Der Afghanistankrieg als Comicgeschichte

Moderation: Klaus Pokatzky |
Ein Hauptmann der Bundeswehr im Afghanistaneinsatz: Seine Ehe geht in die Brüche, wegen der Kriegstraumata rastet er im Alltag regelmäßig aus und fährt heimlich zurück an den Hindukusch. Arne Jysch hat den Einsatz der Bundeswehr in eine spannende Comicstory übertragen.
Klaus Pokatzy: Die folgende Geschichte wäre noch vor nicht allzu langer Zeit für Bundeswehrsoldaten nicht geeignet gewesen. Jedenfalls hätten früher Bundesverteidigungsminister Magenverstimmung bekommen, wenn ihre Soldaten den Comic „Wave and Smile“ gelesen hätten. Er zeigt nämlich den Krieg in Afghanistan so, wie der Krieg ist: Mit tödlichen Gefechten. Mit sexistischen Witzen aus dem Munde von einfachen Soldaten. Mit politisch verordneter Heuchelei aus dem Munde von höheren Offizieren. Mit Gefangenenlagern der US-Verbündeten, in denen die Menschenrechte nicht viel zählen.

Wenn ein Bundeswehr-Soldat mit Afghanistan-Erfahrung und ausgeprägten zeichnerischen Fähigkeiten einen Comic über den Afghanistan-Einsatz verfasst hätte, dann hätte der wohl Bild für Bild und Seite für Seite so ausgesehen wie der Comic „Wave and Smile“ von Arne Jysch. Willkommen im Studio, Arne Jysch.

Arne Jysch: Ja, hallo!

Pokatzy: Wie lange haben Sie denn bei der Bundeswehr gedient?

Jysch: Ich habe gar nicht gedient, ich habe verweigert. Und zwar bin ich 1993 gemustert worden und habe auch sehr schlecht abgeschnitten, aber das kam für mich einfach zu dem Zeitpunkt nicht in Frage, zur Bundeswehr zu gehen.

Pokatzy: Und dann haben Sie Zivildienst geleistet?

Jysch: Genau.

Pokatzy: Und in Afghanistan waren Sie auch noch nie?

Jysch: Nein. Das hat sich so noch nicht ergeben.

Pokatzy: Aber Sie haben den ersten Comic über den Afghanistankrieg jetzt verfasst. Und es ist gleichzeitig Ihr erster Comic. Wie kam es dazu?

Jysch: Eigentlich habe ich mich vorher da genauso wenig für interessiert wie wahrscheinlich die meisten Deutschen. Habe aber Ende 2008 mit einem Deutsch-Afghanen gesprochen, der sehr radikale Ansichten hatte, wie: Die müssen sofort abziehen, das wäre das einzig Richtige; vorher war es im Prinzip besser. Und da bin ich so ein bisschen hellhörig geworden und habe angefangen zu recherchieren. Und da ich eigentlich so als Autor eben immer interessiert bin an neuen Geschichten und menschlichen Extremsituationen, hat sich das so ergeben, dass ich da angefangen habe, daran zu arbeiten.

Pokatzy: Die Geschichte dieses 200 Seiten starken Comics lautet so: Der Hauptmann Menger war im Afghanistaneinsatz. Seine Ehe ist darüber in die Brüche gegangen. Als Journalist getarnt, geht er jetzt zurück nach Afghanistan und macht sich, unterstützt von der Journalistin Annie, auf die Suche nach dem Hauptfeldwebel Marco, der bei einem Feuergefecht von den Taliban verschleppt wurde und seitdem verschwunden ist. Hatten Sie diesen Plot von Anfang an oder ist der erst nach und nach entstanden?

