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Ackern für die Welt

Als der Landwirtschaftsdirektor der OECD, Stefan Tangermann, im April die akute Nahrungsmittelkrise kommentieren sollte, machte er auch die Agrarforschung für den Mangel verantwortlich: Sie sei sträflich vernachlässigt worden, sagte er, da brauche man sich nicht zu wundern, dass die Farmer nicht mehr hinterherkämen, den Hunger der Weltbevölkerung zu stillen. Tatsächlich befindet sich die Landwirtschaft weltweit im Umbruch. Was kann die Agrarforschung hier realistischerweise leisten? Eine ganze Menge, meinten Experten, die unser Reporter im Norden Syriens, am Internationalen Agrarforschungszentrum Icarda, getroffen hat.

Von Gábor Paál | 20.07.2008
    Ein Fremder, der durch die Gegend von Qaryatein fährt, im Herzen Syriens, wird hinterher erzählen, er sei in der Wüste gewesen. Aber eigentlich handelt es sich um die Badia, - die Steppe – nur dass sie heute aussieht wie eine Wüste. Bauer Aimad Afara hat die Entwicklung selbst miterlebt.

    "Vor 50 Jahren gab es in dieser Gegend Bäume, Olivenbäume, Fruchtbäume und Gazellen. Inzwischen hat sich alles verändert. Das Land ist kahl geworden. Die Farmer fällen die letzten Bäume, um das Holz zu verbrennen, und da wo es noch geht, pflanzen sie Gerste an, als Futter für die Schafe. Der Wind trägt den Boden auf dem nackten Untergrund davon, und selbst wenn es mal ein bisschen mehr regnet, die Bäume kommen nicht zurück."


    Ackern für die Welt
    Agrarforschung am Rande der Wüste
    Von Gábor Paál


    "Die Agrarforschung wurde sträflich vernachlässigt. Jetzt wundert man sich, dass die Landwirtschaft nicht mehr hinterherkommt, den Hunger der Bevölkerung zu stillen."

    So hat es, kurz nach dem Ausbruch der jüngsten weltweiten Nahrungsmittelkrise der Landwirtschaftsdirektor der OECD Stefan Tangermann formuliert. Tatsächlich befindet sich die Landwirtschaft weltweit im Umbruch. Gute Ackerflächen werden knapp, in vielen Gegenden auch das Wasser. Die Nahrungsmittelpreise explodieren. Hat hier wirklich die Agrarforschung versagt?

    Es ist Anfang April, im Norden Syriens regnet es. Endlich. In den Tagen zuvor war der Himmel dunkelgelb vom Sand und Staub, den der Sturm in der erodierten Steppe aufgewirbelt und nach Westen verweht hatte. Es ist das Gebiet des fruchtbaren Halbmonds, des großen Bogens, der die syrische Steppe und Wüste umschließt und in der vor 10.000 Jahren das Zeitalter der Landwirtschaft begann. Zwar ist auch dieser Landesteil nicht gerade vom Regen verwöhnt, doch jetzt im Frühjahr ist es grün: Getreide, Kichererbsen, Koriander. Inmitten dieser Landschaft, rund 20 Kilometer südlich der Großstadt Aleppo, liegt das Internationale Agrarforschungszentrum für die Trockengebiete, kurz Icarda. Entlang des Zufahrtswegs zum Hauptgebäude: die Versuchsfelder. Der deutsche Agrarwissenschaftler Jürgen Diekmann managt sie, er arbeitet hier seit 26 Jahren.

    "Hier auf der Station gibt es 330 bis 350 Millimeter Niederschlag, das wäre in Deutschland für eine landwirtschaftliche Nutzung wenig, wenn nicht unmöglich. Hier reicht es aus, um normale Winterkulturen anzubauen. Aber es ist so, dass die Abstände zwischen relativ sicheren Gegenden, wo man Ackerbau ohne zusätzliche Bewässerung betreiben kann, und trockeneren Gegenden, wo so ein System schon fraglich wird, relativ kurz aufeinanderfolgen. Das heißt zwischen der Gegend, wo Oliven angebaut werden, bis zur Steppe sind es nur 150 Kilometer."

