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Keine Einigung beim Briten-Rabatt in Sicht

Seit 1979 bekommt Großbritannien einen zeitlich unbegrenzten Rabatt auf seine EU-Beiträge. Schluss damit, fordern Italien und Frankreich. Recht haben sie, meint der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU) - sieht London aber in einer "sehr starken Verhandlungsposition".

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 09.11.2012
    Christoph Heinemann: Wahlfreiheit für verantwortungsvolle Eltern, das haben wir gerade eben gehört. Jetzt geht es weiter mit einem anderen Haushaltsschauplatz. Vertreter der 27 EU-Regierungen und des Europaparlaments versuchen heute, ihren Streit über den Haushalt der Union für das kommende Jahr zu beenden. Das kann allerdings dauern, nach guter europäischer Art. Die Positionen beider Seiten liegen so weit auseinander, dass man mit einem Ergebnis frühestens in der kommenden Nacht rechnen kann.
    Damit zunächst nichts zu tun hat ein Vorschlag aus Paris und Rom. Frankreich und Italien wollen den milliardenschweren Rabatt für britische EU-Beiträge kappen. Den hatte einst Premierministerin Margaret Thatcher mithilfe ihrer Handtasche herausgeschlagen – das war 1979. Und auch später hatte sie immer wieder betont:

    O-Ton Margaret Thatcher:

    Heinemann: "Wir wollen unser eigenes Geld zurück!" – über diesen Rabatt wollen wir sprechen mit Markus Ferber, dem Abgeordneten des Europaparlaments und CSU-Politiker. Guten Tag!

    Markus Ferber: Schönen guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Ferber, wird sich David Cameron eine Handtasche zulegen?

    Ferber: Ich glaube nicht, dass er eine Handtasche nehmen wird, aber er wird natürlich mit dem Beschluss des britischen Unterhauses im Gepäck zu den Verhandlungen zum mehrjährigen Finanzrahmen nach Brüssel reisen, und deswegen gehe ich nicht davon aus, solange hier keine Verhandlungsbereitschaft signalisiert wird, dass eine Einigung überhaupt möglich ist.

    Heinemann: Ist der britische Rabatt gerechtfertigt?

    Ferber: Er war in den 80er-Jahren sicherlich gerechtfertigt, wo die Agrarlinie der größte Haushaltsposten der Europäischen Union war, mit weit über 50 Prozent. Er ist jetzt nicht mehr zu rechtfertigen, weil wir eine ganz andere Konstellation haben. Wir haben auch im Zusammenhang mit der Integration der Länder Mittel- und Osteuropas darauf hingewiesen, dass sich hier Großbritannien nicht aus der Solidarität verabschieden kann, und deswegen ist der Briten-Rabatt im Jahr 2013 nicht mehr zu rechtfertigen.

    Heinemann: Inwiefern eine andere Konstellation?

    Ferber: Zum einen ist die Agrarleitlinie nicht mehr prozentual von der Bedeutung für den Gesamthaushalt. Zum anderen haben wir eine vollständige andere Agrarpolitik, die nicht mehr in Marktorganisationen, sondern in Flächenprämien sich darstellt. Und zum Dritten können wir nicht einem Land einen Rabatt geben, das selber, wenn es um die Erweiterung der Europäischen Union geht, möglichst viele möglichst schnell in die EU bringen will, dann aber sich aus der Finanzierung verabschiedet. Und das sind alles Punkte, die 1984 nicht auf der Tagesordnung standen.

    Heinemann: Es ist allerdings nicht erkennbar, dass sich die Briten diesen Argumenten beugen werden.

    Ferber: Die Briten haben natürlich den Vorteil, dass der Beschluss, der damals zugunsten Großbritanniens gefasst wurde, nicht zeitlich begrenzt ist, sodass sie auf einem Automatismus bestehen können, und das macht die Verhandlungen sehr schwierig. In der Frage des Briten-Rabattes ist in der Tat Großbritannien in einer sehr starken Verhandlungsposition.

    Heinemann: Herr Ferber, war es politisch klug, jetzt von Franzosen und Italienern, das nun in einer Zeit vorzuschlagen, in der Cameron – Sie haben das angesprochen – wegen des EU-Beitrags das Wasser bis zur steifen Oberlippe steht?

    Ferber: Ich will mich da nicht einmischen. Aber strategisch kann man sich schon die Frage stellen, ob zum jetzigen Zeitpunkt eine zusätzliche Belastung der Verhandlungen von zweien, die sich ja zum Klub der Freund der Kohäsion, also für Ausgabensteigerungen ausgesprochen haben, das richtige Signal aussendet. Wir können ja nicht auf der einen Seite von den Mitgliedsstaaten verlangen, Sparhaushalte vorzulegen, die nur mühsam durch die Parlamente gehen, wie wir jetzt in Griechenland erlebt haben, und auf europäischer Ebene würden wir dann mit den Spendierhosen durch die Lande fahren. Auch Europa muss seinen Sparbeitrag leisten. Und von daher ist diese Position, die die Italiener und die Franzosen formuliert haben, nicht dazu angetan, eine Einigung schneller herbeizuführen.

    Heinemann: Welche Haltung sollte die Bundesregierung da einnehmen?

    Ferber: Ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland eine sehr vernünftige Positionierung vorgenommen hat. Auch sie weist darauf hin, dass im europäischen Haushalt Einsparpotenzial vorhanden ist. Aber sie steht zu den Verpflichtungen, die wir in verschiedenen Gesetzesbereichen eingegangen sind: sei es die Agrarpolitik, sei es die Förderung schwächerer Regionen in der Europäischen Union, sei es die Forschungspolitik. Diese Dinge müssen finanziert werden, weil wir sonst Wettbewerbsfähigkeit verlieren, und von daher halte ich die Position der Bundesregierung, zwar zu sparen, aber nicht alles infrage zu stellen, für eine sehr ausgewogene und für eine zielführende.