Jysch: Der ist erst nach und nach entstanden. Ich hatte mich für das Thema interessiert und war eben auf der Suche nach einer Geschichte, hatte auch die Überlegung, reale Erlebnisse von Soldaten vielleicht zu bebildern, bin aber dann doch über – da ich eben so viele verschiedene Perspektiven sowohl gelesen habe, eben auch in Büchern von Afghanen, von Engländern, von Amerikanern, gedacht, da erfinde ich lieber eine Geschichte, um diese vielen verschiedenen Sichtweisen auch unterzubringen.

Und spannend fand ich auch, dass es so eine Zweiteilung gibt. Dass wir einmal diese klassische militärische Welt haben der Bundeswehr in Afghanistan, und in der zweiten Hälfte der Geschichte dann quasi zivil noch mal zurückgehen konnten und er sogar Kontakt zu den Taliban aufnimmt. Also, dass man da noch mal so ein bisschen wirklich fiktiv wird von der Geschichte, sehr übertreibt, um noch mal ganz andere Perspektiven darzustellen.

Pokatzy: Aber warum sind Sie dann nie nach Afghanistan gefahren?

Jysch: Das ist eine gute Frage. Das war mir natürlich zunächst zu gefährlich. Allerdings hatte ich dann auch nach einiger Zeit so viel Recherchematerial, war quasi erschlagen von Recherchematerial, dass ich auch gedacht habe, so, jetzt muss ich mal anfangen irgendwie. Und dann war es auch so, dass meine Freundin schwanger war und mir im Prinzip knallhart verboten hat, da runterzufahren.

Pokatzy: Aber wie haben Sie denn genau in Deutschland recherchiert? Mit wem haben Sie gesprochen?

Jysch: Also, ich habe erst mal angefangen zu lesen, vor allem, das, was es gab. Es gab ja schon zwei Bücher von Achim Wohlgethan, das waren sehr gute Berichte über die Anfangszeit des Einsatzes. Und das Buch von der Heike Groß, das habe ich ...

Pokatzy: Das heißt, Erfahrungen von Bundeswehrsoldaten auch, die über ihre Erlebnisse in Afghanistan berichtet haben.

Jysch: Genau, die sehr persönlich über ihre Erlebnisse und ihre Eindrücke in Afghanistan berichten. Das war so ein Einstieg für mich. Und habe dann natürlich Bildbände gesucht, habe aber auch, was mir auch sehr wichtig war, englischsprachige Literatur und Berichte gefunden. Und da war auch interessant, die Perspektive dieser Autoren und Soldaten auf die Bundeswehr zu sehen. Ja, und so bin ich da eingestiegen in das Thema und habe dann, als ich mich relativ sicher gefühlt habe, auch Kontakt zur Bundeswehr aufgenommen, um da noch mehr zu recherchieren. Einfach, um Kontakt zu Soldaten zu finden, an Bildmaterial zu kommen und aber auch zu sehen, wie die Bundeswehr überhaupt darauf reagiert, auf so was.

Pokatzy: Ja, und wie hat die Bundeswehr reagiert? Und wer hat da reagiert? Wo sind Sie da genau gelandet?

Jysch: Ich bin zunächst im Verteidigungsministerium an die Presseabteilung, die Öffentlichkeitsarbeitsabteilung geraten und habe da, ja, mit einer Dame gesprochen, die sich das Manuskript, das 20-seitige Manuskript, das ich bis dahin hatte, durchgelesen hat und dann so ein bisschen den Kontakt vermittelt hat zu anderen Soldaten und eben aber auch zum Einsatzführungskommando in Potsdam.

Pokatzy: Das zuständig ist für die Steuerung der Auslandseinsätze der Bundeswehr.

Jysch: Genau, genau. Ich bin dann noch zu einer Journalistin gegangen, die bereits in Afghanistan war, um auch noch eine andere Perspektive zu bekommen. Das war die Julia Weigelt. Und die hatte auch noch mal sehr viele Fotos und sehr viele andere Geschichten und Eindrücke, die sie mir erzählt hat, und, ja, so kam das alles wie so ein Riesen-Puzzle, muss ich sagen, kam das dann in dem Comic zusammen.

