Verkehrswende durch Corona

Wie nachhaltig ist der aktuelle Fahrradboom?

07:50 Minuten
Zwei Radfahrer fahren auf dem verbreiterten Radweg auf der Oberbaumbrücke, aufgenommen am 27.07.2020 in Berlin.
Die sogenannten Pop-up-Bikelanes wie hier in Berlin gibt es bislang nur in wenigen Städten. © picture alliance / dpa / Annette Riedl
Von Paulus Müller · 28.07.2020
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Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Pandemie. Der Handel meldet Rekordzahlen. Allerdings stockt die Produktion durch Corona aufgrund globalisierter Lieferketten. Und ob der Boom tatsächlich eine Verkehrswende einläutet, ist noch nicht ausgemacht.
"Paulus Müller hier... ich bin auf der Suche nach einem Herrenrad, große Größe, ich hab an was Sportliches gedacht, vielleicht ein Gravelbike, haben sie da noch was?"
Fahrradverkäuferin: "Da habe ich gerade gestern das letzte verkauft!"
Fahrradverkäufer: "Eins haben wir vielleicht noch da, aber die sind halt alle so bei eins-fünf..."
Fahrradverkäuferin: "Also große Größen sind gerade tatsächlich etwas schwieriger, weil halt von vornherein weniger da war."
Paulus: "Wie sieht es mit bestellen aus, ist das möglich?"
Fahrradverkäufer: "Wenn die ausverkauft sind, sind die ausverkauft. An nem Ausverkauf kannste ja nichts ändern."
Das Fahrrad. Das Verkehrsmittel der Pandemie. Ich meine, die Vorteile liegen auf der Hand. Mit dem Fahrrad bist du draußen. Du hältst automatisch Abstand, weil du Reifen vor und hinter dir hast – und dann sind da noch die Vorteile, die es sowieso gibt. Gesund, besser für die Umwelt und aus Studien wissen wir auch: Radfahren steigert das Wohlbefinden, die Laune. Auch das wichtig in der Pandemie...

Handel meldet Rekordzahlen

Nur ist eben im Moment gar nicht so einfach dran zu kommen an ein Rad. Die Branche boomt. Das bestätigt auch der Zweirad-Industrieverband. "Wir merken coronabedingt auf jeden Fall noch mal eine deutliche Zunahme dieses Booms, obwohl wir schon in den letzten Jahren Zuwächse beim Verkauf von Fahrrädern und E-Bikes verzeichnen konnten", sagt Pressesprecher David Eisenberger.
Das, was gerade passiert, ist etwas Besonderes, sagt er. Für das erste Halbjahr des Coronajahres gibt es zwar noch keine Geschäftszahlen – es werden aber Rekordzahlen vom Handel gemeldet.
"Dort wird berichtet, dass im April 20 bis 30 Prozent mehr Verkäufe zum Vorjahr realisiert wurden, obwohl die Fahrradläden so lange geschlossen waren. Im Mai wird berichtet von bis zu 100 Prozent Mehrverkäufen was den Mai zum stärksten Monat jemals in der Fahrradbranche gemacht hat."
Was genau Menschen zum Fahrrad-Kaufrausch bewegt, wurde noch nicht untersucht. Aber gleich mehrere Gründe liegen auf der Hand: Schon zu Beginn der Coronakrise hatten Experten, aber auch der Bundesgesundheitsminister, das Rad als sicheres Verkehrsmittel in der Pandemie hervorgehoben und dazu kamen und kommen dann noch die Coronabeschränkungen: Reisen und Sport ist nicht so möglich wie gewohnt. Deswegen sind gerade in diesem Bereich viele Modelle ausverkauft.

Erschwerte Produktion durch Corona

Und: Räder nachbestellen ist aus mehreren Gründen schwierig. Zum Einen weil die meisten Geschäfte schon für die nächste Saison bestellen, und zum Anderen weil natürlich auch die Fahrradindustrie eine globalisierte Branche ist und auf Produktion in Niedriglohnländern setzt.
"Nun muss man erst mal sagen, dass Mitte Februar in Asien der Shutdown kam und dadurch die Lieferketten zusammengebrochen sind. Die Industrie hatte große Probleme, zu produzieren. Man muss halt auch Bedenken, dass gewisse Hygieneauflagen auch eingehalten werden müssen, was natürlich die Produktion noch mal erschwert."
Heißt: Es wird auch noch etwas dauern, bis sich die Lage in den Fahrradgeschäften entspannt, sagt Eisenberg.
"Es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, den Handel wieder mit ausreichend Ware zu versorgen, bei einem so unvorhergesehenen Ereignis ist das natürlich schwierig."
Ja. Glück, wer jetzt schon ein Fahrrad hat! Wobei...

