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Synthetische Doppelgänger

Medizin.- Der menschliche Körper verfügt über viele Mechanismen, um mit Fremdstoffen umzugehen: Der Leberstoffwechsel baut Chemikalien ab, das Immunsystem entsorgt größere Partikel. Problematisch daran ist nur, dass mitunter auch medizinische Wirkstoffe schnell entfernt werden.

Von Volkart Wildermuth | 15.12.2009
    Rote Blutkörperchen faszinieren den Materialforscher Samir Mitragotri von der Universität im kalifornischen Santa Barbara. Sie sind effiziente Transportvehikel. Viele Bestandteile normaler Zellen, der Kern, die Zellkraftwerke, fehlen. Übrig bleibt eigentlich nur eine dünne Hülle, vollgestopft mit der Nutzlast, dem Hämoglobin. In den Lungen bindet der rote Blutfarbstoff Sauerstoff, den er im Gewebe wieder abgibt. Um jeden Winkel des Körpers zu erreichen, zwängen sich die roten Blutkörperchen noch durch die engsten Gefäße, Kapillaren deren Durchmesser kleiner sind als sie selbst. Trotz der ständigen Verformungen sind rote Blutkörperchen außerordentlich stabil. Die klassischen Medikamentenfähren der Pharmakologen können da nicht mithalten, meint Samir Mitragotri

    "Die aktuellen Systeme haben Probleme, längere Zeit im Körper zu bleiben, sie werden schnell von den Immunzellen entsorgt. Rote Blutkörperchen bleiben dagegen über Monate stabil. Unser Ansatz war, künstliche Strukturen nach dem Vorbild der roten Blutkörperchen zu erzeugen. So wollen wir das Immunsystem austricksen. Solche bioähnlichen Strukturen sollten neue Möglichkeiten für die Medikamentengabe eröffnen."

    Rote Blutkörperchen sind gleichzeitig hochflexibel und hochstabil. Diese Kombination verdanken sie ihrer besonderen Form. Sie sehen ein bisschen aus wie Donuts, rund, mit dickem Rand und eingedrückter Mitte. Diese Form erzeugte Samir Mitragotri in mehreren Schritten. Ausgangspunkt waren hohle Kügelchen aus biokompatiblem Kunststoff. Mit einem Lösungsmittel wurden sie aufgeweicht, bis sie sich eindellten und die Donutform annahmen. Diese Rohlinge wurden dann abwechselnd mit Hämoglobin und einem Bindeeiweiß beschichtet. Nach neun Doppellagen vernetzen die Forscher die Proteine chemisch miteinander. Zu guter letzt wurde der Kunststoffrohling aufgelöst, zurück blieb eine leere Proteinhülle, die unter dem Mikroskop die typische Donutform der roten Blutkörperchen zeigte. Und nicht nur das, die mechanischen Eigenschaften der synthetischen Blutkörperchen ähnelten ihrem natürlichen Vorbild.

    "Wir haben sie durch dünne Glasröhrchen strömen lassen, enger als ihr eigener Durchmesser. Dabei verformen sie sich genauso wie die roten Blutkörperchen in den Kapillaren im Körper. Sie haben also die richtige Größe, die richtige Form und die richtige Flexibilität."

    Was sich damit anfangen lässt, muss ich erst noch zeigen. In Reagenzglasexperimenten probierte Samir Mitragotri verschiedene Möglichkeiten aus. Als erste natürlich den Transport von Sauerstoff. Allerdings bindet das chemisch vernetzte Hämoglobin in der Hülle der künstlichen roten Blutkörperchen kein Gas mehr. Deshalb mussten die Forscher die leeren Donuts mit frischem Hämoglobin füllen.

    Eine andere Nutzlast für die künstlichen roten Blutkörperchen sind Medikamente. Einmal befüllt, geben sie verschiedene Wirkstoffe über Tage kontinuierlich ab. Auch Kontrastmittel für die Darstellung von Blutgefäßen in der Magnet-Resonanz-Tomographie lassen sich mit den Donuts aus dem Labor stabilisieren.

    Der Materialforscher Samir Mitragotri sieht viele Möglichkeiten. Der wahre Test für seine künstlichen roten Blutkörperchen steht aber noch aus: Noch hat er sie keinem Versuchstier gespritzt. Ob sie im Körper halten, was sie im Reagenzglas versprechen, ob sie dem Abwehrsystem und dem Stoffwechsel wie die echten roten Blutkörperchen gewachsen sind, das wird sich erst in einigen Monaten zeigen.