    Icarda ist eines von insgesamt 16 Forschungszentren, die rund um den Globus verteilt sind und von der Beratungsgruppe der Internationalen Agrarforschung betrieben werden. Jedes dieser Forschungszentren befasst sich mit bestimmten landwirtschaftlichen Schwerpunkten. Icarda ist für die Trockengebiete der Erde außerhalb der Tropen zuständig. Viele Forschungsaktivitäten konzentrieren sich auf die breite Steppen- und Wüstenzone, die sich von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Zentralasien erstreckt. In weiten Teilen Syriens regnet es sogar weniger als 200 Millimeter im Jahr. Ackerbau wäre hier nur mit Bewässerung möglich, aber der Grundwasserspiegel ist inzwischen so weit gesunken, die Steppe dermaßen kahl, dass die Regierung in dieser extrem trockenen Zone jeglichen landwirtschaftlichen Anbau untersagt hat. Schuld an dieser Entwicklung ist nicht der Klimawandel, sondern die Art, wie das Land bewirtschaftet wurde: Schuld, klagt Forschungsdirektor Maarten van Ginkel, sind die Schafe.

    "”Es ziehen hier also Millionen von Schafen durch wirklich trockene Gegenden, wo Farmer sonst auch nichts anbauen können, Gegenden mit 150 Millimeter Regen oder weniger. Und sie weiden und weiden und die Pflanzendecke kann sich nicht regenerieren. 15 bis 20 Prozent der Steppe hier im Nahen Osten gilt bereits als irreparabel verloren, wir können sie nicht wieder gewinnen.""

    Rund 15 Millionen Schafe gibt es alleine in Syrien. Ihre Zahl hat sich in den letzten Jahrzehnten vervierfacht. Van Ginkel:

    "”Die Zahl der Schafe und Ziegen ist noch stärker gewachsen als die Bevölkerung, und das hängt mit dem generellen Wohlstandswachstum zusammen. In China und Indien kann man das ja sehr schön sehen: Die beiden Länder haben ein starkes Wachstum, dadurch wächst die Mittelschicht, und dabei verändert sich die Nahrungszusammensetzung hin zu mehr Fleisch.""

    Besonders beliebt ist im Nahen Osten das Fleisch des in Syrien beheimateten Awassi-Schafs, erkennbar an seinem braunen Kopf und dem breiten Fettschwanz. Er hat für die Schafe eine ähnliche wasser- und fettspeichernde Funktion wie die Höcker von Kamelen. Im In- und Ausland lassen sich für das Awassi-Schaf gute Preise erzielen – für die Landwirte ein Anreiz, weiterhin auf Schafhaltung zu setzen. Schafe sieht man praktisch überall, nicht nur in der weiten Landschaft, sie weiden genauso an Straßenrändern und auf innerstädtischen Brachflächen, erzählt der Schafzuchtexperte am Agrarforschungszentrum, Luis Iñiguez.

    "”Den typischen Beduinen, der fortwährend unterwegs war von einem Ort zum anderen, den gibt es nicht mehr. Die Beduinen haben heute Lastwagen, packen die Schafe in den Laster und transportieren sie dorthin, wo es gerade etwas zu fressen gibt. Und natürlich, heute stehen sie die meiste Zeit nahe den Ackerflächen und nicht mehr so sehr in der Steppe, wo es früher etwas zu fressen gab.""