    Heinemann: Charles de Gaulle wollte Großbritannien immer aus der Europäischen Gemeinschaft, der späteren Union, heraushalten. Hatte der französische Präsident recht?

    Ferber: Das ist eine Frage, die ich mir momentan auch immer wieder stelle, weil Großbritannien an vielen Stellen von Europa ganz massiv profitiert, von dem gemeinsamen Markt, von der Öffnung Richtung Mittel- und Osteuropa, aber nicht bereit ist, die Verantwortung dafür zu übernehmen, und deswegen müssen die Briten irgendwann für sich die Frage beantworten, ist das wirklich die Gemeinschaft, in der sie sein wollen, oder nicht. Und wir können nicht bei allen Themen – wir haben jetzt das Thema Finanzmarktregulierung auf der Tagesordnung, wir haben das Thema Finanztransaktionssteuer auf der Tagesordnung -, wo überall die Briten blockieren, ob sie wirklich im richtigen Klub noch sind. Man kann nicht nur die Vorteile haben, die Rosinen sich herauspicken, und ansonsten sagen, da mache ich nicht mit.

    Heinemann: Ein anderes Thema noch: Vertreter der Troika aus EU-Kommission, aus Europäischer Zentralbank, der EZB, und des Internationalen Währungsfonds, des IWF, verhandeln heute auf Zypern über weitere Notkredite. Unter welchen Bedingungen sollte der Insel geholfen werden?

    Ferber: Ich glaube, hier muss die Spielregel gelten, die bisher gegolten hat, auch was die Rekapitalisierung spanischer Banken betrifft: Wer Mittel aus dem Rettungsschirm in Anspruch nehmen will, der muss sich einem entsprechenden Programm unterwerfen. Ich halte es für abenteuerlich, wenn hier versucht wird, eine Restrukturierung der zypriotischen Banken dadurch zu erreichen, dass man zwar Kosten übernimmt, aber keine entsprechenden Maßnahmen national ergriffen werden. Und deswegen wird sich Zypern bewegen müssen. Wer Solidarität der anderen in Anspruch nehmen will, muss auch seinen eigenen Beitrag leisten.

    Heinemann: Aus einem Bericht des Bundesnachrichtendienstes, des BND, geht hervor, wer vor allem von den europäischen Steuermilliarden profitieren würde: russische Oligarchen, Geschäftsleute und Mafiosi, die ihr Schwarzgeld in Zypern angelegt haben. Wie kann man Zypern helfen, ohne dass diese Herrschaften davon profitieren?

    Ferber: Das ist eine ganz schwere Nummer, die so einfach ja auch nicht zu beantworten ist. Es ist ja auch interessant, dass bei der letzten Rekapitalisierung von zypriotischen Banken Russland mit ins Boot gegangen ist und seinen Beitrag geleistet hat, was diese intensive Wirtschaftsverbindung, wenn ich es mal so abstrakt beschreiben darf, auch zum Ausdruck bringt. Aber Sie können natürlich schlecht sagen, ich rette die Bank A, aber sorge nicht dafür, dass bestimmte Anleger, die in der Bank A Geld haben, auch geschützt werden. Das ist leider bei einer Bankenrettung nicht möglich, und deswegen wird Zypern hier auch offenlegen müssen, wie sie Geldwäschegesetz umsetzen, wie sie Korruptionsbekämpfung umsetzen, wie sie Steuerregeln einhalten und Ähnliches mehr. Ansonsten kann keine Solidarität gewährt werden.

    Heinemann: Und wie sollte das geschehen? Wie kann man darauf drängen?

    Ferber: Ja wie kann man darauf drängen? Spielregeln und all die Dinge, die ich benannt habe, sind ja europäisch geltendes Recht, und da muss Zypern den Nachweis erbringen, dass sie dieses Recht auch adäquat anwenden.

    Heinemann: Herr Ferber, der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt hält in den nächsten Jahren tief greifende politische und wirtschaftliche Veränderungen für denkbar, und er hat gesagt, wir stehen vielleicht vor einer Revolution in Europa. Das sagte er beim Wirtschaftsforum der Wochenzeitung "Die Zeit". Können Sie schon Barrikaden erkennen?

    Ferber: Wir haben ja in den letzten Tagen durchaus erlebt, was in verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stattfindet. Wenn Sie das Stichwort Barrikaden benennen: Ich glaube nicht, dass wir einen revolutionsartigen Prozess erleben werden, aber wir werden uns einer Evolution, einer Entwicklung stellen müssen, nämlich die Frage, wie ein Kontinent, der in seiner Bevölkerungsstruktur immer älter wird, der aber das Großteil seiner erwirtschafteten Leistungen in den sozialen Bereich investiert, wie er dieses Modell dauerhaft aufrecht erhalten kann, wenn er nicht im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit wieder einen deutlichen Sprung nach vorne macht, und das ist eigentlich unser Kernproblem. Das, was sich heute als Staatsschuldenkrise darstellt, ist ja auch eine Zahlungsbilanzkrise. Alle Länder mit negativer Zahlungsbilanz haben Probleme, ihre Staatsschulden in den Griff zu bekommen. Das heißt, hier geht es zunächst mal darum: Wie können wir Wettbewerbsfähigkeit wieder dazugewinnen, wie können wir Wirtschaftspolitik enger abstimmen, wie können wir dafür sorgen, dass Spielregeln bei allen eingehalten werden. Und das ist schon eine Evolution mit revolutionärem Anstrich.

    Heinemann: Markus Ferber, Abgeordneter des Europaparlaments und CSU-Politiker. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.