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Weihnachtsvorlesungen
Knalleffekte zum Jahresende

Nicht nur an der Universität Leipzig gehört sie zur Tradition: die Weihnachtsvorlesung. Spektakuläre Experimente in weihnachtlicher Atmosphäre sollen die Studenten unterhalten - und sie nachhaltig für ungeliebte Fächer wie beispielsweise Chemie begeistern.

Von Claudia Euen | 18.12.2014
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Bei den Weihnachtsvorlesungen wird zum Beispiel chemisches Halbwissen unter die Lupe genommen (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Der Traum aller Professoren: Vor dem Chemie-Hörsaal hat sich eine Traube gebildet. Hunderte Studierende und Interessierte versuchen einen Platz in der Vorlesung zu ergattern, doch für viele bleibt es beim Versuch. Denn drinnen ist es längst knackevoll.
    Laute Musik dröhnt. Eine junge Frau verteilt Glühwein in Pappbechern. Schnell ist klar: Das hier hat nichts mit regulärem Uni-Alltag zu tun. Alle sind in Partylaune, zur Einstimmung werden Weihnachtslieder gesungen und in Alkohol getränkter Würfelzucker verschenkt. Dann endlich: Chemie-Professor Harald Krautscheid betritt den Saal: Er wird wie ein Rockstar begrüßt.
    "Spinat enthält keine 35 Gramm Eisen, je 100 Gramm. Aber auch 3,5 Gramm ist noch ein bisschen zuviel für Spinat, denn sonst würde sich jeder Schrotthändler Spinat anbauen."
    Rund eine halbe Stunde witzelt sich Krautscheid durch die deutsche Medienlandschaft. Wochenlang hatte er Zeitungsartikel, soziale Netzwerke und Literatur durchforstet - auf der Suche nach chemischem Halbwissen. Ihm geht es um die Sprache der Chemie. Für Laien mögen diese oder jene Molekülverkettungen plausibel klingen, die Experten im Saal aber sind sich einig: alles grober Unfug. Es wird gelacht, geklatscht, selbstgedrehte Videos eingespielt, dann geht das Spektakel los. 17 Studierende und Doktoranden sollen ein chemisches Rätsel lösen. Dafür schlüpfen sie in verschiedene Rollen, mixen Chemikalien, hantieren mit Feuer und Bunsenbrenner und verzaubern den Hörsaal in eine Wunderwelt.
    Seit den 1950er-Jahren Teil des Lehrplans
    Es knallt und stinkt. Trockeneis wird zum Leuchten gebracht, kleine Feuerkugeln wandern an der Decke und am Boden entlang, klare Flüssigkeiten leuchten plötzlich neonorange oder azurblau. Die Welt der Chemie - faszinierend und magisch. Aber nicht nur, dass sie ihr eigenes Fach verehren und auf die Schippe nehmen, sie kratzen auch am System der Universität.
    "Also ich hab da ja Null verstanden, also weil Putin in der Ukraine ein Sack Reis umschmeißt, kommt von Russland über die Pipeline kein Geld mehr, deswegen muss Hannibal Rektor Synchron-Spitzendeckchen-Häkeln streichen und die Germanisten: Ich glaube, die wollen jetzt im Prüfungsamt noch mehr Leute einsetzen, um besser kürzen zu können, oder so was. Oh man kann man hier nicht in Ruhe schlafen, nur fünf Minuten Pause am Tag. Man schläft doch nicht auf einer Bank. Als unterbezahlter Doktorand schon."
    Auch wenn kein Prüfungsstoff enthalten ist: Die Weihnachtsvorlesung gehört in Leipzig seit den 1950er-Jahren zum Lehrplan. Aber auch andere Universitäten feiern diese Tradition. Wenn die Hochschule Zweibrücken zur Star-Trek-Weihnachtsvorlesung einlädt, reisen aus ganz Deutschland Fans in passender Kostümierung an. Es gibt dampfende Cocktails, Föderationsbrezeln und einen Klingonisch-Kurs. An der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurde schon zu Musik von Michael Jackson und Elvis gewippt, um über Süchte und Krankheiten der Stars zu berichten. Wissenschaft salonfähig machen - gerade die Chemie habe das nötig, sagt Professor Krautscheid.
    "Es ist eine Unterhaltungsveranstaltung und dient gleichzeitig dazu, dass die Besucher auch ein bisschen anders über Chemie denken. Denn oft hat man ja auch den Eindruck, sobald das Wort Chemie irgendwo fällt, dann redet man von Gift, Schäden und Umweltproblemen. Dass da auch was anderes dahintersteckt, dass Experimente was Ästhetisches haben und dass das Ganze sehr viel Spaß machen kann, das ist natürlich ein wichtiger Punkt."
    Am Ende brennt der Weihnachtsbaum
    Spaß steht auch für Karl Striegler an erster Stelle. Seit über fünf Jahren organisiert er das Kult-Event, dass jährlich fünf Mal mit wechselnden Professoren zur Aufführung kommt. Monate vorher plant, bastelt und probt er im Team, das macht süchtig, sagt der 27-Jährige.
    "Das macht ein Heidenspaß. Wenn man mal so eine kleine Flamme auf der Hand stehen hat oder mit seinen Fingern schnipst und dann kommen Funken raus, das macht einfach Fetz. Also die wenigsten von uns, die mitmachen, hören das Jahr danach wieder auf, sondern wollen immer weitermachen, weil auch die Experimente so viel Spaß machen."
    Auch die Zuschauer sehen das so, selbst als am Ende der Weihnachtsbaum brennt.
    "Das war doch alles ziemlich cool. Spektakulär. Das wünscht man sich als Ersti vom Chemiestudium. Coole Experimente. Ich war auch total begeistert. Was man sich da alles einfallen lassen kann, ist ziemlich beeindruckend und ich freu mich auf nächstes Jahr."
    Dann heißt es wieder überpünktlich sein, sonst ist der Hörsaal voll und Weihnachten muss ohne Knall und Rauch beginnen.
    Weitere Veranstaltung:
    "Wie viel Einstein steckt in Star Trek?" - Star-Trek-Weihnachtsvorlesung
    Donnerstag, 18.12.2014, 19 Uhr, HS-Campus Zweibrücken, Audimax