    Um die Verwüstung der Steppe aufzuhalten, laufen in Syrien, aber auch in Jordanien und dem Libanon einige Projekte mit dem Ziel, das Land wieder zu begrünen. Mitten in der sonst nackten Steppe stehen in Reih und Glied kleine Büsche. Atriplex heißt diese Steppenpflanze, die Blätter schmecken salzig, man kann daraus Salat machen. Angepflanzt hat sie der Ingenieur Pierre Hayek. Damit sie genug Wasser bekommen, hat er mit einer speziellen Maschine halbkreisförmige Furchen in den Hang gezogen, die das wenige Wasser sammeln, das nach einem Regen den Hang hinunterfließt. Hayek:

    "”Schauen Sie, die Büsche sind inzwischen 1,5 Meter hoch und drei Meter breit. Dort unten sind sie etwas niedriger, da ist aber auch die Hangneigung geringer, deshalb sammelt sich dort in den Furchen weniger Wasser, dadurch wachsen die Sträucher nicht so gut. Aber diese Sträucher sind immer grün, das ganze Jahr, und, wie Sie hier sehen, zwischen zwei der gepflanzten Sträucher wächst schon wieder ein neuer, das heißt die Sträucher vermehren sich auch von selbst.""

    Water harvesting nennt sich das Ganze: Wasser ernten. Das Anpflanzen der Sträucher soll, so die Hoffnung, den verhängnisvollen Kreislauf der Vergangenheit rückgängig machen und helfen, die Steppe wieder zu begrünen: Denn wo Pflanzen wachsen, wird der Boden beschattet und die Verdunstung gebremst. Die Sträucher stabilisieren außerdem den Boden und schützen ihn vor Wind und Regen. Das haben die Forscher in ihren Experimenten klar belegen können. Auf den unbepflanzten Flächen wird hundertmal mehr Boden erodiert als dort, wo die Sträucher stehen. Auch die Schafe mögen die Atriplex-Büsche, im Prinzip könnten sie ihnen also auch als Futter dienen – vorausgesetzt, es sind nicht zu viele Schafe und das Gleichgewicht bleibt gewahrt. Auf den Versuchsflächen in Syrien, Jordanien und im Libanon funktioniert das Verfahren. Die ortsansässige Bevölkerung verfolgt die Projekte mit Interesse, sieht aber auch die praktischen Hürden.

    "Man müsste die Gegend erst mal vor den Schäfern schützen, die ohne Erlaubnis mit ihren Schafen herumziehen. Sonst weiden die am Ende die ganzen Büsche viel zu schnell wieder ab. Auch die Projektflächen müssen ja bewacht werden. Denn die Schäfer kommen auch nachts, und ohne Wächter gäbe es Probleme."

    Diese Schwierigkeiten räumt auch Theib Oweis ein, der für die Wasserprojekte verantwortliche Direktor am Agrarforschungszentrum.

    "”Das Hauptproblem ist, dass die Farmer letztlich kein Interesse haben, in die Steppe zu investieren. Denn die Steppe gehört – wie auch in anderen Ländern des Nahen Ostens – dem Staat. Und die Bauern wollen verständlicherweise nicht Geld ausgeben für Maßnahmen auf Gebieten, die sie zwar zum Teil nutzen, ihnen letztlich aber nicht gehören. Und selbst dort, wo sie noch Landwirtschaft betreiben, lassen sie lieber die Schafe weiden oder pflanzen Gerste, die sie nach ein paar Monaten ernten und an die Schafe verfüttern können. Sie haben keinen Anreiz, aufwendig Furchen in die Hänge zu ziehen und Sträucher zu pflanzen. Oft haben sie auch gar nicht das Geld dazu.""

    Üblicherweise misst man in der Landwirtschaft den Ertrag in Tonnen pro Hektar. Doch je mehr man sich der Wüste nähert, desto wichtiger wird eine andere Größe: Der crop per drop: Wie viel Ertrag bekomme ich pro Tropfen Wasser? Am Agrarforschungszentrum Icarda werden viele Methoden ausprobiert mit Wasser sinnvoller umzugehen. Jürgen Diekmann, der Farm-Manager in Aleppo, nennt ein Beispiel:

    "Von besondere Bedeutung ist, dass die Pflanzenzüchtung doch schon darauf achtet, dass man hier an Sorten kommt, die nicht aufrechte Blätter haben, sondern waagerechte Blätter, für eine bessere Beschattung. Die Beschattung bewirkt, dass der Boden nicht so stark aufgeheizt wird, und außerdem wird dadurch auch die Windgeschwindigkeit an der Bodenoberfläche reduziert."

