"Wir wissen, dass wir Verantwortung tragen"

Christian Lindner im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 12.11.2011
Am Wochenende will die FDP bei einem Sonderparteitag in Frankfurt am Main neue Kraft schöpfen. Ein Nein beim Mitgliederentscheid über die Hilfe für Griechenland würde den Euro insgesamt gefährden, darüber seien sich die Mitglieder bewusst, meint Christian Lindner, Generalsekretär der Liberalen.
Jan-Christoph Kitzler: Die FDP hat es wahrlich nicht leicht in diesen Zeiten, die Umfragen sehen die Partei schon seit Monaten im Dauertief. Das Ergebnis aus fünf von sieben Landtagswahlen in diesem Jahr, die Liberalen sind an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, rausgeflogen aus dem Landtag. In dieser Bundesregierung und angesichts der Krise, liberale Politik durchzusetzen, ist auch keine einfache Aufgabe, und dann wird die Partei zurzeit noch schier zerrissen von einem Mitgliederentscheid, den der Bundestagsabgeordnete Frank Scheffler auf den Weg gebracht hat und der genau das verhindern soll, was der Bundestag mit der Regierungsmehrheit gerade beschlossen hat, nämlich einen dauerhaften Euro-Rettungsschirm.

An diesem Wochenende will die FDP neue programmatische Kraft schöpfen bei einem Sonderparteitag in Frankfurt am Main, dort geht es auch um den Weg aus der Krise, und darüber spreche ich jetzt mit dem Generalsekretär der FDP, mit Christian Lindner. Schönen guten Morgen!

Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Parteichef Philipp Rösler hat schon mal den Kurs abgesteckt, er fordert eine markante FDP und ein Profil mit Ecken und Kanten. Wie soll das denn aussehen?

Lindner: Vor allem werden wir uns heute der Eurokrise widmen, der Neudurchsetzung der sozialen Marktwirtschaft und im Bildungssystem, dass stärker wieder Aufstiegschancen schafft, und das zusammengenommen ist eine Positionierung für die FDP, die im Parteiensystem gebraucht wird. Wir wollen Europa, aber mit einer klaren Wirtschaftsverfassung, wir sehen nicht die Notwendigkeit, wie die Wochenzeitung "Die Zeit" in dieser Woche geschrieben hat, eine Alternative zum Kapitalismus zu finden, sondern wir müssen die Regeln der bewährten sozialen Marktwirtschaft auch an den Finanzmärkten durchsetzen, und der Bildungsföderalismus muss reformiert werden. Das sind in der Sache Positionen, für die die FDP stehen kann und mit denen man auch Vertrauen zurückgewinnen kann.

Kitzler: Eine markante FDP mit Ecken und Kanten - heißt das, wir erleben von Ihrer Partei in Zukunft mehr Attacke, wie das zum Beispiel der hessische FDP-Landesvorsitzende Jörg-Uwe Hahn gefordert hat?

Lindner: Selbstbewusstsein ist mein Wort. Eine Regierungspartei ist souverän, wir haben Verantwortung, wir wissen, dass wir Verantwortung tragen. Deshalb wird es von der FDP kein Beißen in alle Richtungen geben, aber wir können mit unserem Wertegerüst und unserer Tradition mit einem gewissen Selbstbewusstsein auftreten, auch im Wissen darum, dass es eine politische Kraft in Deutschland braucht, die sich eben für soziale Marktwirtschaft einsetzt, auch für Rechtsstaatlichkeit und eine offene Gesellschaft. Das gibt es in der Form bei anderen Parteien in der Kombination nicht.

Es gibt sicher noch ein paar Marktwirtschaftler bei der Union, auch wenn vor dem Hintergrund der Mindestlohndebatte die Zahl knapp zu sein scheint, aber gesellschaftspolitische Liberalität ist da eher nicht zu Hause. Und auf der anderen Seite gibt es zum Beispiel bei den Piraten vielleicht ein paar gesellschaftspolitisch Liberale, mit Sicherheit ist es aber keine marktwirtschaftliche Partei. Also, da hat die FDP eine Lücke, die sie füllen kann.

Kitzler: Die Bundesregierung hat jetzt auch keinen besonders liberalen Stempel bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Nach den letzten Koalitionsbeschlüssen gibt es eine Mini-Steuerreform, aber kein vereinfachtes neues Steuersystem, wie Sie es wollen, und dafür musste Ihr Parteichef die Kröte mit dem Betreuungsgeld schlucken, das Eltern belohnt, die ihre Kinder zu Hause betreuen - das ist ja auch nicht in Ihrem Sinne. Ist die Partei, die FDP, in dieser Regierung, in der es nicht rund läuft - und das liegt ja nicht nur an den Liberalen - nicht quasi zum Angriff verdammt?

