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Russland
Rätselraten um die Begnadigung Chodorkowskis

Der Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski ist nach zehn Jahren Haft frei - nachdem er angeblich ein Gnadengesuch an Präsident Wladimir Putin gerichtet hatte. Das aber hatte Chodorkowski bisher immer ausgeschlossen.

Von Gesine Dornblüth | 20.12.2013
    Michail Chodorkowski geht umringt von Aufsichtspersonal einen Gang im Gefängnis entlang.
    Der Putin-Gegner Michail Chodorkowski (Mitte), hier bei einem früheren Gerichtstermin, darf das Gefängnis verlassen. (picture alliance / dpa / Valeriy Melnikov)
    Auf einmal ging alles ganz schnell. Um Punkt 12 Uhr Ortszeit teilte die Verwaltung des Kreml auf ihrer Internetseite mit, dass Präsident Putin den gestern angekündigten Erlass zur Begnadigung Chodorkowskis unterschrieben habe, "geleitet von Prinzipien der Humanität", wie es dort heißt. Der Erlass trat sofort in Kraft. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax hat Chodorkowski die Strafkolonie in Karelien bereits verlassen.
    Schlagartig wendet sich nun die Stimmung im offiziellen Moskau. Das Staatsfernsehen zeigt auf einmal Bilder eines sympathisch lächelnden Chodorkowski. Und die Nachrichten machen mit einem Interview mit der Mutter des 50-Jährigen auf, Marina Chodorkowskaja - das ist all die Jahre nicht vorgekommen. "Ich bin so froh über die Nachricht, ich kann es noch gar nicht fassen", sagt diese. "Ich zittere so, ich habe vermutlich mehr Beruhigungsmittel genommen als gut ist. Ich habe das überhaupt nicht erwartet, das war ein Schock gestern."
    Menschenrechtler hoffen auf Signal
    Jene, die gestern noch gegen Chodorkowski als angeblichen Milliardenbetrüger wetterten, stimmen nun in den Jubel ein. Der Fraktionsführer der nationalistischen LDPR, Wladimir Schirinowskij, sagte Chodorkowski eine Zukunft als Schriftsteller voraus. Kommunistenführer Zjuganow sprach bereits gestern von einem Akt der Humanität.
    Menschenrechtler in Russland hoffen, dass von Chodorkowskis Begnadigung ein Signal ausgeht. Michail Fedotov, Vorsitzender des Menschenrechtsrates beim Präsidenten, sagte, die Freilassung werde die Atmosphäre im Land verbessern und das internationale Ansehen Russlands.
    Spekulationen blühen
    Unterdessen blühen die Spekulationen über die Hintergründe der plötzlichen Freilassung. Präsident Putin hatte gestern mitgeteilt, Chodorkowski habe vor kurzem ein Gnadengesuch unterzeichnet. Ein Gnadengesuch gilt nach Ansicht des Kreml als Schuldeingeständnis. Ein solches hatte Chodorkowski all die Jahre kategorisch abgelehnt.
    Noch vor wenigen Tagen sagte er der "Wirtschaftswoche", wenn er um Begnadigung bitte, müsse er die Schuld für ein Verbrechen tragen, das er nicht begangen habe. Das wäre Selbstbetrug gewesen. Ein Gnadengesuch sei für ihn nicht infrage gekommen, so zitiert ihn die Zeitung weiter, weil er damit seine Selbstachtung verloren hätte.
    Michail Chodorkowski, Gründer des Ölkonzerns Yukos in einem gerichtssaal in Moskau
    Hinter Gittern: Kreml-Gegner Chodorkowski war zehn Jahre inhaftiert. (AP)
    Putin hatte gestern eine Erkrankung von Chodorkowskis Mutter als Grund für dessen Gnadengesuch genannt. Bei ihr ist tatsächlich eine schwere Krankheit wieder ausgebrochen. Russischen Medienberichten zufolge könnten aber auch Geheimdienstler Chodorkowski unter Druck gesetzt haben. Möglicherweise habe man ihm mit einem dritten Verfahren gedroht, sollte er nicht unterzeichnen. Der bekannte Moskauer Journalist Tichon Dzjadko brachte es auf den Punkt: Chodorkowski werde so befreit, wie er auch verhaftet wurde: in einer Sonderoperation.
    Justiz beginnt, Amnestie umzusetzen
    Unabhängig von der Begnadigung Chodorkowskijs hat die Justiz damit begonnen, die Amnestie umzusetzen, die die Duma am Mittwoch beschlossen hat. In Moskau kamen vier junge Leute frei, die nach der Teilnahme an einer kremlkritischen Demonstration auf dem Bolotnaja-Platz angeklagt worden waren. Die Justiz hob die Anklage wegen Teilnahme an Massenunruhen gegen sie gestern auf. Acht Beschuldigte stehen weiterhin vor Gericht.
    Die Amnestierten gaben sich kämpferisch. Einer von ihnen, Wladimir Akimenkow sagte im Fernsehsender "Doschd": "Jetzt müssen wir darum kämpfen, dass alle politischen Gefangenen frei kommen. Und dass die Amnestie wirklich breit gefasst wird. Denn bisher ist das keine Amnestie, sondern eine Farce."