    Aber es gibt noch andere Züchtungsziele. Derzeit etwa setzt den Landwirten in Afrika und Asien ein Pilzerreger zu. Er tauchte erstmals 1999 in Uganda auf – und entsprechend heißt er: Ug99. Ein gefährlicher Weizenrost-Pilz, dem in mehreren Ländern Afrikas bereits weite Teile der Weizenernten zum Opfer fielen. Der Pilz übersät schönen grünen Weizen mit rotbraunen Pusteln, setzt sich an den Halm und unterbindet die Wasser- und Nährstoffversorgung der oberen Pflanzenteile – das Ergebnis sind Ähren ohne Körner, berichtet der Pflanzenpathologe Amor Yahyaoui.

    "In Kenia haben wir diese Saison bereits Ernteausfälle bis zu 40 Prozent, in Äthiopien müssen wir noch sehen. Und es ist nicht nur ein Weizenrost. Die meisten Rostarten sind zwar spezifisch, es gibt Gerstenrost, Weizenrost oder Grasrost. Aber Ug99 ist flexibel, er geht auf Gras, auf Weizen und auf Gerste, deshalb machen wir uns hier auch Sorgen um die Gerste, weil sie ein wichtiges Anbauprodukt hier in den Trockenzonen ist."

    Und die Sporen von UG99 können weit fliegen. Inzwischen haben sie es bis in den Iran geschafft. Dort wurde er im März festgestellt – und prompt schossen die Weizenpreise in die Höhe. Die Sorge ist nun, dass der Weizenrost sich weiter ausbreitet, bis in die Türkei oder nach Indien. Zwar gibt es seit Jahrzehnten Sorten, die gegen die klassischen Varianten des Weizenrosts resistent sind, doch das Tückische an Ug99 ist, dass er schnell mutiert und damit die Abwehr der resistenten Pflanzen überlistet. Yahyaoui:

    "Wir können seine vermutliche Ausbreitungsrichtung recht gut vorhersagen, weil wir Erfahrungen mit anderen Rost-Erregern haben. Dem Gelb-Rost etwa, der sich in den späteren 80er Jahren ausgebreitet hat. Auch der kam aus Ostafrika und ist dann im Verlauf der Jahreszeiten den Ostafrika-Graben entlang nach Norden gewandert. Und so war es jetzt auch mit Ug99. In Uganda tauchte er 1999 auf, in Kenia 2004, von Äthiopien hat er dann den Sprung auf die arabische Halbinsel in den Jemen geschafft und von dort in den Iran, schneller als wir dachten."

    Wenn der Erreger auftaucht, gibt es zunächst nur eine Sofortmaßnahme: Fungizide, Pilzgifte. Aber das ist keine Dauerlösung. Auch, weil Kleinbauern sich Fungizide nicht leisten können. Die Versuche, resistente Sorten heranzuzüchten, haben deshalb längst begonnen. Dabei hilft die Gen- und Samenbank des Agrarforschungszentrums.

    "”Hier sind es minus 20 Grad, man fühlt sich wie in einer riesigen Tiefkühltruhe, und hier, eingeschweißt in Aluminium, unsere Saatgutproben. So, wie wir es hier aufbewahren, sollte es 100 Jahre halten.""

    Es gibt viele Genbanken auf der Welt. Diese ist besonders wichtig, denn im Nahen und Mittleren Osten liegen die Ursprünge der Landwirtschaft. Am Icarda verwaltet der Australier Ken Street 130.000 verschiedene Sorten und Landrassen. Street:

    "70 Prozent dieser Saatgut-Proben stammen aus dem Gebiet des Fruchtbaren Halbmonds, wo die Landwirtschaft entstanden ist, wo der Mensch begonnen hat, Pflanzen gezielt zu selektieren. Hier begann die Zivilisation. Und in dieser Gegend gibt es, was die wichtigen Anbaupflanzen angeht, eine große genetische Vielfalt in den Kulturpflanzen, aber eine noch viel größere Vielfalt bei deren wilden Verwandten."