Lindner: Nein, ich bitte Sie, auch die Bilanz der Regierung, die Sie gezogen haben, kann ich so nicht teilen. Ohne dass wir jetzt Gelegenheit hätten, eine vollständigere Bilanz zu machen, will ich mir doch die Hinweise erlauben, dass wir seit Beginn unserer Verantwortungsübernahme insgesamt Kaufkraft ausgelöst haben in einer Größenordnung von 30 Milliarden Euro, da ist auch das Kindergeld beispielsweise mit dabei. Wir haben einen Paradigmenwechsel in der Innen- und Rechtspolitik, weil nämlich die Sicherheitsgesetze nicht mehr verschärft werden, sondern wir etwa wie bei dem Grundsatz Löschen statt Sperren den Schutz der Privatsphäre wichtiger nehmen. Wir haben im Bereich der Außenpolitik - ich nenne nur das Stichwort Afghanistan - eine neue Strategie durchgesetzt, die einen Rückzug deutscher Truppen von dort ermöglicht, und ich könnte es weiter fortsetzen mit der Haushaltskonsolidierung und anderem mehr. Ich will es deshalb nicht tun, weil ich den zweiten Teil Ihrer Frage noch mit aufnehmen will, nur in dieser Regierung gibt es eine Handschrift der FDP. Konkret: Betreuungsgeld war ein Kompromiss, der bereits im Koalitionsvertrag war, geht es jetzt darum, dafür zu sorgen, dass es nicht mit Sozialleistungen verrechnet wird, damit es keine Anreize gibt, Kinder aus der Kita rauszuhalten - Kompromisse muss man schließen. Und wir haben, Herr Kitzler, keine Steuersenkung beschlossen, sondern wir haben einen Verzicht auf Steuererhöhungen beschlossen, die dem Staat nicht zustehen. Inflationsgewinne dürfen nicht dazu führen, dass bei den Leuten Kaufkraft verloren geht, sondern da muss das Steuersystem angepasst werden. Das betrachte ich auch als einen Beitrag zur Steuergerechtigkeit in unserem Sinne.

Kitzler: Aber wenn es liberale Handschrift denn gibt, wie Sie sagen, warum honoriert das der Wähler zurzeit nicht? Sie sind dauerhaft unter fünf Prozent, und gleichzeitig müssen Sie einen Spagat schaffen zwischen Regierungsverantwortung auf der einen Seite und der Not, die eigene Haut zu retten. Wie wollen Sie das hinkriegen?

Lindner: Die Probleme mögen damit zusammenhängen, dass es enttäuschte Erwartungen gab, nach der Bundestagswahl sicher manche Ungeschicklichkeit, aber ...

Kitzler: Aber die ist jetzt zwei Jahre schon her.

Lindner: ... wir sind in einer Phase ... Ja, aber so was trägt sich ja fort. Vorwürfe, die gemacht werden, der FDP gemacht werden, beziehen sich öfter auf die Anfangsphase als auf die aktuelle Politik. Und wir haben natürlich jetzt anderthalb Jahre Krisenmanagement hinter uns in einer herausfordernden Situation für Europa, wo es nicht leichte Antworten gibt, aber es ist nicht immer richtig, das Populäre zu tun, sondern manchmal muss man das Notwendige populär machen. Den Weg gehen wir ja beispielsweise auch in unserer eigenen Partei, indem wir die Frage der zukünftigen Architektur Europas in die Hände unserer Mitglieder geben. Also andere reden von Basisdemokratie, die FDP praktiziert sie hier.

Kitzler: Gerade läuft der Mitgliederentscheid über den Euro-Rettungsschirm, wie groß ist denn die Gefahr, dass sich dort der Frust der Basis Bahn bricht und dass das quasi eine Denkzettelwahl wird über den Vorsitzenden und seine Mannschaft?

Lindner: Das sehe ich so nicht. Jeder weiß bei uns, dass es eine sehr ernst zu nehmende Diskussion ist, die Konsequenzen sind allen klar, und es geht eben nicht um Hilfe für Griechenland oder für das, was gegenwärtig gerade im Deutschen Bundestag diskutiert und beschlossen wird. Es geht schon mal gar nicht um Personen oder eine Bewertung innenpolitischer Fragen, sondern bei diesem Entscheid geht es darum, welche Richtung Europa nehmen soll. Wir sind der Auffassung, dass wir mehr Europa brauchen, weil sich auch Deutschland sonst in der Globalisierung nicht selbst behaupten könnte, dass es aber ein Europa sein muss mit einer klaren Wirtschaftsverfassung, also nicht hintergehbare Regeln, automatische Sanktionen, Beteiligung von Gläubigern, falls es doch noch mal zu einer Schuldenkrise kommen sollte. Aber das Ziel muss sein, den Stabilitätspakt zu erneuern, der seinerzeit gebrochen worden ist. So, und die Alternative dazu ist ein aus meiner Sicht zu schlichtes Nein zu allem, das gefährdet den Euro insgesamt, und darüber sind sich unsere Mitglieder bewusst, deshalb rechne ich mit einem klaren Votum für diese verantwortbare Politik der Führung.

Kitzler: Christian Lindner war das, der Generalsekretär der FDP. Heute beginnt der Sonderparteitag in Frankfurt am Main. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und erfolgreiche Tage!

Lindner: Ich danke Ihnen, Herr Kitzler, tschüss!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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