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Christopher J. Preston: "Sind wir noch zu retten?"
Unser künstliches Zeitalter

Nanotechnologie, synthetische Biologie und Geoengineering - das sind die Werkzeuge, mit denen der moderne Mensch seine Umwelt umgestalten kann. Der Philosoph Christopher J. Preston beschreibt das gewaltige Potenzial unseres synthetischen Zeitalters - und warnt davor, was dabei schief gehen kann.

Von Michael Lange | 28.06.2019
Die künstliche Insel Palm Jumeirah vor der Küste Dubais in einer Luftaufnahme.
Spektakulärer Eingriff in die Natur: eine künstliche Insel vor der Küste von Dubai - für Luxusdomizile (imago / Photoshot)
"Sind wir noch zu retten?" fragt zweideutig der deutsche Titel des Sachbuchs von Christopher J. Preston. Der Technik-Philosoph von der Universität von Montana in den USA meint diese Frage nicht polemisch, sondern wörtlich. Er will wissen: Was müssen wir Menschen tun, um auf der Erde zu überleben?
Der englische Originaltitel seines Buches lautet: "The Synthetic Age": Das synthetische Zeitalter. Preston beschreibt darin zunächst wie der Homo Faber, der gestaltende Mensch, die Natur umkrempelt und aus der natürlichen eine künstliche Welt macht, das so genannte Plastozän.
"Die Welt wird von Grund auf neu konstruiert"
"Im Plastozän wird die Welt durch Molekularbiologen und Ingenieure von Grund auf neu konstruiert, und damit beginnt das erste synthetische Zeitalter unseres Planeten."
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Zunehmend wird Natürliches durch Künstliches ersetzt - oft mit negativen Folgen (Buchcover: Springer Verlag / Hintergrundfoto: imago)
Nanotechnologie schafft neue Formen der Materie. Chemie erfindet neue Moleküle. Genetik erzeugt künstliche Erbinformation. Überall wird Natürliches durch Künstliches ersetzt – nicht aus Zerstörungswut, sondern angeblich zum Nutzen der Menschheit. Und nachher tut es den Schöpfern nicht selten leid.
"Traditionell besteht die Neigung, das Natürliche mit Eigenschaften, wie normal, ökologisch und ungefährlich in Verbindung zu bringen. Dagegen wird alles, was synthetisch oder künstlich ist, als unnatürlich, potentiell gefährlich oder verdächtig bezeichnet. Diese umfassende Verallgemeinerung war aber nie zuverlässig."
Grenzen zwischen Natur und Synthetik verschwimmen
Bei genauerer Betrachtung ist vieles, was wir natürlich nennen, zum großen Teil künstlich, wie zum Beispiel eine Kuh oder ein Fichtenforst. Sie sind da, weil wir es wollen. Andererseits sind Bakterien aus dem Labor, die als künstlich bezeichnet werden, zum großen Teil natürlich. Die Grenzen zwischen Natur und Synthetik verschwimmen, seit der Mensch die Welt um sich herum gestaltet.
Und wenn die Wildnis in unsere halb-synthetische Welt einbricht, zum Beispiel als Wolf oder Bär, dann gibt es Probleme. Wieviel Wildnis wollen wir?
"Unsere Verantwortung für die Erde ist gewachsen"
"Mit den übergroßen Auswirkungen der Menschheit ist auch unsere Verantwortung für die Erde gewachsen. Zweifellos werden wir Entscheidungen treffen, welche die Erde und die Ökologie in der kommenden Epoche prägen werden."
Der Philosoph Christopher J. Preston liefert Beispiele aus allen Wissenschaftsbereichen. Er verteufelt nicht die wachsende Fähigkeit des Menschen, die Welt zu gestalten. Aber er beschreibt, wohin sie führen könnte und erklärt, was möglich ist und was schief gehen kann. Ein Buch, das keine einfachen Antworten liefert, sondern zum Nachdenken anregt.
Zielgruppe: Alle, die Wissenschaft und Technik mögen, zugleich aber bereit sind, sie zu hinterfragen.
Erkenntnisgewinn: Die Erde und ihre Ökosysteme sind künstlicher als wir denken, aber die Wildnis in uns und um uns ist noch nicht verschwunden.
Spaßfaktor: Das synthetische Zeitalter muss nicht dröge sein. Solange ein Schuss Natur bleibt, sind wir noch zu retten. Manchmal mit und manchmal ohne Technik.
"Sind wir noch zu retten? Wie wir mit neuen Technologien die Natur verändern können."
Von Christopher J. Preston
Springer-Verlag, 320 Seiten, 29,99 Euro