    Etliche der alten Gene sind bereits in neue Züchtungen eingeflossen. Auf den Versuchsfeldern, nur wenige Schritte vom eiskalten Lagerraum entfernt, wachsen sie heran. Die Felder sind in kleine Quadrate unterteilt. Auf jedem Quadratmeter wurde anderes Saatgut benutzt. Street:

    "Wir stehen hier im Feld, es sieht aus wie ein gewöhnlicher Acker. Aber dahinter steckt ein Riesenaufwand. Diese Proben, die wir hier anpflanzen, kommen aus 40 verschiedenen Ländern. Das heißt wir mussten in all diese Länder reisen, unzählige kleine Dörfer aufsuchen in irgendwelchen abgelegenen Bergen. Mein Hauptgebiet ist zum Beispiel Zentralasien und der Kaukasus, der auch ein wichtiges Zentrum der Pflanzenvielfalt ist. Zu Sowjetzeiten brach diese Vielfalt ein, denn die Landwirtschaft damals wurde zentral von Moskau aus gesteuert. Die Sowjets haben den Leuten gesagt, ihr müsst hier Baumwolle anpflanzen. Damit haben die Bauern aufgehört, ihr ursprüngliches Getreide anzubauen. Aber in kleinen entlegenen Gegenden gibt es noch Dörfer, die ihre alten Landrassen anbauen, und genau diese Sorten holen wir zu uns in die Genbank."

    Mit Saatgut aus der Genbank arbeitet auch Weizenzüchter Osman Abdalla, um Weizensorten zu züchten, die gegen den Rostpilz Ug99 resistent sind. 12.000 verschiedene Linien wurden schon getestet. Abdalla:

    "Wir sind zunächst mit unseren Proben dorthin gegangen, wo die Krankheit akut ist, also nach Äthiopien und Kenia. In die Hot Spots. Wir haben die Proben gepflanzt und sie damit dem Erreger ausgesetzt. Die, die sich als resistent erweisen, benutzen wir, um Saatgut herzustellen. Das ist sozusagen die Erste Hilfe. Der nächste Schritt wäre, diese resistenten Linien wieder mit den Sorten zu kreuzen, die auch an die lokalen Bedingungen angepasst sind. Und dieser Prozess braucht viel Zeit."

    Immerhin haben die Forscher bereits mehrere Linien identifiziert, die unempfindlich sind gegen den Weizenrostpilz. Und nachdem sie mit gerade einmal anderthalb Kilogramm Saatgut angefangen hatten, konnten sie inzwischen bereits 120 Tonnen erzeugen. Saatgut, das sie nun mehr als 100 Farmern zur Verfügung stellen, sowohl im Ursprungsgebiet der Krankheit, als auch dort, wo die Ausbreitungsfront verläuft. So hoffen sie, die Ausbreitung einzudämmen. Doch es ist ein Wettlauf mit der Zeit.

    In der Vergangenheit hat die Pflanzenzüchtung stetig Ertragssteigerungen gebracht. Allerdings lassen die Erfolge nach: In den 70er Jahren, im Zuge der Grünen Revolution, wuchsen die Erträge um drei bis vier Prozent pro Jahr. Jetzt sind es nur noch ein bis zwei Prozent - die Erdbevölkerung wächst schneller. So ist, insbesondere seit Ausbruch der aktuellen Nahrungsmittelkrise oft der Ruf nach einer neuen Agrarrevolution zu hören. Doch jeder versteht darunter etwas anderes: Die einen meinen damit einen Durchbruch der Grünen Gentechnik. Der Weltlandwirtschaftsrat dagegen glaubt, die Technisierung der Landwirtschaft sei an ihre Grenzen gestoßen. Im April forderte er stattdessen eine Stärkung regional angepasster Landbaumethoden und mehr regionale Vielfalt unter den Sorten. Denn das war eine der Schattenseiten der Grünen Revolution: Sie hat zwar die Getreide-Erträge deutlich gesteigert, mehr Menschen konnten ernährt werden. Sie führte aber auch zu einer Verarmung der Vielfalt. Diesen Trend will das Icarda jetzt umkehren.

