfallstendenzen hielt er an den Idealen der Moderne fest. Und er war als Kommunikator und Netzwerker hochbegabt.

    So dokumentiert es auch eindrucksvoll die große Dresdner Ausstellung in der Kunsthalle im Lipsiusbau. Beispielhaft breitet Kuratorin Konstanze Rudert anhand von Kunstwerken die höchst komplexen Verflechtungen Grohmanns zwischen Künstlern, Galeristen, Institutionen und Medien aus - ein Netzwerk, dessen Vielfalt mitunter wie ein Machtinstrument erscheint, wenn es darum ging, bestimmte Künstler durchzusetzen, andere wiederum herabzusetzen. In der Ausstellung freilich erscheinen vornehmlich jene, die Grohmann gefördert hat, von Kandinsky über Klee, einige Maler der Dresdner Rezession, bis hin zu Otto Dix, den er als abstrakten Expressionisten noch schätze, zu dem sich das Verhältnis jedoch abkühlte, sobald Dix sich den figurativen Malern der sogenannten Neuen Sachlichkeit zugewandt hatte.

    Das zweite Momentum in Grohmanns Karriere ergab sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs, und die Voraussetzungen erscheinen in gewisser Hinsicht jenen ähnlich zu sein wie in den zwanziger Jahren. Wieder herrscht ein Moment geradezu epochaler Sprachlosigkeit angesichts der Katastrophe der eben erst besiegten Naziherrschaft, der zerstörten Städte und Millionen Opfer. Die Moderne Kunst, als "entartet" gebrandmarkt, hat viele ihrer Vertreter verloren, viele sind tot oder künstlerisch erledigt ins Exil gegangen.

    Wieder war es Grohmann, der zu dieser Zeit als einer der Ersten eine Sprache der kulturellen Vermittlung wiederfand. Er reaktivierte seine künstlerischen Netzwerke aus der Zeit vor 1933, wieder, so schien es, wurde er gebraucht. Auf der ersten Allgemeinen Dresdner Kunstausstellung bemühte er sich als Kurator um die Rehabilitierung der einst "entarteten" Künstler, musste jedoch erleben, dass nun in Ostdeutschland ein ganz anderer Stil gewünscht war, figürlich und antiintellektuell, ein Stil für das Volk, aufbauend auf dem proletarischen Realismus der Vorkriegszeit.

    Gebraucht wurde Grohmann dagegen offenkundig in Westdeutschland. Dort suchte man Anschluss an die kulturelle Weltgemeinschaft, und die neuen Kunstströmungen aus den USA mit Jackson Pollock und den anderen abstrakten Expressionisten der New York School schienen dort weiterzumachen, wo Kandinsky und Klee oder Kirchner in den zwanziger Jahren aufgehört hatten. Das Erbe der Moderne sollte zumindest Westdeutschland vor den Augen der Welt als geläuterten Staat rehabilitieren. Und Will Grohmann gehörte zu den prädestinierten Botschaftern dieser Zeit.

    Legendär ist sein dramatischer öffentlicher Streit mit dem Maler Karl Hofer in den 50er-Jahren um den Vorrang der Abstraktion gegenüber der figürlichen Malerei. Berüchtigt Grohmanns pauschale Abwertung der Kunst aus der DDR, die übrigens bis heute noch in den Äußerungen eines Gerhard Richter oder Georg Baselitz anklingt, die beide in den 60er-Jahren von Grohmann gefördert wurden.

    Und dazwischen? Die Nazizeit überstand Grohmann, auch dass legt diese sorgfältig recherchierte Ausstellung offen, in einer mitunter etwas willfährigen Form der Anpassung. Er brandmarkte nie die Moderne als entartet - aber verschanzte sich in seinen Artikeln gern hinter völkisch-rassischem Jargon der Zeit. Der interessante Katalog der Ausstellung fällt dazu kein moralisches Pauschalurteil: Doch vermerkt sei schon, dass Grohmann im Gegensatz zu den meisten von ihm verehrten Künstlern den Weg des geringsten Widerstands suchte.