Pokatzy: Im Deutschlandradio Kultur Arne Jysch, der den Comicband „Wave and Smile“ über den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr verfasst hat. Wie kam der Titel „Wave and Smile“ – was heißt das überhaupt übersetzt?

Jysch: Das heißt „Winken und Lächeln“. Es geht um das Schild, dass es an den Ausfahrten der Lager wohl gegeben haben soll, das inzwischen verschwunden ist, das die Soldaten kurz vorm Rausfahren mit der Patrouille darauf hinweisen sollten, dass sie immer offen und freundlich der Bevölkerung, der Zivilbevölkerung, ja, sich da offen und freundlich verhalten sollten. Das Schild ist inzwischen Geschichte. Wir konnten keine Abbildungen mehr finden, es ist verschwunden, und diese Tragik, die dahinter steht, die ja so ein bisschen für den Einsatz auch steht, für die Entwicklung des Einsatzes steht, fand ich sehr bezeichnend, fand ich sehr beeindruckend.

Pokatzy: Arne Jysch, sie schildern aber nicht nur Krieg, sondern sie schildern das, was bezeichnet wird als ziviler Wiederaufbau, also, wo die Bundeswehr dann auch teilweise doch so wieder in der Rolle ist, wie es in den ersten Jahren des Afghanistaneinsatzes war, der Brunnenbohrer und der Schulenerrichter. Diesen Aspekt haben Sie nicht völlig ausgelassen, und Sie haben vor allem aber auch immer versucht, teilweise, indem es dann andere Schriftzeichen gibt, die sehr ans Arabische erinnern in den Sprechblasen, dass auch die Afghanen richtig zur Geltung kommen. Wie haben Sie das denn von Deutschland aus recherchiert?

Jysch: Ja, es gibt sogar so eine Art Reiseführer inzwischen für Afghanistan. Das fand ich sehr interessant auch, so Verhaltensweisen, aber auch wichtige Worte, um sich da verständigen zu können, und das hat mir auch sehr geholfen, muss ich sagen. Ich habe aber inzwischen auch, was das angeht, Reaktionen von einer Afghanin bekommen, die also auch diese afghanische Welt und die Afghanen selber auch sehr glaubwürdig dargestellt findet.

Pokatzy: Also, da ist sicherlich einiges übertrieben, aber vom Grunde her ist es von einem Realismus, der, das muss ich ehrlich sagen, als ich es gelesen habe, umgehauen hat. Wie Sie beschreiben, wie die Ehe in die Brüche geht, wie er dann mit seiner posttraumatischen Belastungsstörung, der Hauptmann Menger, bei der Truppenpsychologin landet, wie er ausrastet im Alltagsleben und immer getrieben von diesem Wunsch, seinen alten Kameraden wiederzufinden, wo er am Ende dann in einem amerikanischen Gefangenenlager landet. Haben Sie irgendeine Vorstellung, warum die Bundeswehr das fördert?

Jysch: Es ist ja so, es wurde mir ja auch gesagt, dass die Hoffnung besteht, dass einfach die Menschen bei uns hier im Lande durch ein anderes Medium vielleicht mal Informationen zu dem Einsatz vermittelt bekommen. Und nicht nur durch die Nachrichten oder durch Reportagen, die um 23:50 Uhr im Fernsehen laufen, sondern dass einfach, ja, noch ganz andere Menschen erreicht werden, vielleicht noch einmal ganz anders drüber diskutiert wird.

Pokatzy: In den USA werden Comics von der Armee ja auch zu Werbe- und Imagezwecken genutzt. Da werden Soldaten und ihre Einsätze dann auch eher glorifiziert. Das ist ja etwas, was Sie überhaupt gar nicht tun. Wie konnten Sie eigentlich sicher sein, als Sie damals so mit der Bundeswehr und den Soldaten in Kontakt getreten sind, dass die Ihnen keinen Bären aufbinden bei dem, was sie Ihnen so erzählen?