Gedränge auf dem Radweg

"Ich finde die Venloer Straße ist wirklich ein klasse Beispiel. Die Straße ist jetzt voller geworden, gleichzeitig haben wir die Außengastro, die ja viele Lokalitäten jetzt auch brauchen. Dann haben wir hier den Gehweg und hier knubbeln sich alle Leute und wir sehen, es ist überhaupt nicht möglich irgendwie auf Sicherheitsabstand zu halten."
Gedränge auf dem Radweg, wie hier in Köln, gibt es derzeit in vielen Städten. Ute Symanski ist Vorsitzende des Vereins Radkomm, der sich für nachhaltige Mobilität einsetzt.
Sie sagt: Menschen meiden noch immer Bus und Bahn und deswegen knubbelt sich der Verkehr in den Städten noch mehr als sonst.
Das zeigen auch Zahlen der Gesellschaft für Konsumforschung: laut denen fahren die Deutschen seit Beginn der Krise doppelt so viel Fahrrad. Die Fahrradwege sind also viel voller und das, wo doch Abstand gerade so wichtig ist.
Dabei gäbe es eine wirklich einfache und kostengünstige Lösung, sagt Symanski. "Eine wunderbare Erfindung, die weltweit gerade eingesetzt wird, das sind die sogenannten Pop-up-Bikelanes. Die Metropolen der Welt machen uns das vor. Bogotá hat 117 Kilometer Pop-up-Bikelane an einem einzigen Tag geschaffen. Da nimmt man zum Beispiel bei mehrspurigen Straßen eine ganze Spur, trennt die ab, zum Beispiel mit so Pöllern, die auch bei Baustellen eingesetzt werden. Und schlägt diese ganze Spur dem Radverkehr zu. Das wäre hier auch optimal."

"Ein nie dagewesenes Möglichkeitsfenster"

Wäre. In Köln gibt es so was aber nicht. In Berlin oder München ist man da weiter. Dort gibt es einige zusätzliche Radstreifen. Aber die beiden Städte sind in Deutschland eher eine Ausnahme. Und das, wo doch dieser Fahrradboom gerade eine echte Chance ist. Sagen jedenfalls Mobilitätsexperten, wie Thomas Stein vom Deutschen Institut für Urbanistik. Das Stichwort hier: Möglichkeitsfenster.
"Mein Mobilitätsverhalten ändere ich nicht jeden Tag aufs Neue. Ich habe ziemlich eingefahrene Routinen und die brechen oftmals nur an bestimmten Punkten auf."
Solche Punkte, wo wir unsere Gewohnheiten, unsere Routinen vielleicht mal durchbrechen, unsere Mobilität ändern sind klassischerweise: so etwas wie Umzüge, Kinderkriegen. Oder eben eine Pandemie wie Corona.
"Corona ist tatsächlich ein nie dagewesenes Möglichkeitsfenster, das einfach dazu führt, dass tendenziell überlegt wird, ob es nicht andere Optionen gibt."
Das heißt es gibt hier eine Chance, dass der Fahrradboom auch nachhaltig ist. Der Verkehrswende vielleicht noch mal Schwung gibt. Nur passiert das nicht einfach so.
"Es kommt tatsächlich sehr darauf an, wie die Städte reagieren. Wie sehr die Menschen jetzt auch das Rad nicht nur als Freizeitmittel, sondern auch als Alltagsverkehrsmittel entdecken. Wenn die Hälfte oder ein Viertel von denen, die jetzt vielleicht nicht mit dem Bus oder mit der Bahn fahren, nicht mit dem Auto, dann kann das schon Einfluss haben."
Problem halt nur: nicht einfach an ein Fahrrad zu kommen gerade. Jedenfalls nicht so einfach wie in normalen Jahren.
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