    "Ich zeige dir ein Feld – so ein Feld wirst du hier in der ganzen Gegend nicht sehen."

    Muhammad Sahid Hadju lebt in dem kleinen Dorf Kerbit El Dieb im Norden Syriens. Auf dem Feld wachsen verschiedene Sorten Gerste. Eine sticht besonders hervor.

    "”Du kannst den Unterschied sehen zwischen den bisherigen Sorten hier und dieser neuen, und aus dieser Sorte hier werden wir weiteres Saatgut herstellen, für unser Dorf und für Bauern in einem Nachbardorf. Und diese Sorte wird 'Sahra' heißen – Blüte.""

    Kerbit El Dieb ist eines von mehreren Dörfern im Land, das Salvatore Ceccarelli für sein Projekt ausgewählt hat. Er züchtet Gerste zusammen mit den einheimischen Farmern. Ceccarelli ist Pflanzenzüchter am Internationalen Agrarforschungszentrum für die Trockengebiete. Das Gerstenzüchtungsprojekt hier im Dorf geht nun ins dritte Jahr. Ceccarelli:

    "”Wir haben 160 verschiedene Typen Gerste zur Verfügung gestellt. Die säen wir aus und die Bauern sehen dann bald die Ergebnisse: Wie hoch die Pflanzen wachsen, welchen Ertrag sie bringen, ob sie trockene Perioden überstehen oder nicht. Auf dieser Grundlage entscheiden sie, mit welchen Linien sie weiter arbeiten wollen. Und so stellt sich über die Jahre heraus, welche Sorten sich auf Dauer bewähren. Manchmal sagen sie schon nach einem Jahr, diese Sorte wollen wir haben, dann müssen wir sie ein bisschen bremsen, weil es in dieser Gegend doch sehr große Schwankungen gibt. Es gibt Jahre mit mehr Niederschlag und richtig trockene Jahre so wie jetzt. Deshalb ist es gefährlich, sich bereits nach einem Jahr endgültig auf eine Sorte festzulegen.""

    Ceccarelli:

    "Schauen Sie, diese Sorte hier ist im Schnitt wahrscheinlich nicht so ertragreich – aber für Dürreperioden wie in diesem Jahr scheint sie perfekt zu sein. Nächste Woche bin ich auf einer Konferenz in Ägypten und wenn ich da sage, wir haben solche Pflanzen bekommen bei nur 120 mm Niederschlag, wird mir das keiner glauben."

    Wenn Ceccarelli in die Dörfer kommt, ist er ein willkommener Gast. Nach der Feldbesichtigung wird er in den kleinen Gemeinderaum eingeladen. Ein traditioneller Raum ohne Stühle und Tische, nur mit Teppichen und eine paar Polstern. Die wichtigsten Farmer des Dorfes sitzen mit Ceccarelli im Kreis. Tee wird gereicht, anschließend ein Mittagessen. Und bei der Gelegenheit erläutert Ceccarelli seine nächsten Pläne: Er will die Bauern aus den verschiedenen Ländern, in denen er arbeitet, zu einer Konferenz zusammenbringen, wo sie ihre Erfahrungen austauschen können. Ceccarelli will einige der Fehler der Vergangenheit korrigieren. Die Hochleistungssorten, die die Grüne Revolution hervorgebracht hat, erklärt er auf der Rückfahrt, bringen nur dann etwas, wenn man sie im Paket mit Düngern und Pflanzenschutzmitteln einsetzt. Das kostet Geld, das konnten sich nur große und reiche Farmer leisten, die Kleinbauern blieben dabei oft auf der Strecke. Ceccarelli:

    "”Die Schwächen der Grünen Revolution sind die Folge einer Züchtung, die nur an Forschungsstationen betrieben wurde. Aber dieses Feld, das wir gerade gesehen haben, sieht ja ganz anders aus als etwa die Flächen auf unserer Forschungsstation. Der Boden ist anders, die Bewirtschaftung ist anders, alles ist anders. Wir denken deshalb, dass es viel besser wäre, Sorten an möglichst vielen Orten zu selektieren, um die Umwelt widerzuspiegeln, in der die entsprechende Pflanze angebaut wird.""

    Wenn die Pflanzen so gezüchtet werden, dass sie perfekt an die jeweiligen Standorte angepasst sind, sei dies auch eine Chance, mit weniger Dünger und Pflanzenschutzmitteln auszukommen, meint Ceccarelli. Seine Projekte hat er bereits auf fünf weitere Länder ausgedehnt, und er bekommt viele Anfragen von Vietnam bis Simbabwe. In Vietnam zum Beispiel wollen Wissenschaftler so Reis züchten. Nicht begeistert sind dagegen die großen Saatgutkonzerne. Ceccarelli:

    "”Sie freuen sich nicht gerade darüber. Sie wollen lieber möglichst viel Saatgut von möglichst wenigen Sorten herstellen. Also genau das Gegenteil von dem, was ich erreichen will. Im Moment kommen wir uns noch nicht allzu sehr in die Quere, da Weizen und Gerste eher ein Nebengeschäft sind. Die Konzerne wären viel besorgter, wenn ich auf diese Weise mit den Bauern Mais züchten würde, denn da machen sie ihr großes Geld.""

    "Aber Sie könnten das gleiche mit Mais machen?"

    "Genau das habe ich auch vor: in Zimbabwe. Dann werden die Saatgutfirmen am Ende vielleicht doch noch sauer auf mich."

    Besteht also die notwendige Agrarrevolution in einer solchen Rückkehr zu regional angepassten Pflanzensorten? Oder ist die aktuelle Nahrungsmittelkrise nicht doch Anlass, neu über die Gentechnik nachzudenken? Am Internationalen Agrarforschungszentrum in Aleppo versucht man beides. So züchtet der deutsche Molekularbiologe Michael Baum mit Hilfe der Gentechnik unter anderem trockenheitstolerante Linsen und Kichererbsen. Einen Widerspruch zu einer regionalen Sortenvielfalt, wie sie der Weltlandwirtschaftsrat fordert, sieht er nicht: Baum:

    "Eine erfolgreiche Sorte hat häufig das Schicksal zu erleiden, dass sie über Millionen von Quadratkilometern angebaut wird und das dann zwangsläufig dazu führt, dass Schaderreger die Resistenzen in der Kulturpflanze überwinden und zu einem Zusammenbrechen der Sorte führen. Das ist so sowohl bei Produkten, die aus der konventionellen Pflanzenzüchtung stammen, wie eben auch bei Gen-Produkten, von daher ist das kein Widerspruch."

    Neue Gene lassen sich im Prinzip auch in die verschiedenen regionalen Sorten einkreuzen, meint Michael Baum. Doch auch er kennt die Negativ-Schlagzeilen, die es im Zusammenhang mit der Grünen Gentechnik immer wieder gibt: Beim herbizidresistenten Mais in Nord- und Südamerika oder der schädlingsresistenten Baumwolle in Indien: Landwirte, die in ruinöse Abhängigkeit geraten von multinationalen Saatgutkonzernen, die ihrerseits mit zum Teil völlig überzogenen Versprechen auf den Markt drängen und sehr aggressiv ihre Patente ausspielen. Das habe jedoch nichts mit der Technik als solcher zu tun, meint Michael Baum: Die Probleme entstünden vielmehr dadurch, dass die Techniken und die wichtigen Patente fast ausschließlich in privater Hand lägen. Gerade deshalb sollten sich in Zukunft öffentliche Forschungseinrichtungen mehr in der gentechnischen Forschung engagieren und selbst verstärkt Patente anmelden. Baum:

    "Die privatwirtschaflichen Unternehmen, insbesondere die Multinationals haben mittlerweile verstanden, dass sie letzten Endes Produkte verkaufen wollen und auch abhängig sind von der öffentlichen Meinung. Von daher hat sich seit einigen Jahren ihr Verhältnis insbesondere auch zu Forschern in öffentlichen Forschungsinstituten geändert. Es gibt eine Reihe von Kooperationen, wo die Multinationals den öffentlichen Forschungsinstituten Technologien zur Verfügung stellen, um auch im Bereich Grüner Gentechnik Produkte zu entwickeln, die einen Beitrag leisten zur Verbesserung der Trockenheits- oder Salztoleranz."

    Tatsächlich ist die Entwicklung trockenheitstoleranter Pflanzen das nächste große Etappenziel, das sich die gentechnische Forschung vorgenommen hat. Allerdings ist es auch kein leichtes Ziel: Bei den bisher vorherrschenden Gen-Pflanzen, etwa dem herbizidresistenten Mais oder der schädlingsresistenten Baumwolle, war immer nur jeweils ein zusätzliches Gen im Spiel. Trockenheitstoleranz ist jedoch eine Eigenschaft, die von einer ganzen Reihe von Genen kontrolliert wird, und die sind bisher nur zum Teil bekannt. Deshalb dauert die Entwicklung hier wesentlich länger.

    Nur auf technische Innovationen zu setzen, wird allerdings die Probleme der Landwirtschaft nicht lösen. Die Agrarexperten in Aleppo befassen sich deshalb auch mit den sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Denn was nützen die besten Techniken, wenn ein erheblicher Teil der Bevölkerung nur einen unzureichenden Zugang zu Bildung hat? Was nützt es, wenn neue, bessere landwirtschaftliche Methoden mit dem traditionellen Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen kollidieren. Und was nützen effiziente Agrarsysteme, wenn der Weltmarkt von Subventionen und Zöllen bestimmt wird? Forschungsdirektor Maarten van Ginkel:

    "Wenn ich eine neue Entwicklung voranbringe, die mehr Ertrag erzielt und dann fällt der Preis, dann erzielen sie vielleicht mit dem doppelten Ertrag trotzdem nur genauso viel wie vorher, warum sollten sie also weitermachen? Die Konsumenten wollen niedrige Preise, die Farmer hohe Preise, und mit diesen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben wir viel zu tun."

    Die internationale Agrarforschung sei über Jahre sträflich vernachlässigt worden, jetzt wundere man sich, dass die Landwirtschaft nicht mehr hinterherkomme, den Hunger zu stillen. Dieser Satz von OECD-Landwirtschaftsdirektor Tangermann stimmt nur zum Teil. Richtig ist: Für die Internationalen Agrarforschungszentren wie Icarda ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, ihre Projekte zu finanzieren. Richtig ist auch, dass die jüngsten Preisexplosionen auf ungelöste Probleme verweisen: Es gab Erntezusammenbrüche durch eine Dürre in Australien oder Schädlinge wie UG99. Auch werden weltweit gute Anbauflächen knapp wegen des wachsenden Fleischkonsums und dem Anbau von Biospritpflanzen. Doch daneben gab es hausgemachte Probleme: In Ägypten sind die Weizenpreise vor allem deshalb gestiegen, weil Bäckereien das staatlich subventionierte Weizenmehl in großem Stil zu Wucherpreisen weiterverkauft haben.

    Diese Rahmenbedingungen kann die Agrarforschung nicht ändern. Doch auf lange Sicht werden die globalen Herausforderungen – das Bevölkerungswachstum in Verbindung mit den Umweltveränderungen – ohne Fortschritte in der Landwirtschaft kaum zu bewältigen sein.