Koen Peeters: "Der Menschenheiler"

Der Kongo mal nicht als Herz der Finsternis

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Buchcover zu Koen Peeters: "Der Menschenheiler"
In "Der Menschenheiler" von Koen Peeters erscheint der Kongo als ein Ort, an dem es sich durchaus leben lässt - trotz der Gewalt. © Deutschlandradio / Osburg Verlag
Von Tobias Lehmkuhl · 08.05.2021
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In "Der Menschenheiler" erzählt Koen Peeters von der Reise zweier Männer in den Kongo in den 50ern, als das Land sich gerade vom belgischen Kolonialismus befreit, und 50 Jahre später. Ein untergründig spannender Roman frei von Klischees.
In Deutschland erreichen uns wenige Gegenwartsromane aus Belgien und noch seltener Bücher, die im Kongo spielen. Koen Peeters' "Der Menschenheiler" entwirft sowohl ein Bild Westflanderns als auch eines von jenem westafrikanischen Staat, der einst Zaire hieß.
Außerdem spielt "Der Menschenheiler" in zwei Zeiten. Auf der einen Seite verfolgen wir das Schicksal von Remi, der nach dem Zweiten Weltkrieg in der Westhoek auf einem Bauernhof aufwächst und als Jugendlicher in einen christlichen Orden eintritt, um auf diese Weise gegen Ende der 50er-Jahre in den Kongo zu gelangen.

Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs

Auf der anderen Seite gibt es eine Gegenwartshandlung. In dieser reist ein Student Remis, der im späteren Leben Ethnologe und Psychotherapeut geworden ist, in den Kongo, um sowohl für eine ethnologische Studie über das Krokodilmotiv als auch über die Vergangenheit Remis zu forschen.
"Der Menschenheiler" ist ein seltsames Buch, weil es so viele scheinbar disparate Elemente vereint. Da wäre zu Beginn die ausführliche und intensive Beschreibung der harten und wortkargen bäuerlichen Nachkriegswelt, in der untergründig auch der Erste Weltkrieg noch nachwirkt.
Immer wieder heben die Pflüge Knochen und Granaten des verheerenden Stellungskriegs aus dem Boden Westflanderns. Auch die Geschichten aus jener Zeit hallen nach, vor allem die eines schwarzen Soldaten. Sie macht auf Remi einen solchen Eindruck, dass er die Priesterlaufbahn wählt, um auf diesem Weg in die Heimat des Soldaten zu gelangen.
Der Kongo der späten Fünfzigerjahre wird als einer des Aufbruchs beschrieben, einer hoffnungsvollen Zeit in der die Fesseln des belgischen Kolonialismus abgestreift werden. Der Kongo des 21. Jahrhunderts, den Remis Schüler 50 Jahre später aufsucht, ist genauso wenig das viel beschworene Herz der Finsternis, sondern durchaus ein Ort, an dem sich leben lässt, wenngleich er sich auch in einer Phase gewaltsamer Auseinandersetzungen befindet.

Esoterische Schlagseite

Die politische Geschichte bildet freilich nur den Hintergrund für die Suche zweier Männer nach sich selbst und ihrer eigentlichen Berufung. Wo Koen Peeters den Kongo frei von Klischees beschreibt, ohne ihn wie so viele andere Reisende und Schriftsteller im Gefolge Joseph Conrads raunend zu mythisieren, gewinnt die Geschichte von Remi im Laufe der Zeit nichtsdestotrotz esoterische Schlagseite.
Schon als Junge auf dem Bauernhof hört Remi eine Stimme, die ihm immer wieder den Satz zuflüstert: "Die Menschen heilen". Um aber zu heilen, so kann man den Roman verstehen, muss sich Remi erst einmal selbst erkennen.
Unwiderstehlich zieht es ihn zu den Yaka, einer Volksgruppe südwestlich von Kinshasa. Bei ihnen angekommen, erkennt er sich und erkennen die Yaka ihn als eine Art Reinkarnation des schwarzen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, von dem ihm sein Onkel in der Westhoek immer wieder erzählt hat.
Auch wenn man solchen Wendungen skeptisch gegenübersteht, besitzt der Roman von Peeters fraglos eine untergründige Spannung. Sprachlich souverän, auch souverän übersetzt von Stefan Wieczorek, und formal klar im Aufbau, zieht er seine Energie nicht aus einer vordergründigen Handlung, sondern aus dem unspektakulären, aus zwei Perspektiven inszenierten Nachvollzug jener Suchbewegung, die Remi und seinen Studenten in den Kongo und zurück nach Belgien führt.

Koen Peeters: "Der Menschenheiler"
Aus dem Niederländischen von Stefan Wieczorek
Osburg Verlag, Hamburg 2021
352 Seiten, 24 Euro

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