Jysch: Ja, dafür war natürlich wirklich wichtig, verschiedene Quellen zu haben. Eben auch mit der Journalistin zu sprechen und da natürlich auch zwischen den Zeilen zu lesen. Es gibt auch anonyme Blogs teilweise im Internet von Soldaten, die berichten ja auch durchaus ein bisschen negativer über die Führungsebene berichten oder über Probleme im Einsatz berichten, das hat mir dann auch schon geholfen, das so ein bisschen einzuschätzen.

Pokatzy: Gibt es denn etwas, wenn Sie das vortragen müssten, Sie hätten jetzt die Möglichkeit, irgendwo, meinetwegen auch vor Soldaten der Bundeswehr, die im Afghanistaneinsatz waren, Sie müssten da so ein paar Seiten vorführen – was wären die Szenen, die Ihnen vielleicht am wichtigsten sind und die Sie immer noch im Kopf und im Herzen herumtragen?

Jysch: Ja, das sind natürlich die Szenen, in denen das Menschliche der Soldaten zu hören ist, in denen sie von ihren Emotionen erzählen. Gerade, wenn sie in Extremsituationen sind, wenn sie gerade da im Niemandsland gestrandet sind und sich unterhalten, wie es ihnen geht im Einsatz, das wären so die Szenen, die ich wahrscheinlich nehmen würde.

Pokatzy: Da fallen dann auch so Sätze wie: „Entweder man steht dazu, dass im Krieg auch Unschuldige getötet werden, man akzeptiert das oder man hält sich von Anfang an raus aus dem Scheiß“.

Jysch: Genau.

Pokatzy: Es kommt vieles drin vor, was eben politisch unkorrekt ist und was vor einigen Jahren so nicht von der Bundeswehr, garantiert nicht von der Bundeswehr gefördert worden wäre, geschweige denn mit solchen hymnischen Rezensionen bedacht worden wäre, wie Sie das jetzt in einigen Bundeswehrmedien erfahren haben, wo es auf der Homepage der Bundeswehr etwa heißt: „Die Zeichnungen von Arne Jysch vermitteln mehr Einsatzrealität als so mancher Dokumentarfilm“. Hat Sie das überrascht?

Jysch: Hui! Nein, das ist wirklich – das höre ich jetzt auch zum ersten Mal, das ist – das hört sich sehr, sehr nett an. Das freut man sich natürlich einfach als Künstler auch. Aber trotzdem wundert mich das natürlich, dass trotz doch vieler kritischer Sätze, Stimmen und Szenen in dem Buch da diese überschwänglichen, positive Rezensionen da sind. Das wundert mich doch sehr. Finde ich aber auch sehr, sehr gut und sehr offen und modern von der Bundeswehr.

Pokatzy: Hat sich der Bundeswehreinsatz in Afghanistan gelohnt mit mehr als 50 gefallenen Soldaten?

Jysch: Es ist wirklich schwer zu sagen, ob sich das gelohnt hat. Ich hab ja nur zwei extreme Ansichten vielleicht: Entweder hätte man wirklich sich ganz heraushalten sollen oder man muss vielleicht von einer ständigen Präsenz ausgehen, um wirklich dieses Problem der pakistanischen Grenzgebiete, des terroristischen Nährbodens sozusagen irgendwie in den Griff zu kriegen. Das ist wirklich sehr schwierig zu beantworten.

Pokatzy: Und wann werden Sie nun endlich mal nach Afghanistan fahren? Hat die Bundeswehr Sie schon eingeladen?

Jysch: Wenn meine Frau mir das erlaubt, sozusagen, in ein gefährliches Krisengebiet zu reisen – wird sich zeigen.

Pokatzy: Danke, Arne Jysch. Ihr Comicband „Wave and Smile“ mit 200 Seiten ist erschienen im Carlsen-Verlag und kostet 24,90 Euro.

Jysch: Vielen Dank!

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